Auch wenn es unter der Regierung von Präsident Boric nicht gelang, wichtige Verfassungsreformen durchzusetzen, gab es wichtige Erfolge: Die chilenische Wirtschaft hat die zweistellige Inflation überwunden und normalisiert sich – anders als in vielen Nachbarländern. Die Regierung hielt zudem die Staatsverschuldung unter 45% des BIP. Der Dienstleistungsexporte wuchsen und die Aussichten für die regionale Handelsintegration sind gut.
Diversifizierte Wirtschaft und Rentenreform
Darüber hinaus bemüht sich Chile um eine Diversifizierung seiner Wirtschaft, vor allem in Richtung Bergbau und Energieinfrastruktur, u.a. mit umfangreichen Investitionen in die Lithiumgewinnung und Meerwasserentsalzung. Projekte im Bereich erneuerbare Energien haben großes Potenzial, doch die veraltete Übertragungsinfrastruktur bleibt ein Engpass. Auf dem Weg zu künftigen Fortschritten muss diese Infrastruktur modernisiert und Genehmigungsverfahren gestrafft werden.
Die herausragende Leistung der Regierung war eine umfassende Rentenreform, nach Jahrzehnten des Stillstands. Seitdem hat sich die Fairness und Nachhaltigkeit des Systems erheblich verbessert.
Anhaltende Probleme
Trotz wirtschaftlicher Stabilität und erfolgreicher Rentenreform konnte die allgemeine Enttäuschung der Bevölkerung kaum gemildert werden, wozu steigende Kriminalitätsraten und gewalttätige Bandenkriminalität beitragen. Auch die illegale Einwanderung, insbesondere aus Venezuela und Haiti, ist politisch umstritten.
Seit die Stromsubventionen aus der Pandemiezeit ausliefen, belasten Strompreiserhöhungen die Bevölkerung und haben das Vertrauen in die Regierung erschüttert. Das BIP-Wachstum blieb hinter den Erwartungen zurück. Die Opposition schlägt die Senkung der Unternehmenssteuern und den Abbau von Bürokratie vor, um ein Wachstum von 3% zu erreichen.
Die Alterung der Bevölkerung wird immer mehr zu einer Herausforderung für die künftige Produktivität und die öffentlichen Finanzen. Darüber hinaus könnte sie das neue Rentensystem zusätzlich belasten. Der Arbeitsmarkt schwächelt, da Investitionssektoren wie Bergbau und Energie nur begrenzt Arbeitsplätze schaffen.
Autoritäre Nostalgie
Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit sind bei den Präsidentschaftswahlen im November und Dezember 2025 rechts- und linksgerichtete Kandidaten auf dem Vormarsch, darunter José Antonio Kast, der die wirtschaftliche Liberalisierung und die Sicherheitspolitik des Pinochet-Regimes bewundert, sowie Jeanette Jara aus der Kommunistischen Partei. Die wachsende Unterstützung für Kast unterstreicht das Verlangen eines Teils der Wählerschaft nach einer harten Haltung gegenüber Kriminalität und Einwanderung, während Jara die starke Unterstützung für ihren linken, aber pragmatischen Ansatz widerspiegelt. Immerhin dürfte die Einführung der Wahlpflicht im Jahr 2025 moderaten Kandidaten und einer Politik der Mitte zugutekommen.
Von Michael Vander Elst, Leiter Emerging Market Debt bei DPAM
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