Ich gehe davon aus, dass die EZB in der kommenden Woche eine Pause einlegen wird, da die jüngsten Daten eine Entspannung zeigen. Eine Zinserhöhung in einem Umfeld, in dem die Daten auf eine Rezession hindeuten, könnte sich kontraproduktiv auswirken: Sollte die EZB die Märkte mit einer Zinserhöhung überraschen, könnten Märkte beginnen, einen geldpolitischen Kursfehler einzupreisen, indem sie Konditionen lockern und einen schwächeren Euro einpreisen. Dies würden den geldpolitischen Kurs weniger restriktiv machen, die Inflationsentwicklung ankurbeln und das Gegenteil von dem bewirken, was die EZB eigentlich erreichen will.
Auf der Pressekonferenz im Juli stellte EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Finanzmärkten in Aussicht, dass sich die EZB bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer Zinserhöhung im September vor allem von den Daten leiten lassen werde. Die Mitglieder des EZB-Rats hielten sich im Großen und Ganzen an diese Kommunikationsstrategie, wobei die meisten Reden der Entscheidungsträger das Ergebnis im September offen ließen. Als Folge dieser Umstellung auf eine rein datengetriebene Zinsstrategie haben die Märkte die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung ausschließlich auf der Grundlage von Daten eingepreist.
Die jüngsten Daten deuten eindeutig auf eine Zinspause im September hin. Der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor schwächte sich im August deutlich ab und setzte damit die Serie negativer Überraschungen im Dienstleistungssektor fort, die im Mai begonnen hatte. Dies ist deshalb wichtig, weil der PMI für den Dienstleistungssektor auch nach der Pandemie noch stark mit dem tatsächlichen Wachstum des Dienstleistungssektors im Euroraum korreliert, während einige andere Umfragen ihre frühere Prognosekraft für die Realwirtschaft verloren zu haben scheinen. Was die Inflation anbelangt, so überraschte die Kerninflation des VPI im Juli mit einem Anstieg, der jedoch im August sowohl im Jahresvergleich als auch in der Dynamik deutlich zurückging. Die monatliche Kerninflation des VPI im Euroraum entsprach einem normalen August vor dem jüngsten Inflationsanstieg. Schließlich wurde die Stärke des Wachstums im Euroraum im zweiten Quartal 2023 revidiert. Das Wachstum wurde durch die Nettoexporte geschwächt und durch die Lagerbestände gebremst. Die Konsumausgaben der Privathaushalte blieben in der ersten Jahreshälfte mehr oder weniger unverändert. Angesichts dieser jüngsten Reihe von dovishen Daten preisen die Märkte nur noch eine 30-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine Zinserhöhung in der nächsten Woche ein.
Die Einschätzung, dass wir in der Eurozone wahrscheinlich in eine Rezession rutschen - eine Sichtweise, die ich seit einiger Zeit vertrete - wird von den Ökonomen zwar noch nicht einhellig geteilt, gewinnt aber nach den Korrekturen der BIP-Daten in dieser Woche langsam an Akzeptanz unter den Ökonomen und an den Märkten.
In ihrer Rede in Jackson Hole nannte Christine Largarde formlos drei Bedingungen für eine Pause bei den Zinserhöhungen: Die EZB brauche eine Übertragung der Politik auf die Realwirtschaft, einen Wendepunkt bei der zugrundeliegenden (Kern-)VPI-Inflation und einen Inflationsausblick (Prognose), der mittelfristig eine Inflation von 2% vorsieht. Die Daten zeigen, dass die ersten beiden dieser Bedingungen eindeutig erfüllt sind. Die Prognose (dritte Bedingung) wird von der EZB festgelegt. Allerdings dürften die schwächeren Wachstumsdaten in den Modellen der EZB zu einem niedrigeren projizierten Inflationspfad führen.
Tatsächlich besteht das Risiko, dass eine Zinserhöhung in der kommenden Woche nach hinten losgehen könnte. Indem sich die Entscheidungsträger nicht zur September-Entscheidung geäußert haben, haben sie die Märkte dazu ermutigt, die Politik allein anhand der Daten zu beurteilen, und die Daten deuten auf eine Pause hin. Sollten die politischen Entscheidungsträger im aktuellen Umfeld schwacher realwirtschaftlicher Daten und einer sich abzeichnenden Rezession dennoch eine Zinserhöhung vornehmen, könnten die Märkte beginnen, einen politischen Fehler einzupreisen: Die Tatsache, dass die EZB die Zinsen in einer Situation erhöht, in der sich eine Rezession abzuzeichnen beginnt, könnte die Märkte dazu veranlassen, in ein oder zwei Jahren weitere Zinssenkungen einzupreisen. Der Euro würde eher an Wert verlieren als gewinnen. Die finanziellen Bedingungen würden sich tatsächlich entspannen, was auf eine weniger restriktive Politik hindeutet. Der Euro würde wahrscheinlich weiter an Wert verlieren, was die importierte Inflation erhöhen würde. Es besteht also die reale Gefahr, dass sich eine Anhebung in der kommenden Woche als kontraproduktiv erweisen könnte.
Von Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price