Die HVPI-Inflation in der Eurozone stieg im Juli auf 2,6% gegenüber 2,5% im Juni. Dies überraschte sowohl die allgemeinen Prognosen als auch die EZB. Der Inflationsanstieg ist vor allem auf einen Anstieg der Kernwaren und einen starken Anstieg in Italien zurückzuführen. Mit anderen Worten, eine deutliche Überraschung bei der Kerninflation war für den Inflationsanstieg im Juli verantwortlich. Wichtig ist jedoch, dass die Überraschung bei der Kerninflation des VPI nicht auf einen Anstieg der Dienstleistungsinflation zurückzuführen ist, sondern auf einen Anstieg der Kerninflation bei den Waren. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die Dienstleistungsinflation reagiert viel stärker auf Lohndruck. Die gesamte Debatte über die Fortdauer der Inflation dreht sich um die Dienstleistungsinflation. Die Dienstleistungsinflation ist jedoch von 4,1% im Juni auf 4% im Jahresvergleich gesunken. Auf monatlicher, saisonbereinigter Basis liegt die Inflationsdynamik im Dienstleistungssektor weiterhin bei 0,3%. Dies ist zwar immer noch zu hoch, aber deutlich niedriger als in den letzten Monaten und steht im Einklang mit der Disinflation der Kerninflation. Die Kerninflation bei den Waren ist vermutlich deshalb gestiegen, da die Unternehmen die in den letzten Monaten stark gestiegenen Transportkosten aus China weitergeben. Dies dürfte jedoch nur vorübergehender Natur sein. Die Importeure dürften versucht haben, einen Großteil ihrer Lagerbestände in die USA zu verlagern, um so möglichen Zöllen zuvorzukommen, die ein künftiger Präsident Trump verhängen könnte. Diese veränderte Verhaltensweise führte vorübergehend zu einer deutlich höheren Nachfrage nach Containern weltweit, was einen erheblichen Anstieg der Frachtkosten auch nach Europa zur Folge hatte. Diese Überlastungsprobleme dürften jedoch nur vorübergehender Natur sein. Terminkontrakte auf Containerfrachtraten lassen für die zweite Jahreshälfte deutlich niedrigere Frachtkosten erwarten. Damit dürfte auch die Kerninflation bei den Waren wieder sinken.
Die EZB ist sich wahrscheinlich darüber im Klaren, dass der Anstieg der Kerninflation bei den Gütern wahrscheinlich nur vorübergehend sein wird. In ihrer Kommunikation und ihren Überlegungen hat sich die EZB auf die Dienstleistungsinflation konzentriert, da diese der im Inland erzeugten Inflation am nächsten kommt. Die Entscheidungsträger der EZB waren vor allem über das Auftreten von Zweitrundeneffekten besorgt. Die heutigen Daten zur Dienstleistungsinflation zeigen jedoch, dass sich der jüngste Disinflationstrend bei der HVPI-Inflation im Dienstleistungssektor fortsetzt. Eigentlich hätte man im Vorfeld der Euro 2024 und der Olympischen Spiele eine höhere HVPI-Inflation bei den Dienstleistungen erwartet. Die EZB wird daher wahrscheinlich über die starken HVPI-Inflationsdaten von heute hinwegsehen. Aus Sicht der EZB stehen die heute veröffentlichten Daten im Einklang mit einem vierteljährlichen Zinssenkungszyklus. Es ist daher wahrscheinlich, dass die EZB die Leitzinsen im September und Dezember weiter senken wird.
Von Tomasz Wieladek, Chief European Economist bei T. Rowe Price