"Geschuldet ist diese Entwicklung zum einen den geopolitischen Krisen der Region (Krieg im Nachbarland Syrien, Zerwürfnis mit Russland, Terroranschläge) zum anderen vor allem aber dem harten innenpolitischen Kurs von Recep Tayyip Erdogan, der sich in der Niederschlagung der Proteste im Istanbuler Gezi-Park 2013 erstmals der Weltöffentlichkeit offenbarte und seine bislang stärkste Ausprägung in den Massenverhaftungen nach dem Putschversuch im Juli 2016 fand: Insgesamt wurden zigtausende Politiker, Offiziere und Soldaten, aber auch Lehrer und Journalisten suspendiert, aus ihren Ämtern entfernt und teilweise verhaftet. Polizei- und Justizapparat sowie die Beamtenschaft wurden von vermeintlichen Staatssaboteuren „gesäubert“. Auch Erdogans bedingungslose Vorgehensweise gegen die PKK und ihre Unterstützer steht in der internationalen Kritik. Die einschüchternde Wirkung auf jene, die mehr Freiheit und Demokratie für das Land fordern, bleibt nicht aus. Fest steht, die Ausrichtung der Türkei hat sich deutlich verändert. Das hat auch Folgen für die Beziehungen zur Europäischen Union und den USA und natürlich auch Auswirkungen auf die Sichtweise der Anleger, die gestiegene Risiken für ihre Investitionen nicht mehr nur wegen der Terrorgefahr im Land, sondern eben auch angesichts der innenpolitischen Lage in der Türkei sehen.
Die Renditen für türkische Staatsanleihen werden inzwischen mit höheren Risikoaufschlägen gehandelt. Die Lira war in einer ersten Reaktion nach den Putschmeldungen im Juli deutlich zu US-Dollar und Euro gefallen. Mittlerweile hat sie allerdings einen Großteil ihrer Einbußen wieder aufgeholt. Dennoch bleibt die Volatilität der türkischen Währung ein Thema. Aufgrund der günstigen Inflationsentwicklung hatte die Notenbank zuletzt noch Spielraum, die Zinsen zu senken. Ob sie diesen – auch von Erdogan vehement geforderten – Kurs weiter fortsetzen kann, ist fraglich, denn die Lira ist sehr schwankungsgefährdet und das Risiko von abwertungsbedingten Inflationsschüben daher latent vorhanden.
Vor dem Hintergrund dieser schwierigen Lage überdenken viele internationale Kapitalgeber und Investoren ihr Engagement in der Türkei und führen im Zweifelsfall Kapital ab. Im Falle einer Zinserhöhung in den USA sind darüber hinaus weitere Nettokapitalabflüsse zu erwarten. Eine nachhaltige Stabilisierung der Lira ist in diesem Szenario eher unwahrscheinlich. Angesichts ihres hohen Leistungsbilanzdefizites hat die Türkei zudem wenig Spielraum im Falle einer weiteren Destabilisierung des Marktes. – Daran ändern auch solide Budgetzahlen und eine vergleichsweise geringe öffentliche Verschuldung nichts.
Als hochverzinsliche Währung ist die Türkische Lira auch für Raiffeisen Capital Management von Interesse. Wir haben die Position zuletzt aufgestockt. Bei einer Verschlechterung des institutionellen Setups werden wir die Position wieder rasch zurückfahren."
Ronald Schneider, Leiter Team Anleihen CEE & Global Emerging Markets, Raiffeisen Capital Management
Hinweis: Dieser Kommentar ist in gleicher Form auch bereits als Gastkommentar in der "Börsen-Zeitung" erschienen.
Stand: September 2016