Wir erwarten, dass der Abwärtstrend der Kerninflation nach dem Anstieg im Mai wieder einsetzt. Im Mai ist die Kerninflation zum ersten Mal seit März 2023 wieder angestiegen, allerdings nur bis auf das Niveau von vor zwei Monaten. Der Grund für diesen Anstieg um 0,2 Prozent ist hauptsächlich auf vorübergehende Gründe im Dienstleistungssektor zurückzuführen. Zum Beispiel das Ende der Preisnachlässe für Dienstleistungen wie eine erhöhte Mehrwertsteuer auf den Strompreis.
Geringere Lohnsteigerungen erwartet
Wie die Europäische Zentralbank (EZB) mehrfach erklärt hat, ist die Entwicklung der Lohnsteigerungen das wichtigste Kriterium für ihre künftige Zinspolitik. Im ersten Quartal wurde ein weiterer Anstieg von +4,7 Prozent im Jahresvergleich verzeichnet, der deutlich über der 3-Prozent-Grenze lag und vor allem von Deutschland getragen wurde. Ein Problem für die EZB. Die neuen Frühindikatoren deuten jedoch auf geringere Lohnsteigerungen hin, was die EZB bestärken wird, mit einer Senkung ihrer Leitzinsen zu beginnen. Die Fortsetzung des Inflationsrückgangs und damit die mittel- und langfristigen Prognosen der EZB sind damit weiterhin intakt.
Zwei Prozent Inflation eine Frage der Zeit
Heute stellt sich die Frage, wie lange es dauern wird, bis die Inflation wieder auf zwei Prozent zurückgeht. Ein Leitzins von vier Prozent scheint für die Eurozone etwas zu restriktiv zu sein, was eine erste Senkung am Donnerstag rechtfertigt. Bei ihrer weiteren Zinspolitik sollte die EZB vorsichtig und datenabhängig bleiben. Wir gehen daher davon aus, dass die EZB ihre somit restriktive Politik in diesem Jahr beibehalten wird, allerdings in geringerem Maße und mit einem auf drei Prozent gesenkten Leitzins. Damit dürften Euro-Anleihen besser abschneiden und der Zinssatz für 10-jährige Bundesanleihen unter 2,25 Prozent fallen.
Während wir davon ausgehen, dass die EZB die Unsicherheiten für die kommenden Monate unterstreichen wird, warten wir auf ihre aktualisierte Analyse und den Ausblick zu der Entwicklung der Lohnerhöhungen in den einzelnen Ländern und die Auswirkungen auf die Inflationsrate.
Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman