Gerade erst ist der Aktienkurs eines Chipherstellers um 40% gestiegen, weil er sich auf eine milliardenschwere Transaktion mit einem führenden KI-Anbieter geeinigt hat. Aber das ist nur das jüngste Beispiel für die Macht der neuen Technologie über die Aktienmärkte.
In den letzten Jahren haben der KI-Boom und die Aussicht auf eine neue technologische Revolution den S&P 500 auf immer neue Allzeithochs steigen lassen – und das fast nur wegen der Kursgewinne der Mega Caps, der riesigen Technologieunternehmen.
Bei einem solchen Hype stellen sich gleich mehrere Fragen: Erleben wir gerade eine Preisblase, die irgendwann platzen wird? Oder stehen wir am Beginn enormer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen? Vielleicht auch beides zugleich.
Noch kennen wir die Antwort nicht. Eines steht aber fest: KI ist gekommen, um zu bleiben. Und schon jetzt verändert die Künstliche Intelligenz eine Menge.
Dass KI vieles neu macht, ist keine Theorie mehr – die Auswirkungen sind bereits spürbar. Schon heute sind sie enorm, und noch ist kein Ende in Sicht. Das gilt vor allem für die Produktivität.
Produktivität
Nach den jüngsten Zahlen wächst die US-Wirtschaft ordentlich, doch werden nur wenige neue Stellen geschaffen – eine ungewöhnliche Konstellation. Offensichtlich treiben zurzeit vor allem Produktivitätsgewinne das reale BIP.
Die vorläufigen jährlichen Revisionen des Bureau of Labor Statistics im September zeigten das deutlich. Demnach wurden von April 2024 bis März 2025 911.000 weniger Stellen geschaffen als zuvor angenommen. Und doch ist die Wirtschaft in dieser Zeit und auch danach ordentlich gewachsen.
Wenn Unternehmen KI einsetzen, sichern sie ihre Margen oder verbessern sie sogar. Noch sind wir am Anfang, aber alle Zeichen stehen auf strukturellem Wandel statt normaler Konjunkturschwankungen.
Studien scheinen das zu bestätigen. Schon jetzt sind die kurzfristigen Auswirkungen von KI klar erkennbar. Man schätzt, dass sie Produktivität und BIP in den USA bis 2035 um etwa 1,5% und bis 2055 um fast 3% steigern wird.1 Für die G7-Länder werden in den nächsten zehn Jahren Produktivitätsgewinne von 0,2% bis 1,3% erwartet, allerdings mit großen Unterschieden. Entscheidend sind die Sektorstruktur und das Tempo, mit dem KI eingesetzt wird.2 Wir rechnen aber fest mit einer Transformation, und zwar mit einer schnellen.
Auf Prozessebene sind die Zahlen schon jetzt beeindruckend. Mindestens 10% der Arbeit von etwa 80% der US-Beschäftigten verändert sich durch große Sprachmodelle, und bei etwa einem Fünftel kann sogar die Hälfte der Aufgaben betroffen sein.3
Wesentliche Motive für den KI-Einsatz sind natürlich Effizienzgewinne und eine höhere Arbeitsproduktivität. Zurzeit profitieren davon noch vor allem Technologieunternehmen. Seit dem Erscheinen von ChatGPT Ende 2022 verzeichneten Technologie-Mega-Caps einen 38-prozentigen Umsatzanstieg je Mitarbeiter.4
In der Softwarebranche insgesamt, gemessen am S&P-Sektor Software & Services, sind die Umsätze je Mitarbeiter seit 2023 um 10% jährlich gestiegen – nach nur 3,3% von 2016 bis 2022. Wäre alles so weitergegangen wie bisher, wäre die Produktivität heute um 30% niedriger. Das sind beeindruckende Zahlen, doch am Ende könnten sich andere Branchen noch sehr viel stärker verändern.
Risiken
Hohe Produktivitätsgewinne sind erfreulich. Keinesfalls profitieren aber alle gleich stark davon, und natürlich gibt es auch Risiken.
Am schnellsten entwickelt sich KI in den USA und China – wegen der weniger strengen Regulierung, hoher Investitionen und einer großen Affinität zur neuen Technologie. Europa riskiert hingegen zurückzufallen – nicht, weil die Alte Welt es nicht kann, sondern weil eine strengere Regulierung die wirtschaftliche Nutzung behindern könnte. Diese Unterschiede könnten in den nächsten Jahren Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und grenzüberschreitende Investitionen haben.
Natürlich werden die Investitionen in Rechenleistung und KI-Nutzung irgendwann wieder langsamer wachsen. Die Unternehmen, die in den letzten Jahren am meisten profitiert haben, werden sich dann stärker auseinanderentwickeln.
Manche Firmen werden weiter Erfolg haben, andere scheitern: Die kreative Zerstörung ist keine Schwäche des Kapitalismus, sondern sein Kern. Das gilt vor allem in Zeiten großer technologischer Umwälzungen. KI-Aktien dürften daher volatiler werden.
Aber vor allem hat KI große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Untergeordnete Bürojobs – ob Routineanalysen oder Verwaltungsaufgaben, für die oft Berufsanfänger mit Hochschulabschluss eingestellt werden – könnten wegfallen. Die Folgen für den Arbeitsmarkt werden auch die Politik auf den Plan rufen. Irgendwann wird sie reagieren müssen.
Strukturelle Veränderungen
All das macht Investieren kurz- und mittelfristig komplexer.
Für uns ist aber entscheidend, wie und wie schnell sich die Produktivitätsgewinne durch KI auf Gewinne, Löhne, Bewertungen und die Politik auswirken.
Noch ist es für eine endgültige Antwort zu früh. Die Kombination aus einem hohen Wirtschaftswachstum in den USA bei einem nur geringen Beschäftigungszuwachs weist aber darauf hin, dass die Produktivität schneller steigt als bislang erwartet.
Es ist durchaus vorstellbar, dass KI künftig langsamer wächst, auch weil es an der nötigen Elektrizitäts- und Energieinfrastruktur fehlen könnte. Aber das Wachstum wird nicht stoppen.
Die Aussichten für risikobehaftete Titel sind daher insgesamt gut. Ein schwächerer Arbeitsmarkt bremst die Lohninflation. Eine daten- und vor allem arbeitsmarktorientierte Fed kann sich eine expansive Geldpolitik leisten, wenn Produktivitätsgewinne für Wachstum ohne übermäßigen Preisdruck sorgen.
Unternehmen, denen KI große Effizienzgewinne beschert, können ihre Produktivität weiterhin steigern. Das bietet die Aussicht auf Mehrertrag ausgewählter Firmen, die KI nutzen.
Noch stehen wir am Anfang. Aber die Richtung scheint klar, unabhängig davon, ob wir bei den wichtigsten KI-Werten zurzeit eine Preisblase erleben oder nicht.
Von Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman
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2 OECD-Studie (Fillipucci, 2025).
3 OpenAI, Oxford University, Wharton School Research Study: GPTs are GPTs: Labor market impact potential of LLMs (2024).
4 Analyse von Evercore ISI Research.