In den 1990ern war oft von der Goldilocks-Wirtschaft die Rede. Gemeint war, dass die Konjunktur weder heißlief noch zu sehr abkühlte. Sie hatte gewissermaßen die richtige Temperatur, wie das Porridge in dem englischen Märchen. Viele Kommentatoren griffen das Bild auf, und die meisten Anleger kennen es noch immer. Es steht für ein stabiles Gleichgewicht von Wachstum und Inflation, das der Fed eine expansive Geldpolitik ermöglicht.
Auch jetzt hoffen Anleger wieder auf Wachstum ohne Überhitzung, sodass die Inflation weiter nachlässt und eine Rezession ausbleibt. Die jüngsten Daten sprechen tendenziell dafür, dass es so kommt. Aber natürlich wissen wir noch nicht, wie heiß das Porridge am Ende sein wird.
Diese Woche wird die Offenmarktausschusssitzung der Fed das wichtigste Marktthema sein. Doch letztlich bestimmen die Konjunkturdaten die weitere Zinsentwicklung. Mit ihnen sollten sich Anleger in den nächsten Quartalen daher genau befassen.
Die Arbeitsmarkt- und Inflationszahlen der letzten drei Monate, darunter die wachsende Zahl von Arbeitslosengeldanträgen in den USA und die niedrigere Verbraucher- und Produzentenpreisinflation, sprechen für eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Der Wachstumsausblick bleibt aber offen. Noch wissen wir nicht, was Veränderungen der Fundamentaldaten bewirken.
Kann die Wirtschaft trotz eines schwächeren Arbeitsmarktes weiter stabil wachsen? Können wir darauf vertrauen, dass auch weiterhin nur wenige neue Stellen geschaffen oder abgebaut werden? Oder kühlt das Porridge zu sehr ab, sodass die Beschäftigung drastisch einbricht? Ist der Konsum stark genug, um einen schwächeren Arbeitsmarkt abzufedern? Werden die Zölle die Preise auch weiterhin nicht so stark anheizen wie erwartet – oder ist es für eine abschließende Beurteilung einfach noch zu früh?
Diese Fragen beschäftigen die Mitglieder unseres Asset Allocation Committee, das sich Ende des Monats trifft, um den neuen Quartalausblick zu formulieren. Die Antworten sind entscheidend für den Aktienmarktausblick, die Renditeentwicklung und risikobehaftete Wertpapiere insgesamt.
Arbeitsmarkt im Fokus
Zurzeit steht der Arbeitsmarkt im Mittelpunkt. In den USA war die Beschäftigung (außerhalb der Landwirtschaft) zwei Monate in Folge schwach, und jetzt sind überraschenderweise auch die Erstanträge auf Arbeitslosengeld gestiegen – auf hohe 263.000 in der Woche bis zum 6. September. Nach den jüngsten Daten wächst die Beschäftigung jetzt langsamer, und außerdem wurden nach den vorläufigen jährlichen Revisionen des Bureau of Labor Statistics von April 2024 bis März 2025 schätzungsweise 911.000 Stellen weniger geschaffen als zunächst angenommen.
Demnach ist der monatliche Beschäftigungszuwachs nur halb so hoch wie die zuvor vermuteten 149.000. Die Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft müsste demnach um 0,6% nach unten korrigiert werden, so viel wie zuletzt 2009. Da außerdem die Arbeitslosenquote steigt, sind das echte Warnsignale.
Dennoch spricht das unserer Ansicht nach noch nicht für eine Rezession, zumal Volkswirte (wegen Trumps Grenz- und Abschiebepolitik) mit einem niedrigeren Break-even-Beschäftigungswachstum rechnen. Dennoch achten wir genau auf mögliche Anzeichen für einen noch schwächeren Arbeitsmarkt.
Und die Inflation?
Im Juli lieferten Verbraucher- und Produzentenpreise keine eindeutigen Signale, und die Augustzahlen von letzter Woche sprachen für eher maßvolle Auswirkungen der Zölle auf die Preise.
Im August stiegen die Verbraucherpreise wie erwartet um 2,9% z.Vj., nach 2,7% im Juli, wobei der Kernindex ohne die volatilen Lebensmittel- und Energiepreise wie schon im Juli um 3,1% zulegte. Im Vormonatsvergleich stiegen die Verbraucherpreise um 0,4% und lagen damit leicht über den Konsenserwartungen.
Auffälliger ist aber der Rückgang der Produzentenpreisinflation auf nur noch 2,6% z.Vj. im August, deutlich weniger als die 3,3% vom Juli, die auch für letzten Monat erwartet worden waren. Die Kernrate ging ebenfalls deutlich zurück, von 3,7% z.Vj. auf 2,8%. Im Monatsvergleich fielen die Produzentenpreise sogar um 0,1%, obwohl 0,3% Anstieg erwartet worden waren.
Spannend für Anleger sind die Auswirkungen auf die jährliche PCE- Kerninflation, den wichtigsten Inflationsindikator der Fed. Im Juli betrug sie 2,9% z.Vj. Sie liegt damit noch immer deutlich über dem Zielwert, entwickelt sich aber doch wesentlich günstiger, als die meisten Beobachter bei der Einführung der Zölle erwartet hatten. Das macht es der Fed leichter.
Tendenziell milder
Natürlich hat die Beschäftigungsentwicklung schneller nachgelassen als erwartet. Die Fed könnte die Geldpolitik nach neun Monaten Zinspause daher jetzt wieder schneller lockern. Eine Senkung um 25 Basispunkte in dieser Woche scheint sicher. Auch wir rechnen damit – und halten jetzt auch drei Zinssenkungen bis zum Jahresende für wahrscheinlicher.
Da ist es nur folgerichtig, wenn auch die Märkte mit einer lockereren Geldpolitik rechnen. Sie gehen aber noch weiter und erwarten Zinssenkungen auch im neuen Jahr, bis auf einen neutralen Zins nahe 3%. Aus unserer Sicht könnte das aber zu optimistisch sein. Da die Inflation wohl noch länger über 2% liegt, muss die Fed ihr doppeltes Mandat im Blick behalten. Die Lockerung der Geldpolitik wird dadurch komplexer und unsicherer, als man es am Markt zu erwarten scheint.
Was bringt die Zukunft?
Kurz vor Beginn des letzten Quartals des Jahres sehen wir wie schon seit Jahresbeginn gute Gründe für einen optimistischen Konjunkturausblick und eine mittelfristig positive Entwicklung risikobehafteter Wertpapiere. Dafür sprechen auch die anhaltend guten Unternehmensgewinne, die steigenden Investitionen und die wachsende Zahl von Börsengängen sowie Fusionen und Übernahmen.
Überraschende Arbeitsmarkt- und Inflationszahlen oder andere konjunkturelle oder weltpolitische Ereignisse können natürlich immer wieder einmal für Volatilität sorgen. Anleger sollten das bei ihrer Asset-Allokation beachten. Mehr denn je sollte man daher nach Assetklassen diversifizieren.
Günstig ist, dass noch viel Kapital am Geldmarkt geparkt ist. Das könnte mögliche Schocks abfedern und risikobehaftete Wertpapiere stabilisieren, zumal Anleger für Konjunktur und Unternehmensgewinne langfristig optimistisch sind.
Noch hat sich Goldilocks nicht für ihr Lieblingsporridge entschieden. Nach dem Ende der derzeitigen Konjunkturdelle halten wir im neuen Jahr aber ein echtes Gleichgewicht zwischen mehr Wirtschaftswachstum und einer akzeptablen Inflation für möglich. Die Tür zu einer expansiveren Geldpolitik ist offen.
von Jeff Blazek, CFA, CO-CIO, Multi-Asset Strategies & Erik L. Knutzen, CFA, CAIA, CO-CIO, Multi-Asset Strategies, Neuberger Berman
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