CIO Weekly | Ein neues Trilemma?

Sind niedrigere Staatsschulden, positive Realzinsen und die Finanzierung der Energiewende miteinander vereinbar? Neuberger Berman | 14.04.2023 11:56 Uhr
Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer, Multi-Asset Class - EMEA, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer, Multi-Asset Class - EMEA, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Vor 60 Jahren beschrieben John Fleming und Robert Mundell das „Trilemma“ offener Volkswirtschaften.

Feste Wechselkurse, freier Kapitalverkehr und eine unabhängige Geldpolitik seien nicht gleichzeitig möglich: Wenn beispielsweise der Zins weltweit 5% beträgt und eine Notenbank ihren Leitzins auf 3% festsetzt, führt der freie Kapitalverkehr zu Kapitalflucht und Währungsabwertung. Zwar lässt sich der Wechselkurs durch den Verkauf ausländischer Aktiva verteidigen, aber nur so lange, wie die Reserven reichen. Sie haben die Wahl.

Letzte Woche schrieb Joe Amato über das Trilemma der Notenbanken. Ein ähnliches Trilemma halten wir in den nächsten Jahren auch an den Kapitalmärkten für möglich.

Kann man wirklich gleichzeitig (1) Staatsschulden und Staatsausgaben senken, (2) bei freiem Kapitalverkehr einen positiven Realzins in altbekannter Höhe erreichen und (3) ausreichend in Infrastruktur investieren, damit die Anpassung an den Klimawandel und die Dekarbonisierung der Wirtschaft gelingen?

Es gibt viele konkrete Prognosen zu einem oder zweien dieser Punkte – aber der dritte wird meist außer Acht gelassen.

Wie können wir etwa die Energiewende finanzieren, wenn die Staatsschulden fallen und die Zinsen steigen müssen?

Als Gesellschaft müssen wir uns entscheiden. Verschiedene Länder können zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, die für langfristige Investoren stets wichtig sind. Wenn sich die Vergangenheit wiederholt, könnte sich der Staat in einem Umfang in die Wirtschaft einschalten, wie man ihn vor allem aus Emerging Markets kennt. Im Westen ist uns das fremd.

Staatliche Interventionen

Nehmen wir zunächst an, dass die nötigen Investitionen für die Energiewende und die Anpassung an den Klimawandel wirklich stattfinden. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die viele Billionen US-Dollar kostet.

Wir glauben, dass dieses Ausmaß staatliche Interventionen erfordert. Die Erfahrungen mit ähnlich großen Ausgaben in der Vergangenheit – etwa durch Krieg und Wiederaufbau – sprechen dafür, dass die Staatsschulden ceteris paribus steigen.

Auf welche der beiden anderen Ziele unseres Trilemmas müssen wir dann verzichten?

Manche Regierungen richten begehrliche Blicke auf die hohen inländischen Ersparnisse und die Kapitalanlagen der Versicherungen, weil viel Kapital bei geringeren Risiken und mit besseren Ertragsaussichten anderswo investiert wird. In Europa etwa wollen sowohl die EU als auch Großbritannien nach dem Brexit die Solvency-II-Regeln für Versicherungen ändern. Sie sollen mehr in inländische Sachwerte investieren, und zwar langfristig.

Im traditionellen Herbststatement sagte der britische Finanzminister Jeremy Hunt letztes Jahr, dass eine Reform „zig Milliarden Pfund“ für Infrastrukturinvestitionen freimachen soll.

Andere wollen stattdessen die Notenpressen anwerfen und versuchen, den Finanzbedarf zum Teil mit Geldschöpfung und gezielten Reformen des Bankensektors zu decken.

Nach der jüngsten Bankenkrise könnte die erforderliche umfassendere Einlagensicherung mit einer strengeren Regulierung einhergehen, mit strengeren Regeln für Kreditvergabe und Investitionen. Damit die Energiewende „gerecht“ wird, wurde auf der COP27-Konferenz letztes Jahr auch eine höhere Kreditvergabe der Weltbank und anderer Entwicklungsländer vorgeschlagen, ohne dass ihre staatlichen oder privaten Eigentümer zusätzliches Eigenkapital einzahlen müssen. Vorgeschlagen wurde auch die Emission von Sonderziehungsrechten im Wert von Hunderten Milliarden US-Dollar, um beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einen internationalen Klimaschutzfonds (Global Climate Mitigation Trust) einzurichten.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Sicher wird die Inflation kurz- bis mittelfristig das wichtigste Thema bleiben. Man dürfte aber mit der Idee liebäugeln, einen Teil der Schulden durch eine höhere Teuerung zu beseitigen und die Realzinsen zu steuern. Schon oft wurden Schuldner gegenüber Gläubigern bevorzugt. So war es zuletzt, als die Schuldenstandsquoten aufgrund der Inflation fielen, aber auch von 1945 bis 1980, als die Realzinsen in den Industrieländern während der Hälfte der Zeit negativ waren.

Die unklare Aufgabenverteilung zwischen Regierungen, Notenbanken und Märkten während und nach der internationalen Finanzkrise und der COVID-19-Pandemie ebnet solchen Überlegungen den Weg.

Das Trilemma erkennen 

Das Thema ist wichtig, wurde aber so lange auf Eis gelegt, wie die Inflation fast zweistellig war. Die Realzinsen mussten steigen. Aber es kann eine Grenze geben, sodass sie nicht wieder ihr altes Niveau erreichen.

Gesellschaften und Regierungen werden sich vielleicht an höhere Schuldenstandsquoten gewöhnen müssen. Das macht das Finanzsystem anfälliger. Auch Anleihen könnten unter Druck geraten, wie Großbritannien letztes Jahr schmerzhaft erfahren musste. Außerdem wird es für die Notenbanken schwieriger, gleichzeitig für Wachstum, Preisstabilität und Finanzstabilität zu sorgen.

Natürlich lässt sich das Trilemma auch auf andere Weise lösen. Ausgaben könnten von anderen Projekten umgeleitet werden, um die Energiewende zu finanzieren. Man könnte auch die Steuern erhöhen, einschließlich CO2-Steuern und CO2-Grenzabgaben. Aber das sind schwierige politische Entscheidungen. Die Versuchung, Geld zu drucken und die Schulden durch Finanzrepression abzubauen, könnte groß sein.

Was bedeutet das für Investoren? 

Wir sehen sowohl Risiken als auch Chancen. Die Energiewende wird viel Kapital und Arbeitskraft brauchen. Sie dürfte das Wirtschaftswachstum stärken und für Anlagechancen unter anderem durch Infrastrukturinvestitionen sorgen. Viele Wirtschaftszweige werden davon profitieren, aber vielleicht nützt die Entwicklung anderen Aktienmarktsektoren mehr als den zuletzt führenden. Für die Energiewende und die Anpassung an den Klimawandel braucht man Rohstoffe.

Ähnlich wie nach der internationalen Finanzkrise könnten staatliche Maßnahmen wie die Neufassung von Solvency II eine Chance für institutionelle Investoren sein. Andererseits könnte Finanzrepression drohen, sodass vor allem sehr lang laufende Festzinstitel an Wert verlieren. 

Am wichtigsten ist aber, dass wir uns des Trilemmas bewusst sind und uns aktiv an der Diskussion beteiligen. Es ist einfach, heute die Rückkehr positiver risikoloser Realzinsen und disziplinierter Anleihenemissionen zu feiern und uns morgen über Ertragschancen durch die Energiewende zu freuen. Vielleicht kann man nicht alles gleichzeitig haben. Wenn sich die Investoren der Risiken aber nicht bewusst sind, kann es sein, dass nicht sie entscheiden. Die Entscheidung könnte ihnen dann leicht abgenommen werden.

Von Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer, Multi-Asset Class - EMEA bei Neuberger Berman

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