„In ihrer Sitzung am Donnerstag hat die EZB bekräftigt, eine Normalisierung ihrer Geldpolitik anzustreben und wichtige wirtschaftliche Unterschiede zwischen der Eurozone und den USA eingeräumt. Sie hält an ihrer Agenda fest, ihre Maßnahmen expansiver Geldpolitik schrittweise zu reduzieren. Die EZB hat also kein früheres Ende ihres derzeitigen APP angekündigt. Demnach sieht sie keine Not, sofort mit der Anhebung ihrer Leitzinsen zu beginnen. Kurzfristige Anleihen sollten sich daher besser entwickeln, während langfristige Anleihen durch das Risiko eines zu späten Handelns der EZB gefährdet sein könnten.
Die EZB geht davon aus, dass die russische Invasion den Anstieg der Inflationsrate beschleunigt hat: Der größte Teil des Preisauftriebs ist auf die Energie- und Lebensmittelpreise zurückzuführen. Die Inflationsentwicklung hänge also eher von der Dauer des Krieges in der Ukraine ab als von der Politik der EZB. Darüber hinaus stellte die EZB fest, dass der Lohnanstieg bisher recht verhalten ist, räumte aber ein, dass sich der Preisanstieg weiter verbreitet hat. Die auf der letzten März-Sitzung angekündigte Änderung der EZB-Politik hat bereits zu Spannungen im Markt und schärferen Kreditvergabebedingungen der Banken geführt. Dies dürfte dazu beitragen, den Inflationsanstieg im späteren Verlauf dieses Jahres zu kontrollieren.
Unserer Meinung nach hat der Markt die aktuellen Beschlüsse der EZB und ihre möglichen zukünftigen Entscheidungen bereits eingepreist. Im Zuge dessen sind kurzfristige Anleihen, die nun wieder positive Renditen erzielen, eine Anlagemöglichkeit für die kommenden Quartale. Die Tatsache, dass die EZB neue Entscheidungen in den Juni verschoben hat, zeigt uns, dass der Kampf gegen die Inflation keine akuten Notfallmaßnahmen rechtfertigt. Deshalb erwarten wir, dass der Ausverkauf am Anleihemarkt endet."
Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman