CIO Weekly | Sechs Monate nach dem Liberation Day: Zeit für Gewinnmitnahmen in Europa

Wenn sich die Fakten ändern, ändern wir unsere Meinung. Durch den Ausverkauf am „Liberation Day“ waren nicht amerikanische Aktien plötzlich sehr günstig, vor allem europäische und asiatische. Das ist jetzt anders. Neuberger Berman | 09.10.2025 08:15 Uhr
Maya Bhandari, Chief Investment Officer, Multi-Asset Strategies, EMEA bei Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Maya Bhandari, Chief Investment Officer, Multi-Asset Strategies, EMEA bei Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman

Als Anleger nach Trumps Zollankündigungen am „Liberation Day“ das Schlimmste befürchteten, die Märkte einbrachen und die Volatilität nach oben schnellte, nahm unser Asset Allocation Committee drei wichtige Änderungen vor.

Erstens investierten wir verstärkt in nicht amerikanische Aktien, vor allem aus Europa und China, die am stärksten verloren hatten. Wenig später stockten wir auch unsere Japan-Position auf; Fundamentaldaten und Bewertungen waren sehr günstig (und sind es noch immer). Zweitens erhöhten wir den Anteil nicht amerikanischer Industrieländer-Staatsanleihen, mit einer gewissen Vorliebe für Deutschland. Später schichteten wir dann in US-Festzinstitel um, weil sich die relativen Bewertungen verändert hatten. Und drittens wechselten wir beim US-Dollar zu einer Untergewichtung, sicherten unsere Dollarpositionen bei Bedarf ab und setzten stattdessen auf den Euro.

Zwei Quartale später realisieren wir zumindest in Europa Gewinne. Sowohl europäische Aktien als auch den Euro schätzen wir jetzt neutral ein. Wir haben mit unseren Positionen viel verdient, mehr als erwartet. Außerdem gehen wir jetzt zusätzliche Long-Positionen in europäischen Anleihen ein, vor allem in deutschen Bundesanleihen, britischen Staatsanleihen und europäischen Investmentgrade-Credits.

Jedes Risiko hat seinen Preis. Risikobehaftete europäische Anlagen, ob Aktien oder der Euro, sind teurer geworden, und noch dazu sind ihre Risiken gestiegen. Bei Anleihen war die Entwicklung entgegengesetzt und damit günstiger. In unseren Asset-Allokations-Empfehlungen wollen wir die mittlerweile sehr große Bewertungsdifferenz zwischen Aktien und Anleihen berücksichtigen. Jetzt könnten unter anderem größere Positionen in europäischen Anleihen und eine neutrale Gewichtung europäischer Aktien interessant sein.

Neue Positionierung bei europäischen Aktien

„Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was tun Sie?“ Das geflügelte Wort von John Maynard Keynes fasst perfekt zusammen, wie wir auf die Veränderungen an den Märkten reagieren, vor allem in Europa.

Als Trump Anfang April seine zunächst extrem hohen Zölle von je nach Land 20% bis 49% ankündigte, brachen europäische Aktien überdurchschnittlich ein. Je nach Index verloren sie in nur einer Woche 13% bis 14%, was dem 11- bis 12-Fachen der durchschnittlichen täglichen Kursschwankungen entspricht.1 Europäische Aktien schienen uns interessant, weil sie deutlich billiger wurden. Wir wechselten zu einer Übergewichtung und verzichteten auch auf eine Währungsabsicherung, sodass wir den Euro ebenfalls gegenüber dem US-Dollar übergewichteten.

Wenn wir unsere mittelfristige Einschätzung ändern, kann das vor allem zwei Gründe haben: Entweder schätzen wir die Fundamentalfaktoren einer Assetklasse oder eines Marktsegments anders ein, oder Bewertungen bzw. die Marktstimmung ändern sich, sodass die Position attraktiver oder unattraktiver wird. Beide Kriterien sprachen am 2. April stark für europäische Aktien. Aber dann änderte sich das, was eher für eine neutrale Gewichtung als für eine Übergewichtung europäischer Aktien sprach.

Hier sehen Sie, was sich im Einzelnen geändert hat:

ThemenbereichDamals (April 2025)Heute (Oktober 2025)
Fundamentaldaten• Wir rechneten mit mehr Gewinnwachstum, als Gewinnrevisionen und Vorjahresgewinne vermuten ließen. Außerdem bezweifelten wir, dass die angekündigten Zölle voll umgesetzt werden. Hinzu kamen die umfangreichen deutschen Ausgabenpläne, die nach Einschätzung von Analysten die Gewinne je Aktie fünf Jahre lang um etwa 3 Prozentpunkte steigern könnten.
• Der Ausblick für Banken, die einen hohen Anteil am Index haben, war stabil positiv, bei hohem Kurspotenzial durch höhere Eigenkapitalrentabilität.
• Währungsgewinne schienen möglich.
• Die Gewinnwachstumserwartungen für 2025 sind seitdem von einem niedrigen zweistelligen Wert auf null gefallen. Auch für 2026 wird jetzt ein geringeres Gewinnwachstum erwartet. Gewinnrevisionen sind bei internationalen Aktien absolut wie relativ stark negativ (-30%). Insgesamt sind die Zölle höher als erwartet. Die deutsche Fiskalpolitik wurde bislang nur etwas gelockert. Nach dem Debakel in Frankreich ist es unwahrscheinlicher, dass andere Länder dem deutschen Beispiel folgen.
• Mit Banktiteln hat man dieses Jahr bislang ordentlich verdient, etwa 70% in Euro und 92% in US-Dollar. Das ist das Drei- bis Vierfache des Indexertrags und des Ertrags amerikanischer Bankaktien. Wie beim Index insgesamt war das Gewinnwachstum enttäuschend.
• Die erwartete Entwicklung ist abgeschlossen. 2025 ist der Euro-Dollar-Wechselkurs von etwa 1 auf 1,18 gestiegen. Wir schätzen den Euro daher jetzt nur noch neutral ein.
BewertungenAbsolut und relativ erschienen uns die Bewertungen attraktiv, mit der Aussicht auf einen weiteren Anstieg bei höheren Gewinnen.Die absoluten Bewertungen sind gestiegen, weil die Kurse trotz unveränderten Gewinnwachstums zugelegt haben. Die relativen Bewertungen scheinen noch immer attraktiv, doch hat sich der Abstand verringert. Sie scheinen jetzt fair.
StimmungAnleger hielten nur wenige Positionen in Europa.Marktstimmung und Positionierung sind jetzt neutraler. Seit April waren die Mittelzuflüsse in Prozent des verwalteten Vermögens so hoch wie zuletzt im Januar 2017.

Aus ähnlichen Gründen sowie wegen der aktionärsfreundlichen Reformen waren wir auch für japanische Aktien optimistisch. Hier haben wir unsere Übergewichtung zuletzt aber ausgebaut.

Unterschiedliche Einschätzungen von Anleihen und Währungen

Während wir unsere Aktienquote gesenkt haben, wurden wir für europäische Anleihen optimistischer, vor allem für Bundesanleihen, britische Staatsanleihen und Investmentgrade-Credits.2 Wir haben bereits über die ungewöhnliche Bewertungsdifferenz zwischen Aktien und Anleihen geschrieben. Mit der Neugewichtung wollen wir sie nutzen. Weil die langfristigen europäischen Anleihenrenditen (gemessen an Bundesanleihen) real wie nominal deutlich gestiegen sind und die Gewinnrenditen von Aktien stark nachgelassen haben, ist eine Bewertungslücke entstanden wie zuletzt zu Beginn der Pandemie. Daran ändern auch die engeren Credit Spreads nichts. Das gilt real und vor allem nominal.

Asset-Allokation und Anleihenmärkte sprechen unserer Ansicht nach jetzt für fallende europäische Renditen. Trotz des immer niedrigeren Wachstums- und Inflationsausblicks sind sie nach wie vor recht hoch. So wird weiter mit einem nur mäßigen Wachstum im Euroraum gerechnet, weil Konsum wie Exporte schwach sind. Der zunehmende Pessimismus der Haushalte dürfte auch den Dienstleistungssektor belasten, und politische Probleme wie in Frankreich dämpfen die Konjunktur ebenfalls. Wenn Deutschland und andere europäische Länder ihre Ausgabenpakete nur langsam umsetzen – und davon ist unser Anleihenteam überzeugt –, könnte das Wachstum eher negativ überraschen.3

Bei einer weniger expansiven Fiskalpolitik dürfte auch die Laufzeitprämie nicht so stark steigen. Alles in allem rechnen wir damit, dass die EZB auch wegen der konjunkturbedingt wohl geringeren Inflation die Geldpolitik weiter lockert, anders als am Markt zurzeit erwartet. Für Großbritannien gilt Ähnliches, weshalb wir auch für britische Staatsanleihen optimistisch sind.

Der Dollar ist zwar teurer als in der Vergangenheit, doch muss der Euro deshalb nicht unbedingt weiter aufwerten. Notierte er vor einigen Monaten noch nahe der Parität, hat er unser Kursziel von 1,20 jetzt fast erreicht. Wir halten allerdings an unseren Goldpositionen fest, da sie von einer generellen Dollarschwäche profitieren könnten und deshalb fundamental gut dastehen.

Bei risikoreicheren europäischen Anlagen – wie Aktien und dem Euro – sind sowohl die Risiken als auch die Kurse gestiegen. Für Anleihen gilt das Gegenteil, sodass der schon vorher große Bewertungsabstand weiter zugelegt hat. Als aktive Investoren wollen wir dies in unseren Empfehlungen abbilden. Wenn sich die Fakten ändern, ändern wir unsere Meinung.

Von Maya Bhandari, Chief Investment Officer, Multi-Asset Strategies, EMEA bei Neuberger Berman

Weitere beliebte Meldungen:

1 Vom 2. April bis zum 9. April 2025, relativ zum Vergangenheitsdurchschnitt der letzten 20 Jahre.

2 Auch bei Investmentgrade-Titeln ist das Zinsrisiko (und nicht das Kreditrisiko) entscheidend, und die Finanzen der Unternehmen sind oft besser als die Staatsfinanzen.

3 In Italien ist das Haushaltsdefizit deutlich zurückgegangen.

Sofern nicht anders angegeben, stammen die Konjunktur- und Marktdaten von FactSet.

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