Der Government Shutdown in den USA geht in seine sechste Woche – und beeindruckt in- und ausländische Investoren bislang überraschend wenig.
US-Aktien sind seit seinem Beginn weiter gestiegen, US-Staatsanleihen haben kaum reagiert. Der KI-Boom und die nachlassende Inflation mögen dazu beigetragen haben, dass der politische Stillstand die Anleger kalt lässt und sie weiterhin mit steigenden Unternehmensgewinnen und einer guten Konjunktur rechnen.
Bis mit dem Beginn des Shutdowns keine Zahlen mehr veröffentlicht wurden, sahen die meisten US-Konjunkturdaten gut aus. Und nach den Quartalsergebnissen der letzten Woche haben auch die meisten Unternehmen keine Probleme
Dafür gibt es viele Gründe, nicht zuletzt den stabilen US-Konsum. Mit etwa zwei Dritteln BIP-Anteil ist er entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung. Daran ändern auch die trotz Lockerung noch immer straffe Geldpolitik, die zollbedingt höhere Inflation und der schwache und schwankende Arbeitsmarkt nichts. Tatsächlich war das Konsumklima das ganze Jahr über meist gut, auch zu Beginn des Shutdowns am 1. Oktober.
Aber das könnte sich ändern. Erste Anzeichen gibt es bereits: Nach den jüngsten Kreditkartendaten von Chase waren die nicht unbedingt erforderlichen Ausgaben in der zweiten Oktoberhälfte deutlich niedriger als in der ersten, und der Konsumklimaindex des Conference Board fiel im Oktober auf ein 7-Monats-Tief. Die Erwartungen für die nächsten sechs Monate sind jetzt so schwach wie seit Juni nicht mehr.
Neben dem schwächeren Arbeitsmarkt und den steigenden Lebenshaltungskosten macht jetzt auch der Shutdown den Verbrauchern Sorgen, zumal er der längste aller Zeiten werden könnte.
Eine schnelle Lösung würde helfen, war aber bei Redaktionsschluss nicht absehbar. Anfang November könnte das Konsumklima auf eine weitere Probe gestellt werden, weil wichtigen staatlichen Programmen das Geld ausgeht. Tausende von Bundesangestellten haben dann erstmals kein Gehalt bekommen, und Millionen von Amerikanern müssen sehr viel höhere Krankenversicherungsprämien zahlen.
Es trifft die Armen
Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen haben wegen der steigenden Lebenshaltungskosten schon jetzt Probleme. Die zeitweise Aussetzung wichtiger Bundesprogramme – Lebensmittelbeihilfen, Zuschüsse zur frühkindlichen Erziehung und Subventionen für sonst unrentable Flüge in die Provinz – dürften diese Einkommensschichten noch stärker unter Druck setzen.
Und es kann noch schlimmer kommen. Vielleicht verständigt sich der Kongress nicht auf eine Verlängerung der erweiterter Steuergutschriften nach dem Affordable Care Act, die man seit dem 1. November beantragen kann.
Die Schere könnte sich dadurch noch weiter öffnen. Während wohlhabende Verbraucher ihre Ausgaben beibehalten oder gar steigern, sparen Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen. Sie leiden schon jetzt unter den hohen Zinsen und der Inflation.
So geht es schon seit einigen Jahren, aber jetzt verstärkt es sich. Auf die 20% einkommensstärksten Verbraucher entfällt mittlerweile über die Hälfte des US-Konsums. Das zeigt, wie abhängig die Wirtschaft von dieser kleinen, aber einflussreichen Bevölkerungsgruppe ist.
Kurzfristig fürchtet man eine weitere Spaltung, wenn der Shutdown über die Feiertage anhält und in der für den Einzelhandel wichtigsten Zeit des Jahres die Kauflaune dämpft. Vielleicht reichen die Folgen dann sogar bis ins neue Jahr hinein.
Natürlich hat das Auswirkungen auf konsumnahe Aktien und Anleihen. In diesen Sektoren sind die Gewinnmargen ohnehin niedrig. Zölle und fallende Umsätze könnten der Rentabilität weiter schaden, vor allem bei Konsumverbrauchsgüterherstellern und Discountern. Sie haben, wenn überhaupt, nur wenig Preismacht.
Schon jetzt sehen wir die Folgen in Sektoren mit vielen einkommensschwächeren Kunden. Am deutlichsten zeigt sich das in den Gewinnen von immer mehr Unternehmen. So verfehlten Chipotle, Starbucks und MGM Resorts im 3. Quartal die Erwartungen: Stellen werden gestrichen, Geschäfte geschlossen. Auch gibt es mehr Insolvenzen, zuletzt in automobilnahen Branchen.
Das schwierigere Umfeld für Konsumverbrauchsgüter ist ein Grund dafür, dass wir den Sektor in unserem aktuellen Aktienmarktausblick jetzt auf untergewichtet herabgestuft haben.
Zu wenig, zu spät?
Die Politik wird in den nächsten Wochen und Monaten genau auf Konsumklima und Ausgabeverhalten achten – und darauf, ob Stellen abgebaut werden, was den Konsum weiter schwächen würde.
Den größten, für den Aktienmarkt entscheidenden Unternehmen wird all das nur wenig schaden. Aber auf sie entfällt nur ein kleiner Teil der Arbeitsplätze. Kleinunternehmen sind die wichtigsten Arbeitgeber. Geraten sie in Schwierigkeiten, könnte das dem ohnehin schon schwächeren Arbeitsmarkt weiter schaden.
Die Fed ist sich dessen bewusst und hat auch deshalb wie allgemein erwartet die Zinsen am Mittwoch um 25 Basispunkte gesenkt. Zwar nennt Powell eine weitere Senkung im Dezember „nicht ausgemacht“, aber wir rechnen weiter damit.
Niedrigere Zinsen dürften den Konsum und konsumnahe Branchen stützen. Aber selbst dann könnte der Schaden bei Haushalten mit niedrigen und mittleren Einkommen bereits eingetreten sein.
Und das ist nicht alles. Wenn der Shutdown als „Angriff“ auf diese Haushalte angesehen wird, könnte er 2026 und danach politische Folgen haben. Für risikobehaftete Wertpapiere ist das wegen der möglichen Auswirkungen auf die Fiskalpolitik interessant. Fakultative Staatsausgaben könnten steigen, der Defizitabbau nachlassen und die Bereitschaft wachsen, mit Konjunkturprogrammen die Haushaltseinkommen zu stützen.
Sorgfältigere Auswahl
All das kann passieren, aber so weit sind wir noch nicht. Noch besteht Hoffnung, dass der Shutdown bald endet und keine bleibenden Schäden anrichtet. Tatsächlich ist das noch immer der wahrscheinlichste Fall. Zurzeit scheinen die Kurse risikobehafteter US-Wertpapiere genau das abzubilden.
Und doch muss man zurzeit genauer auf den Konsum achten und bei konsumnahen Aktien und Anleihen sorgfältiger und wählerischer sein. Interessant scheinen uns Konsumunternehmen mit stabilen Cashflows – mit Preismacht, gutem Lagermanagement, flexiblen Kosten und vielfältigen Kunden. Das scheint uns besser, als auf Konsumwerte generell zu verzichten.
Weil die Konjunkturdaten nach dem Ende des Shutdowns erst einmal volatil sein könnten, sollte man aber auch auf schnelle Umschichtungen verzichten. Statt auf die Schlagzeilen zu reagieren, sollten Anleger Volatilität als Chance ansehen – um ihre Überzeugungen umzusetzen und Positionen selektiv aufzustocken.
Am Ende hängen die Anlageerträge von der Wirtschaft ab – und ihren Auswirkungen auf Gewinne und Finanzen. Für die nächsten Quartale rechnen wir jedenfalls weiter mit einem stabilen US-Wachstum, wenn nicht mit einem erneuten Anstieg.
Von Shannon L. Saccocia, Chief Investment Officer - Wealth bei Neuberger Berman
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