Im Grunde besteht die Portfoliokonstruktion aus drei Schritten.
Erst macht man sich ein Bild von Wirtschaft und Märkten. Dann leitet man daraus eine Asset-Allokation ab. Und schließlich passt man sie an seine eigenen Rahmenbedingungen und Vorgaben an.
In den letzten Wochen haben vor allem vier Beobachtungen unser Bild von den sich schnell und grundlegend ändernden Finanzmärkten bestimmt.
An dieser Stelle fassen wir unsere Beobachtungen zusammen. Wir zeigen, was sie in der Praxis bedeuten und warum wir glauben, dass sie auch über 2023 hinaus wichtig sein werden.
Vier Beobachtungen
Zunächst gehen wir davon aus, dass sich die Rahmenbedingungen grundlegend verändert haben. Mehr als zehn Jahre lang waren die Zinsen gefallen, aber nach ihren Allzeittiefs legten sie rasch wieder zu. Anleihen werden dadurch sehr viel attraktiver, auch gegenüber anderen Assetklassen. Ihr Risiko-Ertrags-Profil verbessert sich, und vielleicht nimmt auch die Korrelation mit Aktien ab.
Zweitens haben wir den Eindruck, dass man trotz gegenteiliger Beteuerungen der Notenbanken am Markt noch immer mit einer Wende der Geldpolitik noch in diesem Jahr rechnet. Wir nehmen die Notenbanken im Großen und Ganzen beim Wort und glauben, dass die Geldpolitik straff bleibt.
Drittens fällt auf, dass sich Top-down- und Bottom-up-Einschätzungen deutlich auseinanderentwickeln. Viele Volkswirte sind wesentlich pessimistischer als Unternehmensanalysten und CFOs.
Die vierte Beobachtung ist schließlich, dass die Finanzbedingungen insgesamt sehr viel straffer geworden sind. Solche Anpassungen sind selten einfach. Marktverzerrungen und Liquiditätsengpässe sind die Regel.
Kapitalstrukturen
Was aber bedeutet das für Anlageentscheidungen und Asset-Allokation? Offensichtlich haben die ersten drei Punkte viel miteinander zu tun.
Auch glauben wir, dass sich die Diskrepanz zwischen Makro- und Mikroebene in den einzelnen Assetklassen unterschiedlich auflöst.
Wenn die Notenbanken selbst um den Preis eines stärkeren Abschwungs die Inflation besiegen wollen, kann das Unternehmensgewinnen und Aktienkursen schaden. Die Coupons der Anleihen scheinen aber recht sicher, da die meisten CFOs die Finanzen solide gemanagt haben. Bei Aktien stehen wir 2023 aufseiten der Volkswirte, bei Credits vertrauen wir eher den Bottom-up-Analysten, die die guten Fundamentaldaten betonen.
Im Aktienbereich setzen wir daher auf Qualitätstitel und Substanzwerte. Generell halten wir Unternehmensanleihen dieses Jahr für attraktiver als Aktien, vor allem wegen der wieder höheren Renditen.
Liquidität
Turbulenzen, Marktverzerrungen und Liquiditätsengpässe scheinen uns bei börsennotierten und nicht börsennotierten Anlagen gleichermaßen möglich.
Neben den krisengeplagten Kryptowährungen machte in diesem Finanzzyklus vor allem ein Markt mit Turbulenzen von sich reden, der sonst als stabil und hochliquide gilt: britische Staatsanleihen. Die Bank of Japan müht sich nach Kräften, einen ähnlichen Einbruch ihres Staatsanleihenmarktes zu verhindern, wenn sie die Geldpolitik normalisiert. Er könnte große Folgen für die internationalen Kapitalströme haben, die eine kurzfristige Liquid-Alternatives-Strategie wie Global Macro wie bereits 2022 nutzen könnte.
Märkte mit der Aussicht auf kurzfristige und zugleich unkorrelierte Erträge könnten 2023 sehr interessant werden. Aus anderen Gründen als Global Macro halten wir Insurance-Linked-Strategien zurzeit für sehr interessant, zumal sie ähnliche Diversifikationsvorteile bieten. CAT-Bonds sind mit Aktien und Anleihen von Natur aus unkorreliert, und Rückversicherer benötigen nach einem Jahr mit vielen Katastrophen wie Hurrikan Ian neues Kapital. Die Risikoprämien sind daher stark gestiegen.
Nicht börsennotierte Titel – Private Equity, Private Debt und Sekundärmarktanlagen – scheinen uns wiederum für langfristige Investoren sehr interessant.
Wer in Zeiten wie diesen in Private Equity investiert hat, hat in der Vergangenheit oft sehr viel verdient. Zwar wartet noch immer viel Kapital auf Anlagemöglichkeiten, doch sind die Kassen der einzelnen Private-Equity-Gesellschaften unterschiedlich gefüllt. Viele nicht börsennotierte Unternehmen haben es wegen des sogenannten Denominator-Effekt nicht leicht, an Kapital zu kommen. Anleger halten sich zurück, weil ihr Portfolioanteil von Private Equity wegen der fallenden Aktienkurse stark gestiegen ist. Das führt zu interessanten Einstiegskursen.
Um die günstigen Bewertungen zu nutzen, brauchen Private-Equity-Sponsoren Fremdkapital. Weil sich die meisten Banken aus dem Geschäft mit syndizierten Krediten zurückgezogen haben, zahlen sie höhere Zinsen, um private Kreditgeber zu finden.
Solche privaten Kreditgeber können auch damit verdienen, dass Unternehmen ihre Kapitalstrukturen verbessern wollen – sei es durch spezielle Wertpapiere wie Preferred Stock oder durch einfache First-Lien-Kredite.
Auch der Sekundärmarkt für Private Equity wurde zu einem Käufermarkt mit erheblichen Abschlägen, da sowohl Limited Partner als auch General Partner in Zeiten mit weniger Börsengängen und Übernahmen alternative Finanzierungen für ihre Portfoliounternehmen suchen.
Herausforderung für die Lösungen
Wir setzen also eher auf laufenden Ertrag als auf Wertzuwachs und legen Wert auf einen höheren Rang in der Kapitalstruktur, sodass wir Credits gegenüber Aktien bevorzugen und generell wieder mehr in Anleihen investieren. Außerdem legen wir taktischer an, um neue Chancen durch liquide und illiquide alternative Anlagen zu nutzen.
Im dritten Schritt geht es jetzt darum, wie das praktisch umsetzbar ist.
Für jeden von uns gelten andere Rahmenbedingungen. Wir werden verschieden besteuert und sind unterschiedlich risikobereit. Regulierungsvorschriften, Zahlungsverpflichtungen und Liquidität unterscheiden sich ebenfalls. Kann ein öffentlicher Pensionsplan noch mehr in Private Capital investieren, wenn dessen Anteil wegen des Denominator-Effekts schon sehr hoch erscheint? Wie kann eine Versicherung die Lücke zwischen der Buchrendite und der jetzt wieder attraktiven Marktrendite schließen, ohne die Verluste der bisherigen Festzinsanlagen zu realisieren?
Der erste Schritt war eine analytische Herausforderung, der zweite Schritt eine Herausforderung für Portfoliomanager. Im dritten Schritt geht es darum, die beste Lösung zu finden. Für 2023 und danach erwarten wir daher noch etwas anderes: Die Kunden werden von ihren Assetmanagern sehr viel mehr Unterstützung verlangen. Unsere Branche muss darauf vorbereitet sein. Sonst könnten interessante Chancen verpasst werden.
Von Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer, EMEA – Multi-Asset Class bei Neuberger Berman
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