„Der Marktkonsens geht in dieser Woche mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent von einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte aus. Mit Blick auf die großen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten ist es sinnvoll, dass die EZB ihre Leitzinsen weiter anhebt, aber in Zukunft ihre Forward Guidance beendet. Die gute Nachricht ist, dass die Industrie im Euroraum dank des Rückgangs der Energiepreise um eine Rezession herumkommen sollte. Dennoch dürften sich die aktuellen Bedrohungen für die Eurozone langfristig auf die Investitionen auswirken. Ein solcher Zinssprung wird den Immobilienmarkt, den Konsum und sicherlich zeitlich verzögert auch Unternehmen belasten. Insbesondere der Konsum hat bereits im vierten Quartal 2022 mit dem Rückgang der Ersparnisse, Schwäche gezeigt.“
Auch mit Rückgang der Energiepreise: Kerninflation bleibt dauerhaft hoch
„Das Hauptziel der Europäischen Zentralbank ist eindeutig, das Inflationsrisiko einzudämmen. Auch wenn die Gesamtinflation im Euroraum mit dem Rückgang der Energiepreise ihren Höhepunkt erreicht haben dürfte, gilt dies noch nicht für die Kerninflationsrate. Diese hat mit 5,2 Prozent im Dezember zuletzt einen neuen Höchststand erreicht – weit über dem EZB-Ziel von 2 Prozent. Zudem befürchtet die EZB, dass die Inflation einen Zweitrundeneffekt befeuert, der lange genug anhält, um die Löhne übermäßig in die Höhe zu treiben.“
Zur Entscheidung der EZB, seit Oktober Mittel aus fällig werdenden Anleihen verstärkt in „grünere“ Anleihen zu reinvestieren, meint Patrick Barbe:
„Dies ist eine wichtige Veränderung, die den Anleihemarkt aufgrund der Summierung der Käufe im Laufe der Zeit zunehmend beeinträchtigt werden dürfte. Insbesondere ab März nächsten Jahres, wenn die EZB die Reinvestitionen von fälligen Anleihen aus dem Portfolio ihres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) um die Hälfte reduziert. In diesem Zuge könnte die EZB zudem Anleihen von Emittenten mit schlechten Nachhaltigkeits-Ratings verkaufen.“
Wie bewertet die EZB die verschlechterten Kreditkonditionen? Wichtiger Indikator für weitere Geldpolitik:
„Es gibt viele Themen, die wir bei der Sitzung am Donnerstag im Auge behalten werden. Erstens werden wir darauf achten, inwiefern sich die optimistischen Wirtschaftsprognosen und die pessimistischen Inflationsprognosen der EZB verändern, nachdem die Energiepreise gesunken sind und sich die Schwäche des Wohnungsbaus und des Konsums bestätigt haben. Zweitens ist für uns interessant, wie die EZB die deutliche Verschlechterung der Kreditkonditionen der Geschäftsbanken bewertet – ein wichtiger Indikator für die Geldpolitik der EZB. Und drittens wird erwartet, dass sich die EZB dazu äußert, wie sie die zeitliche Verzögerung der wirtschaftlichen Reaktionen auf ihre Geldpolitik bewertet. Der Markt sieht darin eine Umkehrung der Zinsstrukturkurve: Dies wiederum würde die die wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer letzten und künftigen Zinserhöhungen verringern.“
Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman