Deutsche Wirtschaft: Zwischen Krisenmodus und Hoffnung

Wie zukunftsfähig ist die deutsche Wirtschaft? Nach Jahren der wirtschaftlichen Stagflation eine durchaus berechtigte Frage – immerhin läuft die Bundesrepublik Gefahr, im Jahr 2025 zum dritten Mal in Folge kein reales BIP-Wachstum zu erzielen. Im globalen IMD Wettbewerbsranking ist Deutschland mittlerweile auf Platz 24 zurückgefallen. Eine entschlossene Reformpolitik in Kombination mit günstigen globalen Rahmenbedingungen könnte den strukturell geschwächten Wirtschaftsstandort jedoch wieder auf Kurs bringen, meint Christian Schmidt, aus dem Portfoliomanagement-Team der LAIQON-Tochter SPSW Capital GmbH. LAIQON | 25.08.2025 15:24 Uhr
Christian Schmidt, Portfoliomanagement LAIQON-Gruppe / © e-fundresearch.com / LAIQON-Gruppe
Christian Schmidt, Portfoliomanagement LAIQON-Gruppe / © e-fundresearch.com / LAIQON-Gruppe

Nach Jahren wirtschaftlicher Stagnation wächst die Sorge um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands als führender Industriestandort. Die Schließung bedeutender Produktionsstätten sowie umfangreiche Stellenstreichungen bei Großunternehmen, insbesondere in der Automobil- und Fertigungsindustrie, sind Ausdruck tiefgreifender struktureller Defizite. Allein in diesem Jahr wurden bereits über 100.000 Stellenstreichungen angekündigt. Kurzfristige Belastungen wie die stark gestiegenen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs sowie höhere Lohn- und Sozialabgaben treffen auf eine Reihe langfristiger Herausforderungen: eine komplexe und teils lähmende Regulierungslandschaft, schleppende Fortschritte bei der Digitalisierung, ambitionierte Dekarbonisierungsziele und ein demografischer Wandel, der den Fachkräftemangel weiter verschärft.

Zeitenwende soll deutsche Wettbewerbsfähigkeit wieder stärken

Die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands lässt sich auch anhand objektiver Kennzahlen belegen. Im aktuellen IMD World Competitiveness Ranking 2024 ist Deutschland auf Rang 24 zurückgefallen, ein markanter Absturz gegenüber Platz 6 vor nur einem Jahrzehnt. Besonders schwach schneidet die Bundesrepublik inzwischen in den Bereichen Infrastruktur, Effizienz der öffentlichen Verwaltung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ab. Trotz dieser alarmierenden Entwicklung lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Bereits Ende der 1990er Jahre war die Lage ähnlich angespannt. Damals titulierte The Economist Deutschland als den „kranken Mann Europas“, angesichts hoher Arbeitslosigkeit, schwachen Wachstums und fehlender Reformdynamik. Im Wettbewerbsranking rutschte Deutschland im Jahr 2006 auf Rang 25 ab.

Abb. 1: Wettbewerbsranking auf Basis von 67 Volkswirtschaften

Quelle: International Institute for Management Development 

Jedoch verhalf eine entschlossene Reformpolitik in Kombination mit günstigen globalen Rahmenbedingungen den strukturell geschwächten Wirtschaftsstandort wieder auf Kurs zu bringen. Damals waren es insbesondere die Arbeitsmarktreformen, die darauf abzielten, die Arbeitssuche zu erleichtern, Anreize zur Erwerbstätigkeit zu schaffen und die Beschäftigungsquote nachhaltig zu erhöhen. Diese Maßnahmen trugen maßgeblich dazu bei, dass Deutschland im internationalen Wettbewerbsranking sukzessive bis auf Platz sechs aufstieg und sich in der Folge als Exportnation von Weltrang etablierte, mit einem zeitweiligen Anteil von über sieben Prozent an den globalen Exporten.

Die Vergangenheit zeigt, dass Strukturreformen, gepaart mit politischem Gestaltungswillen, tiefgreifende wirtschaftliche Stagnation überwinden können. Heute steht die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz vor einer vergleichbaren Herausforderung. Mit dem zu Beginn des Jahres angekündigten, umfassenden Infrastrukturpaket in Höhe von 500 Milliarden Euro wurde ein erster wichtiger Impuls gesetzt. Entscheidend wird nun sein, ob diesem Signal auch strukturelle Reformen folgen, die das Fundament für eine nachhaltige wirtschaftliche Erneuerung legen.

Diskrepanz zwischen euphorischer Börsenreaktion und ernüchternder Realität

Mit der im Juni vorgestellten Haushaltsplanung wurde dann sogar deutlich, dass die fiskalischen Impulse deutlich früher als erwartet umgesetzt werden. So sind bereits für das zweite Halbjahr 2025 Mittel in Höhe von über 37,2 Milliarden Euro aus dem neu geschaffenen Sondervermögen vorgesehen. Nach aktueller Planung sollen die jährlichen Ausgaben aus diesem Fonds zwischen 2026 und 2029 auf 57 bis 60 Milliarden Euro ansteigen, was rund 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2024 entspricht. Insgesamt sind bis 2029 kumulierte Investitionen in Höhe von etwa 270 Milliarden Euro vorgesehen. Ein wesentlicher Teil dieser Mittel entfällt auf die Modernisierung und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Rund 166 Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahren in den Bau und die Sanierung von Straßen, Brücken und Schienenwegen fließen. Weitere zentrale Ausgabenschwerpunkte sind die Digitalisierung, der Wohnungsbau, die soziale Infrastruktur sowie Klimaschutzmaßnahmen.

Abb. 2: Haushaltsplan 2025 und Eckwerte 2026 bis 2029

Quelle: Bundesfinanzministerium

Die ambitionierte Investitionsoffensive wurde entsprechend von Unternehmen und Kapitalmärkten mit spürbarem Optimismus aufgenommen. Der MDAX legte im ersten Halbjahr 2025 um +19,1 Prozent zu, der DAX sogar um +20,2 Prozent und übertraf damit deutlich europäische Vergleichsindizes wie den Stoxx Europe 600, der lediglich +7,7 Prozent verzeichnete. Diese Kursrallye ist umso bemerkenswerter angesichts der weiterhin herausfordernden makroökonomischen Rahmenbedingungen. Im zweiten Quartal sank das Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal und Deutschland läuft Gefahr, im Jahr 2025 zum dritten Mal in Folge kein reales BIP-Wachstum zu erzielen. Die Industrieproduktion fiel im Juni 2025 auf den niedrigsten Stand seit der Corona-Pandemie.

Abb. 3: Industrieproduktion in Deutschland

Index 2021 = 100, kalendar-und saisonbereinigt, Quelle: Statistisches Bundesamt

Die Diskrepanz zwischen der positiven Entwicklung an den Kapitalmärkten und den weiterhin schwachen realwirtschaftlichen Fundamentaldaten lässt sich exemplarisch an den Schlüsselindustrien Chemie und Maschinenbau verdeutlichen. Mehrere führende Chemieunternehmen, darunter BASF, Brenntag, Covestro und Fuchs, haben ihre Gewinnprognosen für das laufende Jahr nach unten revidiert. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen belasten die Unsicherheiten infolge der protektionistischen US-Zollpolitik und führen zu Investitionszurückhaltung. Zum anderen bleibt die Nachfrage in wichtigen Absatzmärkten verhalten, was sich insbesondere bei den exportorientierten Unternehmen bemerkbar macht. Hinzu kommt die Sorge vor steigender Konkurrenz, da Handelsströme aus Asien infolge der Handelsbarrieren verstärkt nach Europa umgeleitet werden.

Trotz der anhaltend schwachen Fundamentaldaten gibt ein strategischer Schulterschluss zwischen Politik und Wirtschaft Anlass zur Hoffnung, dass die Impulse aus dem Sondervermögen nicht nur kurzfristiger Natur sind. Mit der im Juli 2025 gestarteten Initiative „Made for Germany“ haben sich 61 führende Unternehmen und institutionelle Investoren zusammengeschlossen, um den Standort Deutschland langfristig zu stärken. Zu den Unterzeichnern zählen deutsche Industriegrößen wie Airbus, BASF, BMW, Siemens und Volkswagen, ebenso internationale Schwergewichte wie Nvidia, BlackRock und Blackstone. Gemeinsam repräsentieren sie rund ein Drittel der deutschen Bruttowertschöpfung. Das Bündnis hat Investitionen in Höhe von 631 Milliarden Euro bis 2028 zugesagt, die in neue Produktionsstätten, modernste Maschinen, Forschung & Entwicklung sowie Zukunftstechnologien fließen sollen. Gleichzeitig formulierten die Unternehmenslenker allerdings auch klare Erwartungen an die Politik, strukturelle Reformen durchzusetzen. Spürbarer Bürokratieabbau, beschleunigte Genehmigungsverfahren und wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern stehen ganz oben auf der Agenda. Die enge Kooperation mit der Bundesregierung soll diesen Forderungen zusätzliches Gewicht verleihen. Bei konsequenter Umsetzung könnte die Initiative nicht nur kurzfristige Wachstumsimpulse setzen, sondern auch die Produktivität und Innovationskraft Deutschlands wieder langfristig stärken und eine Grundlage für eine neue wirtschaftliche Dynamik schaffen.

Branchengewinner des Sondervermögens

Als einer der Hauptprofiteure der Investitionsoffensive dürfte sich die deutsche Bauindustrie sehen. Nach Jahren struktureller Unterinvestitionen, verschärft durch hohe Zinsen und gestiegene Baukosten, steht die Branche nun vor einem potenziellen Nachfrageboom. Mit der erfolgreichen Umsetzung des Sondervermögens könnte sich der Output der Bauwirtschaft um einen zweistelligen Prozentsatz erhöhen, mit überproportional positiven Effekten auf die Ertragslage. Denn steigende Volumina entfalten in der Bauindustrie einen starken operativen Hebel, der zu deutlich höheren Margen führt. Erste Anzeichen einer Trendwende sind bereits sichtbar. Im Juli 2025 konnte der Gewerbebau erstmals seit März 2022 wieder zulegen, während der Rückgang im Wohnungsbau sich spürbar verlangsamte. Auch die Zahl der Baugenehmigungen beginnt sich von einem historisch niedrigen Niveau, ähnlich zur Finanzkrise 2008, zu erholen. Die ersten Allokationen aus dem Sondervermögen könnten diese Dynamik bereits im zweiten Halbjahr weiter verstärken und der Bauwirtschaft den dringend benötigten konjunkturellen Rückenwind verleihen.

Ein weiteres zentrales Ziel der Bundesregierung ist die Beschleunigung der Digitalisierung von Verwaltung und Industrie. Dies könnte für einen Sonderzyklus für die IT-Dienstleister und Softwareunternehmen sorgen, die zuletzt aufgrund ihrer überproportionalen Sensitivität zu den makrowirtschaftlichen Gegebenheiten in Deutschland gelitten haben. Die Hoffnung auf einen nachhaltigen Digitalisierungsschub wird nicht zuletzt durch die Berufung von Dr. Karsten Wildberger zum Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung genährt. Der CEO der Ceconomy AG (MediaMarktSaturn-Gruppe) und frühere Vorstandsmitglied der E.ON SE bringt umfassende Erfahrung aus der Realwirtschaft mit, was auf eine praxisorientierte Umsetzung und wirtschaftsnahe Digitalpolitik hindeutet. Führende IT-Systemhäuser wie u.a. Bechtle berichten bereits von einer spürbaren verbesserten Auftragslage sowie fortgeschrittenen Vertragsverhandlungen mit öffentlichen Verwaltungen. Investmentchancen ergeben sich insbesondere in den Bereichen der Modernisierung digitaler Infrastrukturen, der Stärkung der Cybersicherheit sowie dem Ausbau von Cloud- und Datenplattformen, die zunehmend zur Grundlage effizienter Verwaltungs- und Industrieprozesse werden.

Ebenfalls profitieren dürften Netzbetreiber, Speicherspezialisten und Ingenieurfirmen in der Energieinfrastrukturbranche. In Deutschland gelten über 40 Prozent der Stromübertragungs- und verteilnetze als veraltet und müssen dringend modernisiert werden. Neben dem Austausch von Schaltanlagen, Leittechnik und Transformatoren ist eine umfassende Digitalisierung der Netze erforderlich, um deren Auslastung zu optimieren und die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Besonders kritisch ist auch der Netzausbau zwischen Nord- und Süddeutschland, um die Überproduktion von Windstrom aus dem Norden effizient in die industriellen Zentren des Südens zu leiten. Auch hier führt das Sondervermögen zu einem neuen Investitionszyklus nach jahrelangen Unterinvestitionen.

Der Mittelstand als Schlüsselprofiteur der Investitionsoffensive

Während der DAX-Index lediglich rund 18 Prozent seiner Umsätze in Deutschland erzielt, weist der MDAX mit einer Umsatzexponierung von 38 Prozent zum heimischen Markt eine deutlich höhere Korrelation zur deutschen Wirtschaft auf und dürfte somit in besonderem Maße von den fiskalpolitischen Stimulusmaßnahmen profitieren. Auch die Sektorengewichtung spricht für den MDAX. Der Anteil von Industrie und Baustoffen liegt bei 42 Prozent, verglichen mit nur 31 Prozent im DAX. Gleichzeitig ist die Umsatzabhängigkeit vom US-Markt beim MDAX mit 20 Prozent deutlich geringer als beim DAX, was ein potenzieller Vorteil ist, angesichts eines möglichen Abschwungs der US-Wirtschaft und anhaltender Zollrisiken.

Abb. 4: Rendite Differenz MDAX vs. DAX

Quelle: Bloomberg Daten 

Seit Anfang 2022 bis zum ersten Halbjahr 2025 hat der MDAX dem DAX jedoch um bemerkenswerte 64 Prozent hinterhergehinkt. Dies ist ein historischer Rückstand, der nun vor dem Hintergrund des politischen Kurswechsels in Deutschland als potenzieller Wendepunkt für den SMID-Bereich konstituiert werden könnte. Gerade mittelständisch geprägte Unternehmen verfügen über eine höhere operative Flexibilität und sind häufig in technologischen Nischen oder spezialisierten Wertschöpfungsketten aktiv. Diese Eigenschaften ermöglichen es ihnen, schneller auf neue Geschäftsopportunitäten zu reagieren, die sich unter anderem aus technologischen Veränderungen und aus dem geplanten Sondervermögen und der Neuausrichtung der Industriepolitik ergeben. Vor diesem Hintergrund eröffnen sich für ausgewählte Sektoren und Unternehmen im Mittelstandssegment interessante Perspektiven für die kommenden Jahre.

Von Christian Schmidt, Portfoliomanagement LAIQON-Gruppe

Weitere beliebte Meldungen:

Performanceergebnisse der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Investmentfonds oder Wertpapiers zu. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds oder Wertpapieren können steigen oder fallen. Anleger können gegebenenfalls nur weniger als das investierte Kapital ausgezahlt bekommen. Auch Währungsschwankungen können das Investment beeinflussen. Beachten Sie die Vorschriften für Werbung und Angebot von Anteilen im InvFG 2011 §128 ff. Die Informationen auf www.e-fundresearch.com repräsentieren keine Empfehlungen für den Kauf, Verkauf oder das Halten von Wertpapieren, Fonds oder sonstigen Vermögensgegenständen. Die Informationen des Internetauftritts der e-fundresearch.com AG wurden sorgfältig erstellt. Dennoch kann es zu unbeabsichtigt fehlerhaften Darstellungen kommen. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen kann daher nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Websites, auf die mittels Hyperlink verwiesen wird. Die e-fundresearch.com AG lehnt jegliche Haftung für unmittelbare, konkrete oder sonstige Schäden ab, die im Zusammenhang mit den angebotenen oder sonstigen verfügbaren Informationen entstehen. Das NewsCenter ist eine kostenpflichtige Sonderwerbeform der e-fundresearch.com AG für Asset Management Unternehmen. Copyright und ausschließliche inhaltliche Verantwortung liegt beim Asset Management Unternehmen als Nutzer der NewsCenter Sonderwerbeform. Alle NewsCenter Meldungen stellen Presseinformationen oder Marketingmitteilungen dar.

Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an

Regelmäßige Updates über die wichtigsten Markt- und Branchenentwicklungen mit starkem Fokus auf die Fondsbranche der DACH-Region.

Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und kann jederzeit abbestellt werden.