Auf ihrer heutigen Sitzung hat die EZB ihre Leitzinsen erstmals wieder gesenkt. Das gesamte Zinsband wurde um 0,25 Prozentpunkte reduziert. Damit liegt der für den Finanzmarkt relevante Einlagenzins bei 3,75%. Gleichzeitig hat die EZB ihre Wachstums- und Inflationsprognosen aufwärtsrevidiert. Im Jahresdurchschnitt 2024 erwartet die Notenbank nun eine Teuerung von 2,5% (bisher: 2,2%). Auch die Inflationsprognose für 2025 wurde auf 2,2% angehoben (bisher: 2,0%). Das Statement der EZB und die Äußerungen von Präsidentin Lagarde sind taubenhaft und wenig konkret ausgefallen. Die EZB sieht für Europa ein deutlich geringeres Risiko eines Wiederanstiegs der Inflation als die FED für die USA, vor allem da sich die Inflationserwartungen auf niedrigerem Niveau stabilisiert haben. Der anhaltende Lohndruck lässt die Geldpolitik aber auch in Europa sehr vorsichtig agieren.
Aussichten für Anleger
Die EZB hat ihre Ankündigung erfüllt und die erste Zinssenkung durchgezogen. Dabei dürfte auch die Glaubwürdigkeit von Ankündigungen generell eine Rolle gespielt haben. Gleichzeitig hat Lagarde deutlich gemacht, dass der heutige Schritt vor allem als Verringerung der aktuell starken Bremswirkung verstanden werden soll. Ob es auch der Beginn eines Lockerungszyklus sein wird, darauf wollte sich Lagarde heute nicht klar festlegen. Und das ist gut so, denn die einzige Gewissheit mit Blick auf die Geldpolitik ist ihre Datenabhängigkeit. Für das zweite Halbjahr erwartet die EZB ein unangenehmes Auf und Ab der Inflationsrate bei einem schrittweisen Rückgang der Lohndynamik. Bei einem solchen Verlauf sind weitere moderate Zinssenkungen zwar realistisch, allerdings könnte sich die Landezone für den Leitzins bereits bei etwa 3% befinden. Stärkere Zinssenkungen sind nur im Fall einer erneuten deutlichen Konjunktureintrübung realistisch, und damit datenabhängig.
Von Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz