Adipositas: Milliardenmarkt zwischen Medizin, Regulierung und Wettbewerb

Adipositas, Milliardenmarkt, Medikamenten-Revolution: Michael Hannig, Analyst bei der DJE Kapital AG analysiert die rasante Entwicklung rund um GLP-1-Präparate wie Ozempic & Mounjaro - inklusive neuer Technologien, globaler Konkurrenz, regulatorischer Risiken und Marktausblick. DJE Kapital AG | 08.08.2025 08:37 Uhr
Michael Hannig, Analyst bei der DJE Kapital AG / © e-fundresearch.com / DJE Kapital AG
Michael Hannig, Analyst bei der DJE Kapital AG / © e-fundresearch.com / DJE Kapital AG

Im Juli 2019 beleuchteten wir erstmals den damals entstehenden und ab 2023 explodierenden Hype um die sogenannte „Abnehmspritze“. Der Trend, angefacht durch soziale Medien und prominente Anwender, hatte einen regelrechten Nachfragesog für GLP-1-Medikamente wie Ozempic und Mounjaro ausgelöst, der die Hersteller an ihre Produktionsgrenzen brachte. Wir stellten heraus, dass die Präparate nicht nur beachtliche Gewichtsverluste von 15 bis 22 Prozent ermöglichten, sondern auch eine dauerhafte Einnahme erforderlich machen, um eine Rückkehr zum Ausgangsgewicht zu verhindern. Schon früh zeichnete sich das gewaltige Potenzial ab: Bei weltweit mehr als 650 Millionen Menschen mit Adipositas und prognostizierten Marktvolumina von bis zu 100 Mrd. US-Dollar bis 2030, sprachen wir von einem Megatrend. Bereits damals zeigten sich die weitreichenden Auswirkungen der Medikamente weit über die reine Gewichtsreduktion hinaus – positive Studienergebnisse bei Herz- und Nierenerkrankungen lösten Kursanstiege bei den Herstellern aus, während andere Branchen, etwa Dialyseanbieter oder die Lebensmittelindustrie, die disruptiven Effekte zu spüren bekamen.

Gleichzeitig warnten wir aber auch: Der Hype hatte die Aktien der führenden Anbieter zu Konsens-Favoriten gemacht, wodurch sie aufgrund ihrer hohen Bewertungen anfällig für Rückschläge wurden.  Offene Fragen zu Produktionskapazitäten, zur langfristigen Kostenübernahme durch Versicherer und zu potenziellen neuen Konkurrenten oder unvorhergesehenen Risiken standen im Raum. Vor diesem Hintergrund betrachten wir die seither eingetretenen Entwicklungen.

Zwei Anbieter, ein Markt und neue Konkurrenz

Das bereits 2023 beschriebene Duopol hat sich weiter verfestigt: Zwei große Anbieter dominieren den Markt mit ihren Blockbustern – der eine mit Semaglutid-basierten Präparaten, der andere mit einem GIP/GLP-1-Rezeptoragonisten. Letzterer konnte seither kontinuierlich Marktanteile gewinnen. Dies ist einer der Gründe für den starken Kursverlust des anderen Anbieters innerhalb der letzten zwölf Monate (die Bewertung liegt inzwischen deutlich unter dem Durchschnitt der letzten Jahre). Zudem wurden im Juli 2025 die Gewinn- und Umsatzprognosen nach unten korrigiert – begleitet von der Vorstellung eines neuen CEO. Wir vermuten ein strategisches „Kitchen Sinking“ hinter diesem Manöver, um von den Problemen abzulenken. Die damals schon spürbaren Produktionsengpässe eskalierten zu einer der größten Herausforderungen. Die Nachfrage übertraf das Angebot bei Weitem. Beide Marktführer sahen sich gezwungen, milliardenschwere Investitionen in neue Produktionskapazitäten anzukündigen. Diese anhaltende Knappheit hatte vor allem in den USA eine besondere Folge: Sobald die FDA die Medikamente offiziell auf die „Drug Shortages List“ setzte, traten sogenannte Compounding Pharmacies auf den Plan. Diese spezialisierten Apotheken dürfen legale, aber nicht markengeschützte Versionen der Wirkstoffe herstellen, um den Versorgungsnotstand zu überbrücken. Dies schuf eine regulatorische Grauzone, die zwar vielen Patienten den Zugang sicherte, aber auch Debatten über Sicherheit und Standardisierung auslöste, da diese Präparate nicht die strengen Zulassungsverfahren der FDA durchlaufen. Schätzungen zufolge nutzen nur ca. 70% der Patienten die offiziellen Produkte beider Firmen. Während der Listenpreis von 1.350 US-Dollar (2023) auf einen Selbstzahlerpreis von 450 US-Dollar (2025) gesunken ist, kostet die Spritze als Compounded-Variante nur ca. 250 US-Dollar. In Kanada und Brasilien ist der Patentschutz bereits ausgelaufen. Der Eintritt von Generika hat die Preiserosion dort weiter beschleunigt. Auch der zuvor benannte Wettbewerbsdruck hat sich konkretisiert: In China erhielt ein Partnerunternehmen die Zulassung für ein dort exklusiv vertriebenes Produkt. Weitere Anbieter, darunter mehrere große Pharmakonzerne und Biotech-Firmen, drängen mit Nachdruck in diesen attraktiven Markt.

Wie es weitergeht: Neue Technologien, neue Zielgruppen

Die Weiterentwicklung der Adipositas-Behandlung schreitet rasant voran – weg von Injektionen hin zu einfacheren und potenteren Therapieformen. Ein Meilenstein ist die Entwicklung von GLP-1-Medikamenten in Tablettenform. Ein orales Präparat ist bereits am Markt; die nächste Generation zielt auf eine höhere Wirksamkeit und breitere Anwendung. Zentrale Herausforderung ist die geringe Bioverfügbarkeit oraler Peptide. Um den Verdauungstrakt zu passieren, müssen sie in hoher Dosierung und mit Hilfsstoffen eingenommen werden – häufig unter strengen diätetischen Vorgaben. Eine vielversprechende Alternative sind sogenannte „Small Molecules“. Diese chemisch stabilen Wirkstoffe lassen sich leichter als Tablette formulieren und erfordern keine komplexen Einnahmebedingungen.

Ein Wirkstoff dieser Klasse befindet sich derzeit in der klinischen Entwicklung und zeigt vielversprechende Ergebnisse. Darüber hinaus nimmt die Forschung bereits die nächste Generation ins Visier: sogenannte Triple-Agonisten, die gleichzeitig an die Rezeptoren GLP-1, GIP und Glukagon binden. Ein Vertreter dieser Substanzklasse erreichte in Studien einen durchschnittlichen Gewichtsverlust von über 24 Prozent des Körpergewichts nach 48 Wochen – ein Ergebnis, das nahe an die Effektivität chirurgischer Eingriffe zur Gewichtsreduktion heranreicht.

Darüber hinaus verschiebt sich der Fokus von der reinen Gewichtsreduktion hin zur „Quality of Weight Loss“. Ein Kritikpunkt der aktuellen Medikamente ist, dass Patienten nicht nur Fett, sondern auch Muskelmasse abbauen. Künftige Behandlungen setzen daher gezielt auf Muskelerhalt. Ein vielversprechender Ansatz ist die Kombination mit Wirkstoffen, die den Muskelaufbau fördern. Ziel ist nicht nur ein geringeres Gewicht, sondern eine gesündere Körperzusammensetzung. GLP-1-Präparate sind aktuell für Adipositas (BMI ≥ 30) oder Übergewicht mit Begleiterkrankungen (BMI ≥ 27) zugelassen. Mit Einführung oraler Präparate könnte sich die Nachfrage über die medizinische Indikation hinaus auf den kosmetischen Bereich ausweiten. Erste Schätzungen gehen von einem Monatspreis zwischen 150 und 200 US-Dollar aus. Gleichzeitig wird das Potenzial dieser Wirkstoffklasse für weitere Indikationen immer deutlicher. Großangelegte Studien haben gezeigt, dass GLP-1-Agonisten das Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall signifikant senken. Weitere Studien zur Behandlung von chronischen Nierenerkrankungen, der nicht-alkoholischen Fettleber (NASH) und sogar neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson laufen, da die Rezeptoren auch im Gehirn eine Rolle spielen.

Milliardenmarkt mit Preisdeckel?

Die Marktdynamik bleibt spannend. Während weitere Akteure in den Markt drängen, könnte der erwartete Gesamtmarkt, der oft auf über 100 Mrd. US-Dollar bis 2030 geschätzt wird, durch den Erfolg der oralen Medikamente paradoxerweise etwas kleiner ausfallen als prognostiziert. Tabletten dürften zu einem deutlich niedrigeren Preis angeboten werden als die komplex herzustellenden Injektionen, was den Gesamtumsatz bei steigendem Volumen dämpfen könnte.

Ein führender Anbieter scheint strategisch breit aufgestellt: Mit einem oralen Small Molecule adressiert er den wachsenden Markt der leicht bis moderat übergewichtigen sowie kosmetisch motivierten Patientinnen und Patienten. Für das stark adipöse Segment steht ein bereits erfolgreich etabliertes Injektionspräparat zur Verfügung. Und mit einem Triple-Agonisten für extreme Adipositas befindet sich ein weiteres vielversprechendes Präparat in der klinischen Entwicklung.

Regulierung als Risiko

Die US-Pharmaindustrie steht unter politischem Druck. Mit der Berufung von Robert F. Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister verfolgt die Regierung eine industrie-kritische Linie. Unter dem Slogan „Make America Healthy Again“ wird ein konfrontativer Kurs eingeschlagen, begleitet von einem deutlichen Stellenabbau bei der FDA. Dies nährt Befürchtungen, dass sich Zulassungsverfahren für neue Therapien erheblich verzögern könnten.

Gleichzeitig forciert die Regierung eine protektionistische Handelspolitik. Zwar wurden angedrohte Zölle vorerst nicht umgesetzt, ihre Wirkung auf die Branche ist jedoch spürbar. Unternehmen reagieren mit massiven Investitionsankündigungen in den US-Standort – als Teil einer „USA for USA“-Strategie. Ziel ist es, die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten zu reduzieren. Investitionszusagen in Milliardenhöhe kommen unter anderem von großen Branchenakteuren.

Zentrales Thema bleibt jedoch das sogenannte „Most Favored Nation“-Dekret. Es koppelt die Preise für patentgeschützte Medikamente in den USA an die niedrigsten Preise in vergleichbaren Industrieländern. Das stellt das bisherige Geschäftsmodell infrage – die hohen US-Preise gelten bislang als entscheidende Säule zur Finanzierung globaler Forschungsaktivitäten. Gleichzeitig sind Generika in den USA – anders als in Europa – bereits deutlich günstiger. Die neue Preislogik zielt darauf, die Kostenlast künftiger Innovationen verstärkt auf andere Märkte, insbesondere Europa, zu verlagern.

Von Michael Hannig, Analyst bei der DJE Kapital AG

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