Bremst die Zinswende die US-Wirtschaft aus?

Union Investment | 17.03.2022 14:15 Uhr
© Photo by Jeremy Bezanger on Unsplash
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Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
  • Steigende Zinsen wirken vielfältig auf die finanzielle Situation von Unternehmen und privaten Haushalten

  • US-Konsumenten sind aktuell deutlich robuster aufgestellt als vor früheren Zinserhöhungszyklen

  • US-Unternehmen sind heute weniger abhängig von Bankkrediten und stehen vor einem Investitionsboom

Keine Angst vor der Zinswende

Es kam nicht mehr wirklich überraschend – und dennoch war es nicht alltäglich: Das erste Mal seit Dezember 2018 hat Jerome Powell, damals wie heute Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), am 16. März eine Leitzinserhöhung angekündigt. Um einen Viertel Prozentpunkt schraubten die Währungshüter die Obergrenze ihres Zinsbandes herauf. Ging es vor dreieinhalb Jahren noch um die Marke von 2,5 Prozent, stehen die Zinsen nun immerhin bei 0,5 Prozent. Der Wirtschaftseinbruch infolge der Corona-Pandemie hatte zwischenzeitlich massive Senkungen nötig gemacht.

Doch jetzt wendet sich das Blatt. Die US-Wirtschaft läuft heiß – auch aufgrund massiver fiskal- und geldpolitischer Stützungsmaßnahmen. Hohe Inflations- und Beschäftigungsraten lassen die Fed handeln. Zwar hält sich die Notenbank aufgrund des Krieges in der Ukraine nach vorne gerichtet alle Möglichkeiten offen. Dennoch ist klar: Der nächste Zinserhöhungszyklus hat begonnen. Was aber bedeuten steigende Zinsen für die US-Konjunktur, für die Unternehmen und Konsumenten im Land? Oft heißt es, die Wirtschaft auf der anderen Seite des Atlantiks wäre so hoch verschuldet, dass sie allzu viele Zinserhöhungen nicht verkraften könne. Doch stimmt das wirklich?

Hinweis: Da die USA sowohl mit Blick auf das Wachstum als auch die Geldpolitik deutlich weiter sind als der Euroraum, liegt der Fokus in diesem Artikel ausschließlich auf den Vereinigten Staaten.

Die Theorie – Wirkungskanäle der Geldpolitik

Dreh- und Angelpunkt für die Übersetzung steigender Zinsen in die Realwirtschaft sind die Kredite. Unternehmen finanzieren über sie ebenso ihre Investitionen wie Privathaushalte ihren Konsum. Egal ob Bankkredite, Immobiliendarlehen oder Kreditkarten: steigende Zinsen bedeuten steigende Finanzierungskosten – und diese sind naturgemäß wichtig für die Frage, ob eine Maschine oder ein Haus gekauft und mehr oder weniger konsumiert wird. Und das hat wiederum direkten Einfluss auf den Wirtschaftskreislauf und das Wachstum.

Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Blickwinkel unterscheiden. Der sogenannte „Money view“ setzt auf der Seite der Kreditnachfrage an. In der Theorie sorgen vollkommene Kapitalmärkte dafür, dass Geschäftsbanken Zinsänderungen ohne größere Friktionen und Verzögerungen an die Kreditnehmer weitergeben können – sie kommen also unmittelbar in der Realwirtschaft an. Beispiel Zinskanal: Die Anhebung der Leitzinsen sorgt für höhere kurzfristige Markt- und infolgedessen auch Realzinsen. Die Kapitalkosten steigen, Investitionen sinken. Gleichzeitig nimmt die Sparneigung zu und der Konsum – vor allem die Nachfrage etwa nach Immobilien und langlebigen Wirtschaftsgütern – nimmt ab.

In die gleiche Richtung wirken die Entwicklungen bei den Vermögenspreisen. Höhere Zinsen machen Anleihen relativ attraktiver als Aktien. Gleichzeitig steigen die Kosten für die Wohnungsfinanzierung, was Immobilienpreise dämpfen sollte. Niedrigere Aktienkurse und Immobilienpreise reduzieren allerdings das Vermögen privater Haushalte, was sich wiederum in einem moderaterem Konsumwachstum niederschlägt. Ähnliches gilt für Unternehmen: Niedrigere Aktiennotierungen erhöhen die Kapitalbeschaffungskosten und dämpfen die Investitionen.

Der zweite Blickwinkel auf die Wirkungskanäle ist der sogenannte „Credit view“, der auf der Seite des Kreditangebots ansetzt. Hier werden auch unvollkommene Finanzmärkte etwa in Form von Informationsasymmetrien und Regulierung einbezogen. Im Mittelpunkt steht die besondere Rolle der Geschäftsbanken im Kreditvergabeprozess.

Denn auch das Kreditangebot der Geldhäuser reagiert auf geldpolitische Impulse: Bei einer strafferen Geldpolitik werden die Banken in puncto Kreditvergabe selektiver. Hintergrund ist die Befürchtung, dass höhere Zinsen zu höheren Kreditrisiken führen könnten, etwa, weil Kreditnehmer riskantere Projekte in Angriff nehmen, oder weil nur noch Kreditnehmer mit schlechter Bonität bereit sind, die höheren Zinsen zu zahlen, da sie das Geld um jeden Preis brauchen. Schließlich sorgen sinkende Preise von Immobilien, Aktien und anderem Vermögen dafür, dass diese potenziellen Kreditsicherheiten weniger wert sind. Dadurch wird die Kreditvergabe weiter gebremst und werden Konsum- und Investitionsausgaben gedämpft.

Die Praxis – Konsumenten und Unternehmen im Zinserhöhungszyklus

Soviel zur Theorie. Aber halten diese volkswirtschaftlichen Modellüberlegungen auch in der Praxis stand? Und: Wie vergleichbar ist der aktuelle mit früheren Zinserhöhungszyklen?

Wirkung von Leitzinsänderungen auf BIP-Wachstum hat sich im Laufe der Zeit umgekehrt

Korrelation: Fed Funds Rate und BIP-Wachstum

Quellen: Bureau of Economic Analysis, Federal Reserve, Union Investment.

Beim Blick in die Vergangenheit fällt auf, dass der Zusammenhang zwischen Leitzinsänderungen und dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) seit Mitte der 1990er-Jahre schwächer geworden ist. Während das US-BIP im Betrachtungszeitraum 1972 bis 1994 noch sehr schnell auf eine Veränderung der Leitzinsen reagiert hat, ist der Zusammenhang heute alles andere als eindeutig.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen wurde die Geldpolitik ab 1994 deutlich transparenter. Damit konnten auch Einkommenserwartungen und Ausgaben verlässlicher gesteuert werden. Zum anderen sorgten regulatorische Änderungen wie etwa die stufenweise Abschaffung der Höchstzinsgrenzen für Einlagen („Regulation Q“) für ein weniger volatiles Kreditangebot. Daneben vergrößerten variabel verzinste Häuser- und Konsumentenkredite nicht nur den Pool potenzieller Kreditnehmer. Sie führten auch dazu, dass die Kreditnachfrage weniger auf steigende Zinsen reagierte. Zuletzt nahm die Bedeutung klassischer Geschäftsbanken bei der Kreditvergabe durch einen wachsenden Schattenbankensektor ab. Kredite waren einer breiteren Schicht verfügbar und Konsumenten nutzten den besseren Zugang zu Fremdfinanzierungen, um vorübergehende Einkommensschocks abzufedern.

Robuste Basis für den Start in den aktuellen Zinserhöhungszyklus

Im Vergleich mit den Startpunkten der vergangenen Zinserhöhungszyklen 1994, 2004 und 2015 ist die US-Realwirtschaft heute besonders robust aufgestellt. Das gilt insbesondere für die Konsumenten: Die Arbeitslosenquote ist auf historischen Tiefstständen, gleichzeitig steigen die Stundenlöhne an. Die US-Wirtschaft läuft unter Volllast – und sogar ein wenig darüber. Was aber bedeutet das für die Auswirkungen einer nun wieder restriktiveren Geldpolitik?

Die Wirkungskanäle haben wir beschrieben: Da die privaten Haushalte vor allem Immobilien sowie andere große Anschaffungen wie Autos, Wohnwagen, Boote und langlebige Haushaltsgegenstände über Kredite finanzieren, sollten sich hier die Folgen steigender Zinsen am ehesten bemerkbar machen.

Allerdings hilft den privaten Haushalten in diesem Zyklus ihre vergleichsweise gesunde Finanzsituation. Nach den Übertreibungen vor der Finanzkrise ist die Verschuldung privater Haushalte deutlich gesunken. So entfällt – im Vergleich zu 2008 – heute ein deutlich geringerer Anteil der durchschnittlichen Einkommen auf Immobilien- und Kreditkartenschulden. Auch ist der Eigenkapitalanteil bei Immobiliendarlehen gestiegen, während die Anzahl variabel verzinster Kredite deutlich zurückgegangen ist. Hinzu kommt: Der Häusermarkt ist extrem eng. Stark fallende Preise, die sich negativ auf die Kreditwürdigkeit auswirken, sind damit nicht zu erwarten. Davon profitieren vor allem auch die unteren Einkommensklassen, die grundsätzlich eine höhere Konsumneigung haben. Ihre Löhne sind zuletzt überproportional stark gestiegen, ihre finanzielle Ausganslage ist damit gut. Das ist insofern wichtig, da bei Haushalten mit geringeren Einkommen der Ausgabenanteil für Wohnen und Konsum vergleichsweise größer ist als bei mittleren und oberen Einkommensklassen – entsprechend hoch ist grundsätzlich auch ihre Zinssensitivität.

Wie steht es aber um die Unternehmen? Auch hier zeigt sich, dass die Theorie in der jüngeren Vergangenheit nur noch wenig mit der Praxis gemein hat: Unternehmensinvestitionen reagierten zuletzt nicht mehr stark auf eine restriktivere Geldpolitik. Ein Grund: US-Unternehmen setzen bei der Finanzierung von Investitionen viel stärker auf den Kapitalmarkt als auf Bankkredite. Unternehmensanleihen sind mit Blick auf die Gesamtverschuldung des Sektors etwa um den Faktor sechs wichtiger als Darlehen von Geschäftsbanken. Restriktivere Kreditvergabestandards der Geldhäuser treffen daher in der Regel nur einen geringen Teil des US-Unternehmenssektors, der auch nur von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Investitionstätigkeit ist. Wichtiger für die Investitionsneigung als die kurzfristige Zinsentwicklung sind für Unternehmen laut einer Umfrage ohnehin andere Dinge: die eigene Liquiditätssituation und die langfristigen Investitionspläne. Letztere werden dabei an der erwarteten Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen ausgerichtet.

Deshalb gehen wir auch davon aus, dass sich die USA am Beginn eines Investitionsbooms befinden, der durch die jüngsten geopolitischen Entwicklungen sogar noch verstärkt wird. Die wichtigsten Treiber sind neben der grünen Transformation die Restrukturierung strategisch wichtiger Lieferketten und die Schaffung von Energieunabhängigkeit. Der russische Einmarsch in der Ukraine macht die Minimierung von strategischen Abhängigkeiten endgültig zur Pflicht. Dieser Boom, der auch zu einem höheren Produktivitätswachstum führen sollte, macht höhere Leitzinsen als im vergangenen Zinserhöhungszyklus sogar zur Notwendigkeit, um eine anhaltende Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern. Darüber hinaus wirkt er auch positiv auf den Arbeitsmarkt und die Einkommensentwicklung der privaten Haushalte, womit auch diese höhere Zinsen leichter abfedern können.

Fazit und Ausblick

Die US-Wirtschaft ist gut für den anstehenden Zinserhöhungszyklus gerüstet. Durch die erheblichen Fiskalmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie-Folgen, die deutliche Entschuldung nach der Finanzkrise und den extrem robusten Arbeitsmarkt stehen die privaten Haushalte vor diesem Zyklus sogar besser da als vor den vorangegangenen. Ähnlich geht es den Unternehmen. Für ihre langfristigen Investitionspläne sind höhere Kapitalkosten kein allzu relevantes Entscheidungskriterium – schon gar nicht, wenn die Nachfrageaussichten für viele Firmen ob der laufenden Megatrends so rosig sind wie schon lange nicht mehr.

Es sind damit andere Faktoren, die zu einer Wachstumsabschwächung führen können – möglicherweise sogar mit der Konsequenz einer Unterbrechung im Zinserhöhungszyklus. Bleiben etwa die Rohstoffpreise anhaltend hoch, würde dies vor allem bei unteren Einkommensklassen für Kaufkraftverluste sorgen. Denn diese wenden einen größeren Anteil ihre Ausgaben für die vom Anstieg besonders betroffenen Bereiche Nahrungsmittel und Transport auf. Daneben könnte eine noch stärkere Aufwertung des US-Dollars die Exporttätigkeit und damit das BIP belasten. Schließlich würde die US-Wirtschaft auch unter einer Wachstumseintrübung der wichtigsten Handelspartner leiden. Schlagen die hohen Energiepreise und die neuerlichen Verwerfungen in den internationalen Lieferketten auf die Nachfrage etwa aus Europa durch, dürfte dies zusätzlich den US-Export bremsen.

All dies dürfte aber lediglich zu einer vorübergehenden Pause im Zinserhöhungszyklus führen. Eine frühzeitige Beendigung der Zinsanhebungen ist angesichts der unterliegenden Stärke der US-Wirtschaft, unter anderem durch den von uns erwarteten Investitionsboom, nicht zu erwarten. 

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
16. März 2022, soweit nicht anders angegeben.

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