Obwohl er eine der dringendsten Herausforderungen unserer Zeit ist, wird der Klimawandel oft als ein reines Umweltthema angesehen. Wir glauben, dass sich das ändern muss. Denn der Klimawandel ist auch ein Problem für den Schutz der Menschenrechte, das das Leben und die Existenzgrundlage eines jeden gefährdet und gleichzeitig die Bedürftigsten Gefahren wie Menschenschmuggel und moderner Sklaverei aussetzt.
Außerdem könnten auf Anleger erhebliche finanzielle Risiken zukommen, wenn sie klimabedingte Gefahren moderner Sklaverei nicht berücksichtigen. AllianceBernstein hat kürzlich zusammen mit Walk Free, einer internationalen Menschenrechtsgruppe, die sich für das schnelle Ende aller Formen moderner Sklaverei einsetzt, den Bericht Bridging ESG Silos: The Intersection of Climate Change and Modern Slavery erstellt, der sich ausführlich mit klimabedingten Risiken moderner Sklaverei auseinandersetzt.
Zusammenhang zwischen Klima und Menschenrechten
2021 lebten Tag für Tag 50 Millionen Menschen in moderner Sklaverei. Trotz dieser schockierend hohen Zahl besteht ein mangelndes Verständnis des Zusammenhangs zwischen Klimawandel und moderner Sklaverei. Laut einer Prognose der Weltbank werden bis 2050 216 Millionen Menschen allein aus Gründen des Klimawandels gezwungen sein, innerhalb ihrer Heimatländer umzuziehen. Diese Zwangsmigration macht sie anfälliger für die Risiken von Menschenschmuggel und moderner Sklaverei.
Wir haben Empfehlungen formuliert und Tools entwickelt, mit denen Anleger klimabedingte Risiken moderner Sklaverei bewerten, offenlegen und steuern können. Der erste Schritt ist das Erkennen der Risiken.
Physische und Übergangsrisiken für die Menschenrechte
Der Klimawandel bringt vor allem zwei Arten von Risiken für die Menschenrechte mit sich:
Physische Risiken Akute physische Risiken beziehen sich auf „plötzlich einsetzende“ Ereignisse wie Stürme und Waldbrände. Chronische physische Risiken umfassen allmähliche Veränderungen oder „langsam einsetzende“ Ereignisse, beispielsweise Dürren, Wüstenbildung, steigende Meeresspiegel und Übersäuerung der Meere.
Sowohl plötzlich als auch langsam einsetzende Ereignisse können Häuser, Infrastruktur, Nahrungsmittel- und Wasserversorgung sowie Existenzgrundlagen zerstören. Menschen, die von Unwettern betroffen sind, können gezwungen sein, schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren oder auszuwandern, um eine neue Arbeit zu finden. Dies kann sie in die Hände von Menschenschmugglern treiben und womöglich dazu führen, dass sie Opfer von Ausbeutung werden.
Übergangsrisiken Der Übergang von fossilen Brennstoffen mit hohem Kohlenstoffgehalt zu CO2-freien erneuerbaren Energien bringt zwei Arten von Übergangsrisiken mit sich:
- Unter dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen können die Arbeitnehmer leiden, denen es entweder an den Fertigkeiten für die grüne Wirtschaft mangelt oder die nicht am richtigen Ort sind. Dies bedeutet, dass sie eher unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden und eher Opfer von Menschenschmuggel werden.
- Der Einstieg in erneuerbare Energien kann Risiken für die Menschenrechte bei der Projektumsetzung und in der Lieferkette schaffen, beispielsweise in den Bereichen Landkauf, Rohstoffförderung, Materialverarbeitung und Anlagenbau. Beispiele hierfür sind öffentlich gemachte Praktiken von Kinderarbeit in Kobaltminen und Zwangsarbeit in der Polysiliziumherstellung.
Zudem können klimabedingte Risiken für moderne Sklaverei und die Missachtung der Menschenrechte auch Risiken für Unternehmen und Anleger schaffen. Dazu gehören Rechtsrisiken (Verstoß gegen Bestimmungen zur Offenlegung moderner Sklaverei oder die Menschenrechts-Due-Diligence), Reputationsrisiken (Imageschaden für eine Marke durch Nichterfüllung der Erwartungen von Kunden oder Aktionären) und operationelle Risiken (Destabilisierung des Betriebs und der Lieferketten eines Unternehmens).
Diese Risiken können Anwaltskosten, Bußgelder, Strafzahlungen und einen Rückgang des Shareholder Value nach sich ziehen und bedeuten, dass Ressourcen vom Kerngeschäft eines Unternehmens abgezogen werden (Abbildung).
Der Übergang zu erneuerbaren Energien bietet natürlich auch Gelegenheiten, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zu verbessern. Die damit einhergehenden technologischen Innovationen können Gemeinschaften helfen, sich besser an Wetterereignisse anzupassen, und neue Arbeitsplätze im Bereich erneuerbarer Energien sowie neue wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten schaffen. Der Übergang ist aber beschwerlich, insbesondere für Schwellenländer, wo Arbeitnehmer im Sektor fossiler Brennstoffe womöglich stärker gefährdet sind, und Anleger sollten sich der Risiken bewusst sein.
Klimawandel und Risiken für die Menschenrechte: Beispiele aus der realen Welt
Um die Risiken für die Menschenrechte durch den Klimawandel im größeren Zusammenhang zu sehen, betrachten wir zwei Fallstudien aus der realen Welt, von denen eine das physische und die andere das Übergangsrisiko veranschaulicht.
Fallstudie: Supertaifun Haiyan
Der Supertaifun Haiyan forderte 6.300 Todesopfer, als er im November 2013 die Philippinen heimsuchte, und weitere 4,4 Millionen Menschen verloren ihr Heim. Am schwersten getroffen wurde die Region Eastern Visayas, die zu den ärmsten des Landes gehört, und für ihre Bewohner war das Risiko von Menschenschmuggel am größten.
Durch den Supertaifun waren Zehntausende gezwungen, aus den verwüsteten Gebieten zu fliehen. Viele von ihnen gingen in die Hauptstadt Manila. Nach dem Sturm nahmen die Berichte über Menschenschmuggel stark zu. 54% der untersuchten Dörfer meldeten, dass Kinder unter gefährlichen Bedingungen arbeiteten, und 39% gaben an, dass die Fälle von Kinderarbeit sprunghaft zugenommen hätten.
Fallstudie: Kobalt für erneuerbare Energien
Kobalt ist ein wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionenbatterien, die in der Branche erneuerbarer Energien eingesetzt werden. Aber es gab Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen in Kobaltminen. Schätzungen zufolge arbeiten weltweit mindestens 35.000 Kinder in Kobaltminen. Diese Minen werden oft illegal betrieben, und die Bergleute sind giftigem Staub ausgesetzt, der dazu führen kann, dass sie eine Lungenerkrankung, die „Hartmetall-Krankheit“, entwickeln.
Auf Unternehmen, die moderne Sklaverei in den Lieferketten des Sektors erneuerbarer Energien betreiben – ob direkt oder indirekt –, können rechtliche Konsequenzen wie Bußgelder, Strafzahlungen oder Gerichtsprozesse zukommen. 2019 wurde in den USA eine Sammelklage gegen fünf große Technologiekonzerne zugelassen, denen vorgeworfen wurde, sie hätten wissentlich von Kinderarbeit in ihren Kobalt-Lieferketten profitiert. Neben Prozessrisiken kann eine verschärfte Regulierung auch strengere Auflagen für die Berichterstattung und für Audits der Unternehmen in der Lieferkette mit sich bringen, wobei Unternehmen bei Zuwiderhandlung schwere Strafen drohen.
Eine Anlegertaktik zum Erkennen von Risiken
Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Risiken für die Menschenrechte kann intransparent sein. Da es um viel geht, sind wir der Auffassung, dass Anleger einen systematischen Ansatz bei der Erkennung klimabedingter Risiken für moderne Sklaverei verfolgen und sicherstellen sollten, dass ihre Sorgfaltsprüfungen Folgendes umfassen:
- Eine Prüfung, ob die arbeitsintensivsten Bereiche eines Unternehmens in Regionen angesiedelt sind, in denen langsam und plötzlich einsetzende Klimaereignisse möglich sind
- Eine Bewertung, inwieweit Unternehmen mit Sitz in Hochrisikoregionen Arbeitnehmerangelegenheiten wie z.B. das Risiko umfangreicher Migrationsbewegungen nach plötzlich einsetzenden Klimaereignissen oder das Zwangsarbeitsrisiko in den Lieferketten erneuerbarer Energien berücksichtigen
- Eine Analyse der Art und Weise, wie Unternehmen mit Sitz in Hochrisikoregionen Menschenrechts-Due-Diligence betreiben, um Risiken für moderne Sklaverei zu erkennen, und was sie tun, um diese Risiken zu minimieren
- Eine Untersuchung, wie Unternehmen mit Mitarbeitern, Zulieferern, Kunden und betroffenen Gemeinschaften einen aktiven Dialog führen und zusammenarbeiten, um die Auswirkungen von Dekarbonisierungsplänen zu bewerten und zu berücksichtigen
Der Klimawandel kann über seine Umweltfolgen hinaus auch komplexe, weitreichende Auswirkungen auf Menschenrechte haben. Nach unserem Dafürhalten können und sollten diese Risiken ein fester Bestandteil des fundamentalen Research von Anlegern sein. Wenn sie über das nötige Bewusstsein und Tools wie beispielsweise einschlägige Vorgaben und ergänzende Kennzahlen verfügen, können Anleger Risiken besser einschätzen und fundiertere Kapitalallokationsentscheidungen treffen.