Die Widerstandsfähigkeit insbesondere der US-Wirtschaft gegenüber der kräftigen geldpolitischen Straffung hat viele überrascht. Ist die Wirtschaft immuner gegen geldpolitische Zyklen geworden? Dann läge die Überzeugung nahe, dass die Zinsen länger hoch bleiben.
Allerdings wirken sich geldpolitische Maßnahmen erst mit Verzögerung vollständig in der Realwirtschaft aus, da die Wirtschaftsakteure Zeit brauchen, um ihre Entscheidungen und Handlungen anzupassen.
Straffungen und Bilanznormalisierungen wirken
In den vergangenen Monaten haben die geldpolitischen Straffungen und die Normalisierung der Zentralbankbilanzen jedoch begonnen, auf die Realwirtschaft durchzuschlagen. Dies gilt besonders für Europa, aber auch für die USA, wo die fiskalische Expansion, die für eine anhaltende Verbrauchernachfrage sorgte, diese Wirkung verzögerte. Die Fed schlug im Dezember gemäßigte Töne an. Sie sieht die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft nach wie vor intakt und erkennt das Risiko, ihr Inflationsziel zu unterschreiten. Für die Anleger war dies ein Zeichen dafür, dass die Fed den Leitzins schrittweise senken wird, um das US-Wachstum wieder anzukurbeln. Im Falle einer sanften Landung wird die Fed eine schnelle Rückkehr zu einem Leitzins anstreben, der eher dem neutralen Zinssatz entspricht. Sollte die Wirtschaft härter aufsetzen, wird sie die Zinssätze jedoch weitaus stärker senken, als die Märkte derzeit einpreisen. Es folgte eine deutliche Neubewertung von Risikoaktiva sowie eine Rally bei Staatsanleihen – ganz typisch für die Monate vor einem Zinssenkungszyklus und gleichzeitig unberechenbar, da der Wechsel von „höher für länger“ zu „die Zinsen werden fallen“ abrupt erfolgte. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich dies in den kommenden Monaten ändern wird. Vom „höher für länger“ werden sie sich auf das Mantra „niedriger für länger“ zubewegen, das vor der Corona-Krise galt. Die Realität wird wie immer irgendwo dazwischen liegen, aber die relative Vorhersehbarkeit der Marktreaktionen kann man nutzen, um sich zu positionieren.
EZB riskiert politischen Fehler
In Europa gab es schon seit dem zweiten Quartal 2023 Warnsignale in bestimmten Bereichen der Wirtschaft. Obwohl China seine Corona-Lockdowns beendet hatte, die Energiepreise fast auf Vorkriegsniveau gesunken waren und die Inflation zu sinken begann, ließ die Erholung in diesen Bereichen auf sich warten. Die Lage des verarbeitenden Gewerbes verschlechterte sich entgegen vieler Vorzeichen weiter, vor allem wegen der inflationsbedingt schwachen Inlandsnachfrage. Im Laufe des Sommers ließ zudem die internationale Nachfrage nach europäischen Waren nach. Selbst der Dienstleistungssektor fiel im tourismusstarken August in den Bereich der Kontraktion.
Zahlreiche Wirtschaftsdaten deuten darauf hin, dass der Teufelskreis von sinkender wirtschaftlicher Aktivität und steigender Arbeitslosigkeit bereits im Gang ist. Befindet sich Europa in einer Rezession? Folgt man der Definition, der zufolge eine Rezession bei zwei aufeinander folgenden Quartalen mit einem negativen realen BIP-Wachstum besteht, dann befinden sich über 25% der EU-Länder in einer Rezession. Außerdem verzeichnete mehr als die Hälfte der europäischen Länder im dritten Quartal 2023 ein schrumpfendes reales BIP. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie in eine Rezession fallen werden. Es ist jedoch schwierig, eine Änderung der Dynamik zu erkennen, zumal sich die zugrundeliegenden Konjunkturdaten weiter verschlechtert haben. Zum Gegensteuern sollte die EZB mit Zinssenkungen beginnen. Leider ist sie dazu nicht bereit und riskiert damit einen schweren politischen Fehler.
Markt(über)reaktionen eröffnen Chancen für die eigene Positionierung
Die entwickelten Märkte erreichen die nächste Phase im Wirtschaftszyklus. Auch wenn noch nicht klar ist, ob wir eine weiche oder eine harte Landung erleben werden, wird dies zu einer Neubewertung der Zinssätze führen. Selbst die Rückkehr zum neutralen Zinssatz, der in den USA derzeit auf etwa 3% geschätzt wird, bedeutet Marktzinsen, die deutlich unter dem derzeitigen Niveau liegen. Nimmt die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung zu, wird die Zinsschraube schneller und stärker gelockert.
Bis die Zentralbanken die nächste Phase ihres geldpolitischen Zyklus bestätigen, werden die Finanzmärkte großen Schwankungen unterworfen sein. Denn wenn die Daten besser oder schlechter ausfallen als erwartet, wird sich die Stimmung der Anleger schnell in die entgegengesetzte Richtung bewegen; die Märkte werden abrupt umschlagen. Dies sollte jedoch weiterhin gute Einstiegspunkte bieten, um sich für die erwartete Richtung der Zinssätze zu positionieren.
Von Lowie Debou und André Figueira de Sousa, Fixed-Income-Fondsmanager bei DPAM