Immer neue US-Zölle und ein eskalierender Handelskrieg veranlassen internationale Investoren zum Verkauf amerikanischer Wertpapiere. So jedenfalls lautet die bei Anlegern und Marktbeobachtern immer beliebtere „Sell America“-These. Die Medien warnen vor einer nachlassenden Auslandsnachfrage nach US-Titeln, vor allem Staatsanleihen. Aber die Daten zeichnen ein sehr viel differenzierteres Bild.
Das große Ganze: US-Wertpapiere in ausländischen Händen
Seit 2013 haben ausländische Investoren schätzungsweise 12,3 Billionen US- Dollar in amerikanische Wertpapiere investiert.1 Besonders hoch war ihre Nachfrage nach lang laufenden US-Staatsanleihen, vor allem wegen ihrer vergleichsweise hohen Renditen. In Europa und Japan waren niedrige, wenn nicht negative Zinsen in dieser Zeit keine Seltenheit.
Heute befinden sich daher etwa 30% der US-Staatsanleihen in den Händen ausländischer Investoren, ein erheblicher Teil.
Glaubt man den Schlagzeilen, bauen sie ihre Positionen jetzt aber drastisch ab. Manchmal heißt es sogar, dass u.a. die Regierungen Chinas und Japans als Revanche für die amerikanische Außenhandelspolitik US-Titel verkaufen. Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt aber etwas anderes.
Berichte über ein Ende der amerikanischen Ausnahmestellung sind übertrieben
Die Zahlen für das 1. Quartal 2025 liefern keine Hinweise auf „Sell America“. Insgesamt stockten ausländische Investoren ihre Positionen sogar auf – oder sie nahmen aufgrund von Kursgewinnen zu.
Sicher, am „Liberation Day“ war das Quartal bereits vorbei, sodass dies der These staatlicher Verkäufe amerikanischer Staatsanleihen nicht zwingend widerspricht. Es gibt aber auch aktuellere Zahlen: Die Fed veröffentlicht wöchentlich das Volumen der von ihr verwahrten US-Staatsanleihenpositionen ausländischer Notenbanken. Am 1. Januar 2025 waren das 3,26 Billionen US- Dollar, am 11. Juni 3,22 Billionen.2
Gerade erst haben wir geschrieben, dass „indirekte Bieter“ (eine Umschreibung für ausländische Investoren) Mitte April, also zwei Wochen nach dem Liberation Day am 2. April, bei einer Auktion fast 88% einer neuen US-Zehnjahresanleihe übernahmen. Das war der größte Anteil aller Zeiten.
Die Daten lassen die Berichte über ein Ende der amerikanischen Ausnahmestellung übertrieben erscheinen. Noch immer glauben wir, dass die jüngste Marktentwicklung mehr mit ganz normalen kurzfristigen Umschichtungen als mit langfristigen strukturellen Veränderungen zu tun hat.
Langfristig haben wir deshalb keine Zweifel an der amerikanischen Ausnahmestellung. Dennoch ist es naheliegend, dass ausländische Investoren jetzt wieder lokaler investieren – denn Anlagen in anderen Ländern werden wieder attraktiver. Vielleicht müssen sich die USA jetzt etwas mehr anstrengen, um Kapital einzuwerben.
Der 4. Juli zählt, nicht die Offenmarktausschusssitzung
Wir hatten auch geschrieben, dass die Fiskalpolitik für die Marktteilnehmer immer wichtiger wird und die Geldpolitik als wichtigsten Bestimmungsfaktor von Kapitalströmen und Marktstimmung ablöst. Weil erstmals seit Jahrzehnten viele Regierungen wieder eine expansivere Fiskalpolitik betreiben, steigen weltweit die Langfristrenditen.
Nicht die Geldpolitik, sondern die Einschätzung der Staatsfinanzen und des Angebots an US-Staatsanleihen sorgen daher zunehmend für Schwankungen am amerikanischen Staatsanleihenmarkt. Besonders deutlich zeigte sich das an der Marktreaktion auf die Offenmarktausschusssitzung letzte Woche. In den letzten 20 Jahren waren die regelmäßigen Sitzungen der Fed mit die wichtigsten Ereignisse für den Markt. Für manche Journalisten gab es nichts Wichtigeres, als die Äußerungen der Notenbank zu deuten. Die Sitzung am 18. Juni ließ aber fast alle kalt. Kommentare gab es nur wenige, und die Marktreaktion hielt sich in Grenzen.
Stattdessen warten jetzt alle, wie wir letzte Woche schrieben, auf den 4. Juli. Dann dürfte US-Finanzminister Scott Bessent die Endfassung des Haushaltsgesetzes vorlegen.
Von Ashok Bhatia, CFA, Chief Investment Officer und Global Head of Fixed Income, Neuberger Berman
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