Zwischen einer KI-Blase und einer Aktienmarktblase gibt es einen großen Unterschied. KI ist höchstwahrscheinlich eine generationsübergreifende Disruption und könnte sich als eine der größten in unserer Lebenszeit herausstellen. Die Anwendungsfälle für KI, ihr Einsatzumfang und die damit verbundene Kapitalrendite (ROI) befinden sich jedoch vermutlich erst in der Anfangs- oder frühen Wachstumsphase. Gleichzeitig könnten sich KI- und KI-Enabler-Aktien bereits in einer viel späteren Phase befinden. Das ist die Herausforderung, mit der sich Aktienanleger auseinandersetzen müssen. Diese sogenannte Aktienmarktblase konzentriert sich nicht nur auf KI, sondern wird durch überschüssige Liquidität aus der Geld- und Fiskalpolitik angeheizt und geht weit über KI hinaus. Die meisten Risikoanlagen, darunter Kryptowährungen und Meme-Aktien, werden hochgehandelt, obwohl sie nichts mit KI zu tun haben. Aktienanleger stehen daher vor einer schwierigen Entscheidung: Ist es besser, früh oder spät zu sein, falls sich die Marktexzesse deutlich korrigieren sollten? Das Timing ist schwierig und die Kosten für eine falsche Entscheidung sind auf beiden Seiten hoch.
Wie man das tatsächliche Potenzial erkennt und den Hype entlarvt
Zwar haben frühe KI-Pilotprojekte gemischte Ergebnisse erzielt, aber es ist noch zu früh, um von einem KI-Hype zu sprechen. Diese Enttäuschungen spiegeln einerseits die mangelnde Bereitschaft der Unternehmen wider, KI zu nutzen, und andererseits den frühen Entwicklungsstand der KI-Fähigkeiten. Es gibt aber auch einige große Erfolge, beispielsweise im Bereich der Programmierung: Hier haben Unternehmen Effizienzsteigerungen zwischen 25 und 40 Prozent erzielt. Ein weiterer sehr erfolgreicher Anwendungsfall ist der Kundenservice. Im Gesundheitswesen konnten zudem die Durchlaufzeiten und Kosten für die Bearbeitung und Einreichung von Leistungsansprüchen drastisch reduziert werden. Noch größere Anwendungsfälle sind unvermeidlich, aber sie lassen sich nicht im Voraus prophezeien. So wurde das iPhone beispielsweise 2007 auf den Markt gebracht, Uber jedoch erst 2010 gegründet und war erst viel später weit verbreitet. Bei der KI können wir uns also noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, welche Anwendungsfälle mit der Zeit möglich sein könnten.
Wir wissen jedoch, dass jedes Unternehmen und jede Branche KI einführen muss – wenn nicht zur Offensive, dann zur Verteidigung. Denn niemand kann es sich leisten, zurückzufallen. Um aufzuholen, müssen schließlich enorme technologische Defizite und erhebliche Wettbewerbsnachteile überwunden werden. Schließlich geht das Potenzial der KI weit über eine Effizienzsteigerung in Büroberufen hinaus. Wir sehen bereits erste physische KI-Anwendungen mit Robotern sowie autonome Vorgänge, wie das Autofahren. Die wichtigsten Kennzahlen, die es hierbei zu beobachten gilt, sind: die kontinuierliche Verbesserung von Modellen und Anwendungen, die weitere Senkung der Token-Kosten und nicht die durchschnittliche Kapitalrendite von KI, sondern die von Unternehmen, die eine Vorreiterrolle einnehmen und den Code zur Nutzung von KI geknackt haben. Denn wenn sie das tun, haben ihre Konkurrenten keine andere Wahl, als nachzuziehen.
Gibt es KI-Potenzial ohne übermäßige Risiken?
Da es nahezu unmöglich ist, Gewinner und Verlierer frühzeitig zu erkennen, müssen Investoren bei Investitionen in KI flexibel vorgehen und einen diversifizierten Ansatz verfolgen, um konzentrierte Wetten zu vermeiden. Aus dem Dotcom-Boom lassen sich Lehren ziehen. Hätten Sie 1999 in Dotcom-Gewinner investiert, dann hätten Sie AOL und Yahoo gekauft – zwei sogenannte Early Movers, die schließlich vom Markt verdrängt wurden. Die späteren großen Gewinner wie Google, Meta und Apple waren zu Beginn nicht offensichtlich. Deshalb ist es entscheidend, in einem sich wandelnden Umfeld flexibel zu sein und aktiv als auch selektiv an KI-Investitionen heranzugehen. Ich halte es für einen bedachtsamen Ansatz, sich in drei KI-Körben breiter zu engagieren: direkte KI-Nutznießer, indirekte KI-Nutznießer und KI-Anwender.
KI wird für viele Branchen, in denen die derzeitigen Marktführer vor dem Dilemma des Innovators stehen, sehr disruptiv sein. Daher ist es für Anleger ebenso wichtig, Unternehmen zu meiden, die durch KI verdrängt werden. Dazu zählen bestimmte Arten von Softwareunternehmen, IT-Dienstleistungsgruppen und Personalvermittlungsunternehmen. Am Ende lässt sich aber nichts mit Sicherheit vorhersehen, weswegen Anlegerinnen und Anleger sich, vor dem Hintergrund der Dotcom-Blase, um einen diversifizierten Ansatz bemühen sollten.
Von Shri Singhvi, Chief Investment Officer – Strategic Equities bei AllianceBernstein
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