1. US-Zollpolitik: Steigendes Rezessionsrisiko
Präsident Trumps Hauptziel sind erhebliche Steuersenkungen, und sein Plan ist es, diese durch Zölle zu finanzieren. Aber die Erhöhung von Zöllen ist im Grunde eine massive, sofortige Steuererhöhung, die in erster Linie von den US-Verbrauchern und inländischen Unternehmen bezahlt wird. Trumps Plan, die Welt für die Steuersenkungen in den USA zahlen zu lassen, wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Deshalb glauben wir, dass er letztendlich zurückgeschraubt wird. Seine Regierung verkennt, dass sie in einer multipolaren Welt agiert: Während Trumps erster Amtszeit beschränkten sich die Spannungen im Handel weitgehend auf China. Seitdem ist der Welthandel von 2016 bis 2024 um 20% gewachsen und heute sind auch traditionelle Verbündete wie Europa und Japan vom Handelskrieg betroffen. Selbst für die USA ist es schwierig, einseitig gegen den Rest der Welt vorzugehen.
2. Die Reaktion des Anleihemarkts
Der Anleihemarkt wird Trump nicht erlauben, die Steuern in dem von ihm angestrebten Umfang zu senken. Er versteht, dass Zölle keine nachhaltige Einnahmequelle sind, sondern die Zolleinnahmen im Laufe der Zeit sinken werden, wenn sich die globalen Handelsmuster verschieben und andere Länder sich anpassen.
Wenn die Bedenken hinsichtlich der fiskalischen Nachhaltigkeit der Zölle auch weiterhin die renditesenkenden Auswirkungen einer Konjunkturabschwächung überwiegen, schafft das sowohl für das US-Finanzministerium als auch für die Fed eine komplexe Situation. Und da die Zustimmungswerte des Präsidenten zu sinken und die Arbeitslosigkeit zu steigen beginnen, wird Trump wahrscheinlich gezwungen sein, einige seiner extremen Handelsmaßnahmen zurückzunehmen. Die entscheidende Frage ist der Zeitpunkt. Wenn diese Kehrtwende in den kommenden Wochen beginnt, könnte eine Rezession noch vermieden werden. Andernfalls wird es schwierig werden.
3. Auf dem Weg zu einem neuen Kapitalflussregime
Das internationale Kapitalflussregime wird mittel- bis langfristig wahrscheinlich radikal umgestaltet. In den letzten Wochen wurde über ein hypothetisches „Mar-a-Lago-Abkommen“ über das internationale Währungssystem spekuliert, das auf der Idee basiert, dass der Status des Dollars als Reservewährung eine Belastung für die USA darstellt, da er zu einer strukturellen Aufwertung führt und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes untergräbt. Der Vorschlag lautet, dass die USA diesen Status aufgeben sollten, insbesondere durch eine Zollpolitik und eine „gesteuerte“ Abwertung des Dollars. Ein umfassendes Währungsabkommen ist jedoch nicht erforderlich. Die internationalen Anleihemärkte werden aufgrund der zunehmenden Besorgnis über das Haushaltsdefizit immer weniger bereit sein, US-Staatsanleihen zu kaufen, während andere Länder - insbesondere Europa und China- sich darauf vorbereiten, ihre Wachstumsstrategien zu stärken. Trump hat die Blase des amerikanischen Exzeptionalismus effektiv zum Platzen gebracht. Wir treten nun dauerhaft in eine Phase ein, in der Kapital aus den USA abfließt und in andere Regionen, insbesondere nach Europa und in Schwellenländer, fließt.
4. Europas fiskalpolitische Wende
China, Europa und andere Länder könnten auf Trumps Schritte mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren (wie China bereits angekündigt hat), oder sie könnten sich für die Umsetzung von Konjunkturmaßnahmen zur Ankurbelung der Binnennachfrage entscheiden. Sollte Letzteres eintreten, würde dies eine strukturelle Verschiebung der Wachstumsmodelle dieser Länder signalisieren – insbesondere in China und Deutschland, die beide traditionell exportgetriebene Wirtschaftsstrategien verfolgen.
Die Outperformance der europäischen und chinesischen Aktienmärkte gegenüber US-Aktien könnte anhalten und zu einem der wichtigsten Anlagethemen der nächsten fünf Jahre werden. Dieser Trend wird wahrscheinlich unabhängig von der Schwere des Handelskrieges anhalten, da der eigentliche Treiber der Kapitalrotation weg von den USA die Fiskalpolitik und nicht die Handelspolitik ist. Europas fiskalische Ausrichtung verschiebt sich in die entgegengesetzte Richtung, mit großen Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung, angeführt – überraschenderweise – von Deutschland. Dies markiert einen historischen makroökonomischen Wendepunkt.
Es gibt weitere Gründe, optimistisch in Bezug auf europäische Aktien zu sein:
- Die Bewertungen von US-Aktien sind nach wie vor deutlich höher als die von europäischen Aktien - selbst nach der Erholung im ersten Quartal.
- Europa hat die Energiekrise hinter sich gelassen. In den nächsten zwei Jahren wird eine Welle von LNG-Lieferungen den Kontinent mit billiger Energie überschwemmen.
- Der geopolitische Druck zwingt die europäischen Entscheidungsträger, sich endlich auf die Vollendung des Binnenmarktes zu konzentrieren. Als Beispiel: Ein chinesisches Telekommunikationsunternehmen hat vielleicht 400 Millionen Nutzer, ein US-amerikanisches 120 Millionen, ein europäisches wahrscheinlich nur 10 Millionen. Die Vollendung des Binnenmarktes und die Förderung von M&A-Aktivitäten sind von entscheidender Bedeutung, um diese Fragmentierung aufzulösen.
In der Verteidigung haben Putin und Trump Europa zu Reformen gezwungen. Dennoch wird das Risiko, dass die USA Europa im Stich lassen, wahrscheinlich überschätzt, ebenso wie die Vorstellung, dass Russland in der Lage ist, eine Offensive gegen Europa zu starten. Infolgedessen werden die wahrgenommenen Risiken überbewertet, während die potenziellen Auswirkungen der laufenden Reformen unterschätzt werden.
5. Chancen in China
China hat die historische Chance, seine Ambitionen als globale Wirtschaftsmacht zu behaupten, insbesondere angesichts der Hinwendung der USA zum Isolationismus und der Priorisierung inländischer Interessen. Die größte wirtschaftliche Herausforderung des Landes bleibt die strukturelle Schwäche des Binnenkonsums, die auf das Platzen der Immobilienblase zurückzuführen ist. China sieht sich mit einer langfristigen Stagnation konfrontiert, ähnlich wie in den USA in der Zeit nach 2010. Es könnte nun als Gegenmaßnahme einen ähnlichen innovationsgetriebenen Weg einschlagen wie die USA seinerzeit, insbesondere im technologischen Bereich.
Wenn die USA eine konfrontative Haltung im globalen Handel einnehmen, wird dies außerdem unweigerlich chinesischen KI-Produkten und europäischen Investitionsgütern und Verteidigungstechnologien die Tür zu den globalen Märkten öffnen – mit Alibaba als führendem Anbieter von KI-Cloud-Infrastrukturen im globalen Süden, europäischen Unternehmen, die die Automatisierung und die kommerzielle Luftfahrt dominieren, und BYD als Anführer der globalen Revolution der Elektromobilität.
Von Giordano Lombardo, Gründer, CEO und Co-CIO Plenisfer Investments SGR (Teil von Generali Investments)