CIO Weekly | Das EZB-Trilemma

Droht eine neue Euroraumkrise, oder hat die EZB ein wirksames Mittel gegen steigende Spreads südeuropäischer Anleihen? Neuberger Berman | 06.07.2022 14:24 Uhr
Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income & Ugo Lancioni, Head of Global Currency, Neuberger Berman / © Neuberger Berman
Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income & Ugo Lancioni, Head of Global Currency, Neuberger Berman / © Neuberger Berman
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die heutigen CIO Weekly Perspectives stammen von unseren Gastautoren Patrick Barbe und Ugo Lancioni.

Viel wurde darüber geschrieben, wie schwer es die Fed in den nächsten Monaten hat. Sie will die Verbraucherpreisinflation von zurzeit 8,6% senken – aber ohne Rezession und massiven Stellenabbau.

Und die EZB? Auch sie will Wachstum und Vollbeschäftigung, bei einer Ausgangslage mit negativen Leitzinsen und ebenfalls 8,6% Inflation. Aber sie muss noch etwas anderes beachten: den Zinsabstand zwischen deutschen und südeuropäischen Staatsanleihen. Vor zehn Jahren geriet der Euroraum dadurch in eine echte Existenzkrise.

Am 21. Juli wird die EZB voraussichtlich Einzelheiten ihres „Anti-Fragmentierungsprogramms“ vorstellen. Wie wird es aussehen? Wird es reichen? Und ist es schon in den Kursen berücksichtigt?

Inflationsdruck

Europa hat ein Inflationsproblem. Der Krieg in der Ukraine sorgt hier für einen besonders starken Preisauftrieb. Als der EU-Inflationsindex in Deutschland letzte Woche nur um 8,2% z.Vj. und nicht um die erwarteten 8,8% stieg, war man erleichtert. Die spanische Inflation war aber mit 10% z.Vj. überraschend hoch, und auch für den Euroraum als Ganzes wurde am Freitag mit 8,6% eine überraschend hohe Teuerung ausgewiesen.

Wenig hilfreich ist die Schwäche des Euro gegenüber dem US-Dollar. Seit Jahresbeginn hat die Gemeinschaftswährung über 8% verloren, was Energieimporte noch teurer macht. Wenn schon die Fed zu spät auf die höhere Inflation reagiert, gilt das aus Sicht der Märkte erst recht für die EZB: Der Euro ist gefallen, obwohl man im Euroraum in den nächsten drei Jahren mit mehr Zinserhöhungen rechnet als in den USA.

Die immer schärfere Rhetorik von EZB-Chefin Christine Lagarde kommt daher nicht überraschend.

Auflösungsspekulationen

Die harten Worte führen aber zu einem Problem. Sie lassen nicht nur die deutschen Renditen steigen, die seit Jahresbeginn bereits um über 155 Basispunkte zugelegt haben, sondern weitaus mehr noch die Renditen in Südeuropa. Die viel beachtete italienische Zehnjahresrendite hat schon um 212 Basispunkte zugelegt.

Als die EZB am 9. Juni das Ende des Quantitative Easing bekannt gab und mit Zinserhöhungen begann, stieg der Spread zwischen italienischen und deutschen Zehnjahresrenditen rasch auf 240 Basispunkte. Viele Investoren fürchten, dass bei 250 Basispunkten wieder die bekannten und gefährlichen Spekulationen über ein Auseinanderbrechen des Euroraums beginnen.

Eine straffere Geldpolitik lässt die italienischen Länderspreads steigen, weil weniger großzügige Kreditbedingungen das Wirtschaftswachstum dämpfen. Hinzu kommt, dass viele Investoren südeuropäische Anleihen leerverkaufen, um Portfolio- und Kreditrisiken zu mindern.

Daran ändert auch der recht gute italienische Fundamentalausblick nichts. Beim Staatsdefizit dürfte Italien sogar besser dastehen als andere Länder, die mit hohen Ausgaben die Kaufkraftverluste durch die Inflation abmildern wollen.

Spekulative Volatilität

Die EZB arbeitet daher an einem Anti-Fragmentierungsprogramm, damit die südeuropäischen Spreads beim Kampf gegen die Inflation nicht zu sehr steigen. Allein die Ankündigung reichte aus, um die italienischen Spreads um über 50 Basispunkte fallen zu lassen, auf das Niveau von Mitte Mai.

Ist der Optimismus des Marktes gerechtfertigt? Hier gilt es unserer Ansicht nach drei Fragen zu beantworten.

Werden die Anleihenkäufe im Rahmen des neuen Programms begrenzt oder an Bedingungen geknüpft? Es ist schwer vorstellbar, dass ein Kaufprogramm mit solchen Einschränkungen funktioniert. Der Markt wurde in Versuchung geführt, es zu testen. Und zusätzliche Bedingungen könnten viele Länder davon abhalten, es zu nutzen.

Lassen sich Anleihenkäufe auf einzelne Länder beschränken? Früher richteten sich die Käufe nach dem Kapitalschlüssel des Eurosystems. Je größer der Anteil eines Landes am Kapital der EZB war, desto mehr seiner Anleihen wurden gekauft.

Man kaufte also nicht gezielt die Titel jener Länder, die es am nötigsten hatten. Heute wäre das wohl ein noch größeres Problem: Die EZB will ja gerade nicht, dass die kerneuropäischen Renditen fallen und damit der Inflationsdruck zunimmt. Das neue Instrument muss sich daher auf bestimmte Länder konzentrieren. Vermutlich werden die Anleihenkäufe dann sterilisiert, damit die Geldmenge nicht steigt.

Wird mit den Käufen ein bestimmter, fundamental angemessener Spread angestrebt? Wir glauben nicht, dass die EZB das für ihre Aufgabe hält. Das Programm soll vielmehr spekulative Spreadausweitungen verringern, indem es die Märkte davon überzeugt, dass Leerverkäufe südeuropäischer Anleihen kein wirksamer Risikoschutz mehr sind. Wenn das gelingt, können die Spreads über kurz oder lang wieder fundamental korrekt sein.

Das Handtuch werfen?

Generell rechnen wir mit einem Programm, das so schnell aktiviert werden kann und an so wenige Bedingungen geknüpft ist wie die Outright Monetary Transactions (OMT) – und das wie das Securities Markets Programme (SMP) Anleihen aus allen Ländern kaufen kann. Das Ziel dürfte sich aber von beiden Programmen unterscheiden: Man will die Spekulation gegen südeuropäische Anleihen beenden und erreichen, dass ihre Spreads wieder zu den Fundamentaldaten zurückkehren.

Wird sich der Markt überzeugen lassen?

Wir halten die Lage für besser als vor zehn Jahren. Der Krieg in der Ukraine hat die europäische Solidarität gestärkt. Der italienische Premierminister Mario Draghi genießt einen großen Vertrauensvorschuss als hoch angesehener früherer EZB-Präsident. Am wichtigsten könnte aber sein, dass Deutschland, dessen Rolle in der letzten Krise kritisiert wurde, wegen der Energiepreisinflation jetzt ebenfalls großes Interesse an einer Lösung hat.

Trotz des Spreadrückgangs nach Bekanntgabe der EZB-Pläne glauben wir, dass die vollen Auswirkungen des Anti-Fragmentierungsprogramms noch nicht in den Spreads berücksichtigt sind. Manche Spekulanten haben zwar schon das Handtuch geworfen, aber langfristige Investoren scheinen noch abzuwarten.

Rezessionen und eine negative Marktstimmung sind für alle risikobehafteten Wertpapiere schlecht – auch für italienische Staatsanleihen. Dennoch glauben wir, dass die italienischen Spreads durch das neue Anti-Fragmentierungsprogramm wieder zurückgehen könnten.

Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income, Neuberger Berman
Ugo Lancioni, Head of Global Currency, Neuberger Berman

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