Viele würden argumentieren, dass die Technologie schneller voranschreitet als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Ob das richtig ist oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Schließlich hat jede beliebige Epoche seit Beginn der industriellen Revolution ihren Anteil an neuen Erfindungen gehabt. Aber es gibt kaum Zweifel an den Auswirkungen, die der technologische Wandel auf eine Reihe von Preisen hat.
Strukturwandel gewinnt an Bedeutung
Obwohl diese technologiebedingten Veränderungen allgegenwärtig sind, sind wir der Meinung, dass auch die langsameren strukturellen Kräfte, die die Inflation nach oben treiben, immer wichtiger werden. Das liegt zum Teil daran, dass zwei wichtige disinflationäre Kräfte – Demografie und Globalisierung – jeweils einen Wendepunkt erreicht haben. Das liegt aber auch daran, dass der populistische Druck wahrscheinlich zur Verabschiedung von Maßnahmen führen wird, die das Kräfteverhältnis in der Wirtschaft verändern, insbesondere zwischen Arbeit und Kapital – wie etwa die Reform des Mindestlohns. Hinzu kommt der Druck zur Bewältigung des Klimawandels, und die Tür zu einer höheren Inflation wird eindeutig aufgestoßen, während die Regierungen sich auf dringlichere Probleme konzentrieren.
Wir bezweifeln, dass der technologische Wandel allein ausreicht, um das kombinierte Gewicht dieser anderen Faktoren auszugleichen, die in die entgegengesetzte Richtung drängen.
Technologie hat das allgemeine Preisniveau in der Vergangenheit nicht bestimmt
Frühere technologische Revolutionen können einen Anhaltspunkt bieten – und sie haben nicht immer zu einem niedrigeren allgemeinen Preisniveau geführt. Während der ersten industriellen Revolution zum Beispiel stieg das allgemeine Preisniveau in Großbritannien stark an, als die britische Regierung zwischen 1797 und 1821 die Konvertierbarkeit von Papiergeld in Gold aussetzte. Diese Aufwärtsbewegung erfolgte trotz des starken Abwärtsdrucks auf die Preise einiger Rohstoffe (Abbildung oben links). Dieses Muster hat sich in den letzten Jahren sogar wiederholt, wobei die Inflation in Großbritannien trotz eines massiven Rückgangs der Preise für technologiebezogene Produkte nahe an der Zielmarke von 2 % liegt (Abbildung rechts).
Ein weiteres Beispiel: Das Preisniveau in den USA sank zwischen 1920 und 1929 um 14,5 % (eine durchschnittliche Inflationsrate von –1,6 %). Einige Analysten haben diesen Rückgang mit der Elektrifizierung und anderen technischen Fortschritten in Verbindung gebracht. Doch der gesamte Rückgang des Preisniveaus in den 1920er-Jahren lässt sich auf zwei Jahre zurückführen: 1920 und 1921. Und der Preisrückgang in diesem Zeitraum war nicht auf die Technologie zurückzuführen, sondern auf einen verspäteten Versuch, die explosive Nachkriegsinflation einzudämmen.
Die enormen Preisrückgänge, die in den USA in den frühen 1920er-Jahren zu beobachten waren, waren auch in mehreren anderen Ländern zu beobachten. In Großbritannien zum Beispiel sank das Preisniveau zwischen 1920 und 1923 um 26 %, als die Regierung die Rückkehr zum Vorkriegs-Goldstandard vorbereitete. Einige Länder wählten jedoch einen anderen Weg, was zu völlig unterschiedlichen Inflationsergebnissen führte. Deutschland, Österreich und Ungarn druckten nach dem Krieg weiterhin Geld und lösten damit verheerende Hyperinflationen aus.
Geldpolitik ist entscheidend für die Inflation
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die USA bei den technologischen Fortschritten der 1920er- und 1930er-Jahre an vorderster Front standen und daher den größten Nutzen daraus zogen. Aber sie waren sicherlich nicht die Einzigen, die von diesen Fortschritten profitierten. In Anbetracht der gemeinsamen technologischen Erfahrung ist eine viel plausiblere Erklärung für die sehr unterschiedlichen Inflationsergebnisse die Geldpolitik.
Wird es also dieses Mal anders sein? Wir bestreiten nicht, dass der technologische Fortschritt weiterhin die Inflation drücken wird. Allerdings ist das schon seit der ersten industriellen Revolution der Fall, und die seither gewonnenen Erkenntnisse deuten stark darauf hin, dass die Technologie inflationäre Trends zwar beeinflussen, aber nicht umkehren kann. Entscheidend für die längerfristige Inflationsentwicklung ist vielmehr das zugrunde liegende geldpolitische System. Und die Richtung der Entwicklung scheint – zumindest unserer Ansicht nach – sehr klar zu sein.
Darren Williams, Director für Global Economic Research bei AllianceBernstein
Guy Bruten, Chief Economist für Asia-Pacific bei AllianceBernstein