- Marktreaktionen: Die Kapitalmärkte reagierten vergangene Woche verhalten. Die Ölpreise sind jedoch um mehr als 12 Prozent gestiegen.
- Kritischer Engpass: Die Straße von Hormus, durch die rund 20 Prozent des weltweiten Öltransports fließen, bleibt gefährdet. Eine Unterbrechung ist nicht zwangsläufig, da die Präsenz der 5. US-Flotte eine vollständige Sperrung unwahrscheinlich macht. Selbst begrenzte Maßnahmen des Iran wie Raketenangriffe, Minen, Cyberangriffe oder Störmanöver könnten aber den Tankerverkehr und den Energiefluss erheblich beeinträchtigen.
- Regimewechsel-Ungewissheit: Sollte ein Regimewechsel Teil der Lösung sein, zeigen die Erfahrungen aus Libyen, Irak und Venezuela, dass es wahrscheinlich zu langwierigen und unvorhersehbaren Unterbrechungen der Ölversorgung kommen wird.
- Anfälligkeit der Infrastruktur: Ölfelder und LNG-Exportterminals in der Region sind Angriffen ausgesetzt, die globale Auswirkungen haben können, insbesondere für Europa und Asien.
- Auswirkungen auf Investitionen: Diversifizierung ist in Zeiten häufiger und unvorhersehbarer Schocks nach wie vor von entscheidender Bedeutung, insbesondere mit Rohstoffen wie Gold und Energie.
„Die Reaktion der Kapitalmärkte auf die ersten israelischen Angriffe war letzte Woche relativ verhalten. Vom 13. bis 20. Juni fiel der MSCI ACWI um weniger als 2 Prozent. Die Zinssätze und die wichtigsten Währungen blieben weitgehend stabil. Da die USA nun jedoch direkt involviert sind, haben die Sorgen über eine weitere Eskalation und die möglichen Auswirkungen auf die Energiemärkte zugenommen. Die Interpretation des Marktes könnte von Befürchtungen eines Wachstumsrückgangs – in Anlehnung an den Golfkrieg – über Sorgen über eine höhere Inflation aufgrund steigender Ölpreise bis hin zu vorsichtigem Optimismus reichen. Letzteres wäre der Fall, wenn diplomatische Bemühungen den Iran dazu bewegen würden, seine nuklearen Ambitionen zu mäßigen. Solch ein Ergebnis liegt aber noch in weiter Ferne.
Heftige Reaktionen am Ölmarkt
Die Öl- und Rohstoffmärkte reagierten dagegen heftig. In der vergangenen Woche stieg der Preis für Brent-Rohöl um mehr als 12 Prozent. Die täglichen Preisschwankungen gehörten zu den stärksten seit Beginn des Russland-Ukraine-Konflikts. Diese Entwicklungen spiegeln die weit verbreitete Besorgnis über Störungen in einem der wichtigsten Energiekorridore der Welt wider. Angesichts der Verschärfung der Lage durch die Militäraktion der USA preisen Anleger zunehmend einen Aufschlag ein, um sich gegen kurzfristige Versorgungsschocks abzusichern.
Die Frage ist nun, was als nächstes geschehen wird und welche Lieferungen am stärksten gefährdet sind. Der Iran ist nach wie vor ein wichtiger Ölexporteur und liefert täglich rund 1,5 Millionen Barrel, hauptsächlich nach Asien und insbesondere nach China. Es versteht sich von selbst, dass jeder erhebliche Versorgungsausfall aus der gesamten Golfregion katastrophale Folgen für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte haben könnte.
Mögliche Vergeltungsmaßnahmen des Irans
Der Iran hat mehrere Möglichkeiten für Vergeltungsmaßnahmen. Das Land könnte versuchen, die Energieversorgung des Nahen Ostens direkt einzuschränken – indem er Infrastruktur in Nachbarländern ins Visier nimmt – oder indirekt, indem er verbündete Gruppen in der Region einsetzt. Die Straße von Hormus, durch die täglich etwa 20 Prozent des weltweiten Öls und ein erheblicher Anteil des Flüssigerdgases transportiert werden, gibt Anlass zu besonderer Sorge. Zwar macht die Präsenz der 5. Flotte der US-Marine in Bahrain eine längere vollständige Sperrung unwahrscheinlich. Experten weisen aber darauf hin, dass selbst begrenzte Maßnahmen des Iran – Raketenangriffe, Minen, Cyberangriffe – den Tankerverkehr beeinträchtigen, die Versicherungskosten in die Höhe treiben und die Schifffahrt behindern könnten, ohne dass es zu einer vollständigen Sperrung kommt. Jüngste Berichte über iranische Störungen von Schiffstranspondern haben bereits zu Warnungen der Seebehörden geführt.
Der größte Teil der durch die Straße von Hormus transportieren Energie ist für Asien bestimmt – insbesondere für China, einen wichtigen Partner des Iran. Eine Störung würde nicht nur den wirtschaftlichen Interessen des Iran schaden, sondern auch seine eigenen Lieferungen gefährden, da iranische Tanker außerhalb des Golfs Repressalien ausgesetzt sein könnten. Dieses Risiko ist am größten, wenn die iranischen Machthaber, isoliert und mit einem möglichen Regimewechsel konfrontiert, aus Verzweiflung handeln. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Iran Strategien verfolgen wird, die für anhaltende Unsicherheit sorgen – wie die Behinderung der Schifffahrt, Sabotage und steigende Kosten –, ohne die Versorgungslinien vollständig zu unterbrechen.
Ob direkt oder über Stellvertreter wie Milizen im Irak und im Jemen oder Gruppen wie die Huthis – der Iran verfügt weiterhin über erhebliche Kapazitäten, um wichtige Energieinfrastrukturen zu bedrohen. Ölfelder, Raffinerien und Exportterminals in der gesamten Golfregion – darunter wichtige Anlagen wie die Verarbeitungsanlage Abqaiq in Saudi-Arabien, der Exportterminal Ras Tanura und die Raffinerie Mina al-Ahmadi in Kuwait – befinden sich in Reichweite von Raketen, Sabotage oder Cyberoperationen.
Regimewechsel könnte zu nachhaltigen Störungen am Ölmarkt führen
Während diese unmittelbaren Bedrohungen kurzfristig zu einer Verknappung des Angebots auf dem Markt führen könnten, erhöht die Aussicht auf politische Unruhe im Iran das Risiko tiefergehender und länger anhaltender Störungen. Sollte ein Regimewechsel im Iran Teil der Lösung sein, sendet die Geschichte ein warnendes Signal an die Energiemärkte. Die Absetzung von Muammar Gaddafi in Libyen und Saddam Hussein im Irak führte zu einem starken und anhaltenden Rückgang der Ölproduktion, da Instabilität und unklare Führungsverhältnisse Millionen von Barrel vom Markt fernhielten. Venezuela liefert eine ähnliche Lehre: Seit dem Tod von Hugo Chávez haben politische und wirtschaftliche Turbulenzen eine Rückkehr zu früheren Produktionsniveaus verhindert. Bemerkenswert ist, dass frühere Versorgungsschocks durch das robuste Wachstum der Schieferölproduktion in den USA aufgefangen wurden. Das dürfte sich mit zunehmender Reife des Sektors aber wahrscheinlich nicht wiederholen. Diese historischen Beispiele zeigen: Selbst wenn die Feindseligkeiten nachlassen, kann ein Regimewechsel zu lang anhaltenden, unvorhersehbaren Versorgungsunterbrechungen führen. Im Falle des Iran könnte jeder Übergang die Ölproduktion und -exporte in der Schwebe halten, bis sich eine stabile Regierung gebildet hat.
Geringe Ölbestände, hohe Nachfrage
Unterdessen ist die Ölnachfrage hoch. Die Zollrisiken schwinden, die Sommerurlaubssaison ist in vollem Gange und die Lagerbestände liegen in vielen Regionen unter dem üblichen Niveau. Angesichts dieses Angebots- und Nachfragedrucks könnten die Regierungen zusätzliche Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel die Freigabe von Öl aus strategischen Reserven, um die Preise einzudämmen. Diese Maßnahmen brauchen jedoch Zeit, bis sie sich auf den Markt auswirken.
Diversifikation bleibt wichtig
Zusätzlich zu diesen Markt- und Versorgungsproblemen müssen Anleger auch die allgemeinen geopolitischen Risiken im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm berücksichtigen. Teheran könnte versuchen, den Betrieb in geheime Anlagen zu verlagern oder seine Verpflichtungen aus internationalen Abkommen zu überdenken. Dazu gehört auch ein möglicher Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Solche Schritte würden nicht nur die Region weiter destabilisieren, sondern könnten auch den Konflikt verlängern und das Risiko einer weiteren Eskalation erhöhen.
Die Diplomatie bleibt ein möglicher Weg nach vorne, und eine friedliche Lösung wäre unsere Hoffnung. Hoffnung allein ist jedoch keine Anlagestrategie. Anleger müssen sich auf eine Welt vorbereiten, in der Schocks plötzlich und aus verschiedenen Richtungen auftreten können. Die Aufrechterhaltung eines diversifizierten Portfolios – insbesondere mit Allokationen in Rohstoffen wie Gold und Energie – bleibt ein umsichtiger Ansatz für den Umgang mit anhaltender Unsicherheit.“
Von Hakan Kaya, Senior Portfoliomanager bei Neuberger Berman im Team für Quantitative und Multi-Asset-Strategien,
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