Die Karten für den Energie-Mix in Europa müssen mit Blick auf die Versorgungssicherheit durch fossile Brennstoffe komplett neu gemischt werden. Denn die drohenden Versorgungsengpässe aufgrund möglicher Lieferstopps für russisches Erdgas und Sorgen um die Bezahlbarkeit von Energie alarmieren derzeit Schlüsselbranchen in ganz Europa, angefangen bei Chemie über die Metallindustrie bis hin zur Glasproduktion. Parallel dazu erreichen die Belastungen von Corona und das verheerende Geschehen in der Ukraine auch die Verbraucher: So verzeichnet die Eurozone Inflationsraten in Rekordhöhe. Stärkster Treiber sind die hohen Kosten für Energie.
Längere Laufzeiten von Kohlekraftwerken unvermeidbar
Dieses Umfeld – Europa bezieht bis zu 40 Prozent des Gases aus Russland – unterstreicht eindrücklich die Notwendigkeit, sowohl regionale als auch fossile Energieabhängigkeiten zu reduzieren und die Energiewende wirklich zu beschleunigen. Die aktuelle Lage erinnert auch an die vergangene, starke Abhängigkeit der USA und China vom instabilen Osten vor den Schiefergas- und Ölfunden vor etwa zehn Jahren.
Um das Ziel der Energieunabhängigkeit zu erreichen, sind zumindest kurzfristig durchaus negative Auswirkungen auf die weltweiten Eimissionen zu erwarten, wenn etwa veraltete Technologien wie Kohlekraftwerke zur Verstromung in Europa länger als geplant genutzt werden müssten. Doch obwohl es etwa aufgrund langwieriger Genehmigungsverfahren zumindest innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre schwierig sein wird, die erneuerbaren Energien, wie Offshore-Windkraftanlagen, und deren Versorgungskanäle zu skalieren, ist ein Vorstoß zur Verringerung von Abhängigkeiten mittelfristig als Katalysator für eine insgesamt beschleunigte Dekarbonisierung und Diversifizierung der Energieversorgung erkennbar.
Plug Power, Vestas, Sika: Das sind die Game Changer
Umso mehr ist die gesamte Bandbreite erneuerbarer Energien in der Pflicht. Wir brauchen Windkraft und Solarenergie, Biokraftstoffe, grünen Wasserstoff und moderne Wärmepumpen. Wir benötigen Investitionen in unabhängige erneuerbare Energieerzeuger, Independent Power Producer (IPPs), in disruptive Technologien zur Erzeugung und Speicherung von Energie, in den Ausbau der Netze, aber auch in innovative Produkte und Werkstoffe, Dienstleistungen und Software zur Erreichung von mehr Energieeffizienz.
Investoren wünschen sich neben langfristigen Wachstumsaussichten und Gewinnen eine nachhaltige positive Wirkung auf die Transformation hin zum Netto-Null-Ziel, sprich zur Kohlenstoffneutralität.
Ein Beispiel ist das Unternehmen Plug Power, führend bei Brennstoffzellen, revolutioniert mit einer disruptiven Technologie zur Erzeugung, Speicherung und Betankung von grünem Wasserstoff den Gabelstapler-Markt mit Kunden wie Walmart, Amazon oder Carrefour in Europa. Das Unternehmen profitiert von seiner Produktüberlegenheit gegenüber batteriebetriebenen Gabelstaplern und hat Kapital zu sehr attraktiven Preisen aufgenommen, um mit Hilfe weiterer Subventionen durch den Build-back-Better-Plan von Präsident Joe Biden grauen, das heißt nicht klimaneutral hergestellten Wasserstoff durch grünen auszutauschen. Und ein Blick in die Zukunft zeigt weiteres Potenzial – etwa bei der Herstellung grünen Ammoniaks, der den globalen Düngemittelmarkt komplett verändern könnte. Weitere Beispiele sind Vestas, ein weltweit führender Hersteller von Windturbinen aus Dänemark, das Schweizer Unternehmen Sika, das energiesparende Materialien für die Baubranche liefert, aus dem Bereich der seltenen Erden nachhaltige Unternehmen wie die australische Lynas, LeydenJar und AMG Advanced Metallurgical Group aus den Niederlanden oder aus dem Schalter- und Sensorenbereich Amphenol Corp sowie Schneider Electric SE.
Energiepreise werden wieder sinken
Trotz steigender Energiepreise werden durch die Umstellung auf erneuerbare Energien die Energie- und Strompreise mittelfristig wieder sinken. Wind- und Solarenergie sind bereits seit Jahren auf Kostenbasis wettbewerbsfähig geworden – so lagen die Grenzkosten in 2020 für den Betrieb eines Gas- oder Kohlekraftwerks bei 90 bis 100 US-Dollar pro Megawattstunde, für Wind und Solar dagegen bei 40 bis 50 US-Dollar pro Megawattstunde, ein Trend, der gerade erst begonnen hat und sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Blickt man auf den Energiemix im Laufe der Jahrhunderte sieht man den Ersatz von Holz auf Kohle sowie von Kohle auf Erdölgase. In weiteren fünfzig bis siebzig Jahren wird der größte Teil aus erneuerbaren Energien bestehen.
Christian Rom, Portfoliomanager des Renewable Energy Fonds bei DNB Asset Management