Der Machtwechsel im Weißen Haus hat zu einem raschen Wandel in der US-Umweltpolitik geführt, insbesondere in Bezug auf den Öl- und Gassektor. Wir glauben nicht, dass der Anfang vom Ende für die Öl- und Gasindustrie gekommen ist, aber der Energiesektor steht global vor erheblichen Veränderungen – und die Unternehmen müssen sich rasch anpassen.
Das Klima wandelt den Energiesektor
Das Pariser Abkommen, das die Treibhausgasemissionen begrenzt, um den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, hat Unternehmen weltweit dazu veranlasst, sich auf ihre Umweltauswirkungen zu konzentrieren. Energieunternehmen sind da keine Ausnahme. Viele Managementteams investieren, planen und formulieren Schritte, um sicherzustellen, dass sie das Klimaabkommen einhalten werden.
Die europäischen integrierten Explorations- und Produktionsunternehmen (E&P) sind führend in ihrem Engagement zur Emissionsreduzierung und Diversifizierung in erneuerbare Energien. Sie sind nicht nur in der Lage, die Führung zu übernehmen, weil Europa im Großen und Ganzen bei der Planung und Vorbereitung auf den Klimawandel weiter ist, sondern auch, weil sie die finanziellen Mittel haben.
Die Öl- und Gasproduzenten sahen sich 2020 mit einem herausfordernden Marktumfeld konfrontiert. Die Pandemie legte die Nachfrage ebenso lahm wie der Wettbewerb zwischen Saudi-Arabien und Russland, der zu einer vorübergehenden Angebotsschwemme führte und die Ölpreise einbrechen ließ. Diese Entwicklung verstärkte die konservativen Kapitalinvestitionen der E&P-Unternehmen und bremste das Geschäft der Öldienstleister.
Wir sind nicht davon überzeugt, dass sich die Ölnachfrage auf das Niveau von vor COVID erholen wird, aber die kurzfristigen Aussichten für die Ölpreise sind ermutigend, insbesondere wenn das Angebot langsamer zurückkommt als die Nachfrage. Auch wenn wir erwarten, dass sich die Investitionsausgaben in Richtung erneuerbare Energien verlagern werden, da die Unternehmen die CO2-Belastung in ihren Portfolios reduzieren, werden fossile Brennstoffe noch für Jahrzehnte eine wesentliche Rolle im Energiemix spielen.
Kurzfristige Divergenz der Auswirkungen auf die Unternehmen
Momentan befindet sich die Weltwirtschaft jedoch auf dem Weg der Besserung und die Produzenten halten sich mit dem Angebot zurück. Das sollte zu einem konstruktiveren Ausblick für Energie führen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
E&P-Unternehmen mit Investment-Grade-Rating zum Beispiel haben bereits ihre Bilanzen repariert, Betriebskosten gesenkt und Liquidität erhalten. Für diese Unternehmen sollten höhere Ölpreise zu einem stärkeren Cashflow führen und die Bedenken hinsichtlich des Risikos einer Herabstufung der Bonität verringern.
Sogar die kürzlich „gefallenen Engel“ – ehemalige Investment-Grade-Emittenten, die aufgrund von COVID-bedingtem finanziellen Druck in den Hochzinsbereich gerutscht sind – haben ihre Bilanzen und Cashflows gestärkt. Viele haben ihr Geschäft gestrafft und Vermögenswerte veräußert, um ihre Schulden schneller abzubauen. Wir erwarten, dass die Rating-Agenturen das irgendwann bemerken werden. Und wir sehen für die Unternehmen, die immer noch mit BBB bewertet sind, ein geringeres Risiko, in den Hochzinsbereich abzurutschen.
Die Erholung bei den Ölfelddienstleistern wird länger dauern. Ihre Kunden in den USA investieren beispielsweise in die Aufrechterhaltung der Produktion, anstatt sie zu steigern, und wir erwarten, dass sie 30 % bis 40 % weniger ausgeben werden als vor der Pandemie. Auf internationaler Ebene erwarten wir, dass die Ausgaben 5 % bis 10 % unter dem Niveau von 2019 liegen werden, auch wenn die Organisation der erdölexportierenden Länder und Russland ihre Aktivitäten wieder erhöhen und versuchen, Marktanteile zurückzugewinnen.
Survival of the Greenest
Während die Welt den Klimawandel bekämpft und sich in Richtung eines CO2-neutralen Fußabdrucks bewegt, passt sich der Energiesektor an, wenn auch auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Tempo. Strengere Emissionsstandards werden kommen, und neue Bohrgenehmigungen auf US-Bundesboden werden schwierig – wenn nicht gar unmöglich – zu erhalten sein.
Glücklicherweise haben die E&P-Unternehmen ihren Rückstand bei den Bohrgenehmigungen vor der Wahl angesichts von Bidens Energieprogramm verlängert. Und die Verlangsamung der Bohraktivitäten im Jahr 2020 aufgrund der niedrigeren Ölpreise verlängerte effektiv die Lebensdauer der bestehenden Bohrgenehmigungen. Außerdem hat die Volatilität des Ölpreises die Unternehmen in den letzten Jahren dazu veranlasst, fiskalisch konservativer zu werden. Infolgedessen haben kluge Managementteams ihre Bilanzen gestärkt und die Liquidität erhöht.
Einige Unternehmen passen ihre Geschäftsmodelle an, indem sie sich geistiges Eigentum und Technologie zunutze machen. Als Experten in der Energieproduktion sind einige der größeren Ölfeld-Dienstleistungsunternehmen in der Lage, zur Reduzierung von Treibhausgasen beizutragen. Kleinere Spieler des Sektors sind dagegen möglicherweise nicht in der Lage, ihr Geschäft umzustellen.
Wir glauben nicht, dass das der Anfang vom Ende für die Öl- und Gasindustrie ist – der Übergang zu einer sinkenden Ölnachfrage ist noch nicht da. Aber der Ölförderhöhepunkt (Peak Oil) könnte näher sein, als wir dachten, da der Druck zur CO2-Reduzierung und zu erneuerbaren Energiequellen anhält.
Bilanzielle Zwänge und frühere Entscheidungen können dazu führen, dass einige Unternehmen nicht in der Lage sind, sich zu ändern. Andere können sich ändern – und werden es tun. Um den Unterschied zu verstehen, müssen Anleger die Veränderungen in den Geschäftsmodellen und Bilanzen genau beobachten, wenn sich die Bewertungen und Erwartungen ändern. Aktives Engagement ist ein Dreh- und Angelpunkt dieser Bewertungen und auch ein Forum, um sich für Best Practices einzusetzen.
Susan Hutman ist Director of Investment Grade Corporate Credit Research und Director of Fixed Income Responsible Investing bei AllianceBernstein (AB).
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.