„Die Europäische Zentralbank befindet sich nach wie vor in einer Zwickmühle. Ihre Aufgabe wird es sein, sich in einer Situation zurechtzufinden, in der die starke Inflation, die im Juni höher als erwartet ausfiel, und den sich verdichtenden Wolken aufgrund der Gaslieferungen aus Russland aufeinanderprallen. Vor dem Hintergrund eines potenziell rezessiven Umfelds muss die EZB über ihre Aufgabe nachdenken, für Normalisierung zu sorgen. Sollte die wirtschaftliche Fragilität in Europa zu einer weiteren Euro-Schwäche führen, würde dies eine weitere Belastung für die EZB darstellen. In diesem Zusammenhang werden Flexibilität und opportunistisches Management für die Anleger an den Zinsmärkten entscheidend bleiben.
Die Sitzung am Donnerstag dürfte ein einzigartiger und historischer Moment werden. Es wird allgemein erwartet, dass die EZB ihre Zinsen zum ersten Mal seit 2011 anhebt, aber die Frage ist, um wie viel. Wird sie beschließen, von -0,5 Prozent heute direkt auf Null zu gehen? Das glauben wir nicht!
Wir denken, dass die Latte für eine erste Zinserhöhung um 0,5 Prozent nach 11 Jahren einfach zu hoch liegt, auch wenn die fundamentale Situation einen möglichst baldigen Ausstieg aus dem Negativzinsumfeld rechtfertigen würde. Auch wenn die Anleger eine Anhebung um 0,5 Prozent bei den kommenden Sitzungen nicht ausschließen sollten, gehen wir davon aus, dass die Bank mit einer Anhebung um 0,25 Prozent beginnen wird.
Erstens hat die EZB die Notwendigkeit eines schrittweisen Vorgehens zum Ausdruck gebracht. Zweitens sind die Prognosen für eine erste Zinserhöhung um 0,25 Prozent eindeutig, und es müsste schon sehr gute Gründe geben, um darauf zu verzichten. Und drittens ermöglicht es der EZB, sich eine gewisse Flexibilität zu bewahren, falls es in naher Zukunft zu negativen wirtschaftlichen oder politischen Überraschungen kommen sollte.
Es wird erwartet, dass die EZB ihr neues Antifragmentierungsinstrument vorstellt, während sich in Italien eine politische Krise anbahnt. Unserer Meinung nach könnte die EZB ein unbegrenztes Programm zum Ankauf von Staatsanleihen ankündigen, das sich auf Anleihen mit kürzerer Laufzeit für ausgewählte Länder konzentriert. Es wird erwartet, dass das Programm einige ‚leichte‘ Auflagen auf der Grundlage der Next-Generation-EU-Fonds für die betreffenden Länder oder etwas Ähnliches beinhaltet. Die Glaubwürdigkeit dieses neuen Instruments wird für die künftige Entwicklung der Spreads in der Peripherie entscheidend sein.
Gas-Krise
„Der 21. Juli dürfte auch ein wichtiges Datum für die sich verschärfenden Gasversorgungsprobleme in Europa sein, denn an diesem Tag enden die laufenden Wartungsarbeiten an der Nordstream-Pipeline. Die Aufmerksamkeit des Marktes hat sich jedoch auf einen anderen Termin verlagert, der wahrscheinlich in der Woche danach liegt, da die fehlende Turbine für die Pipeline nach Deutschland geliefert wurde und es noch ein paar Tage dauern wird, bis sie in Russland ankommt und installiert wird. Erst dann wird Russland in der Lage sein, die Pipeline technisch entsprechend den üblichen Mengen zu betreiben, und erst dann wird der Markt ein besseres Verständnis für die Bereitschaft Russlands haben, wieder erhebliche Mengen Erdgas nach Europa zu liefern.“
Gergely Majoros, Mitglied des Investment Committees von Carmignac