Der russische Einmarsch in die Ukraine ist auch für die Finanzmärkte eine Herausforderung. Zuvor hatten schon die hohe Inflation und die steigenden Zinsen für Unruhe gesorgt.
Selbst wenn die russischen Truppen schnell Fakten schaffen – womit zurzeit eher weniger zu rechnen ist –, werden die notwendigen Strafmaßnahmen und Sanktionen gegen Russland langfristige wirtschaftliche Auswirkungen haben.
Einige große Themen werden dadurch noch wichtiger – nicht nur die voraussichtlich stärkeren Konjunktur- und Marktschwankungen, sondern auch eine gegenüber 2021 höhere Inflation bei schwächerem Wachstum. Die Teuerung dürfte höher sein, als es in den gesamten letzten 20 Jahren der Fall war. Auch ein weiteres Asset-Allokations-Thema wird dadurch noch wichtiger: Rohstoffe sollten wieder ein maßgeblicher Portfoliobestandteil werden.
Russland: Ein wichtiger Exporteur
Die russischen Exporte betragen selten mehr als 500 Milliarden US-Dollar im Jahr. Bei einem Welthandelsvolumen von etwa 30 Billionen US-Dollar scheint das nicht viel.
Bei Rohstoffen sieht es jedoch ganz anders aus: Sie machen fast 40 Prozent der russischen Exporte aus. Der Streit um Nord Stream 2 zeigt, wie wichtig Russland für die Energieversorgung Europas ist. Das Land ist aber auch ein wichtiger Exporteur von Aluminium – ein bereits jetzt knappes Gut – sowie von Palladium, Platin, Nickel und Kupfer. Sowohl Russland als auch die Ukraine sind wichtige Weizenlieferanten. Sanktionen und Lieferstörungen könnten das Angebot an diesen Rohstoffen in den nächsten Monaten verringern.
Es gab einige Gründe warum Rohstoffe schon vor der letzten Woche ein zentrales Thema für die Asset-Allokation waren. Vor einem Jahr berichtete Neuberger Berman über die traditionelle Korrelation von Rohstoffpreisen und Inflation. So erklärte der Vermögensverwalter zuletzt, dass die Rohstoffpreise vor allem bei der Kombination aus hoher Inflation und einem schwachen oder nachlassenden Wirtschaftswachstum stark zulegen.
In den nächsten Monaten und Jahren rechnet man bei Neuberger Berman mit weniger Wachstum und mehr Inflation – nicht zuletzt weil, die Notenbanken jetzt trotz der schwächeren Konjunktur die Inflation dämpfen müssen. Eine Rezession in den USA bildet noch immer nicht das Hauptszenario, doch könnte der russische Einmarsch in die Ukraine das Wachstum dämpfen und, wichtiger noch, für mehr Inflation sorgen.
Auch das langfristige Ziel der Klimaneutralität durch weniger fossile Brennstoffe hat Einfluss auf die Rohstoffmärkte und könnte langfristig für Inflationsdruck sorgen. Neuberger Berman rechnet weiterhin mit hohen Preisen klassischer Energieträger, da das Angebot wohl sinkt, bevor mehr erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Die Nachfrage nach Industrie- und Edelmetallen dürfte ebenfalls steigen, wenn für das Netto-Null-Ziel die Infrastruktur für erneuerbare Energien ausgebaut, die Elektrifizierung vorangetrieben und die Batterieproduktion ausgeweitet wird.
Auch hier gilt, dass Sanktionen die nötigen Rohstoffe noch knapper machen. Zu groß ist die Bedeutung Russlands für die Weltmärkte für Energie, Aluminium, Palladium, Platin, Nickel und Kupfer.
Langfristige Terminkontrakte zunehmend attraktiv
Das wachsende Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hat nicht nur Rohstoff-Futures teurer werden lassen. Mittlerweile befinden sich fast alle Warenterminkurven in der Backwardation. Kurzfristigere Terminkontrakte sind also teurer als langfristigere. Das schafft einen neuen Investitionsanreiz: Anleger können von einem kurzfristigen Kontrakt in einen längerfristigen umzuschichten, um weiter investiert zu bleiben und damit verdienen.
Schließlich können Rohstoffe auch ein wichtiges Diversifikationsinstrument sein, wenn die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen zunimmt. Seit Anfang Dezember ist der Bloomberg Commodity Index um etwa 22 Prozent gestiegen. Aktien liegen hingegen zweistellig im Minus, und der Global Aggregate Bond Index hat etwa 3,5 Prozent verloren.
Rohstoffe sind nur eine der Assetklassen, mit denen man aus der Sicht von Neuberger Berman ein Portfolio vor Inflation schützen und vielleicht sogar davon profitieren kann. Zweifellos ist sie aber eine der wichtigsten. Aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt wegen des tragischen und zerstörerischen Angriffs auf die Ukraine, sind sie jetzt für noch wichtiger für ein diversifiziertes Portfolio.
Erik Knutzen, Chief Investment Officer, Neuberger Berman