… diese Binsenweisheit drängt sich im Rückblick auf, wenn man die Kapitalmarktentwicklungen in den letzten Wochen Revue passieren lässt. Mit dem Erreichen neuer Allzeithochs im amerikanischen S&P 500 Aktienindex ist eindrucksvoll dokumentiert, dass von einer Mehrheit am Markt das Glas zum Halbjahr als „halb voll“ angesehen wird und somit der Optimismus trotz aller Unsicherheiten deutlich überwiegt. Getragen wurde die Kursrallye einmal mehr von den großen US-Wachstumswerten an der Technologiebörse NASDAQ. Es wurden nicht nur die Kursverluste aus der volatilen Phase zwischen Mitte Februar und Mitte April aufgeholt, sondern diese Erholung ist sogar eine der stärksten, die es nach einer derartigen Marktkorrektur je gab. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich in den USA im Vergleich zu den Aussichten zu Jahresbeginn infolge der verschärften Zollthematik einige makroökonomischen Prognosen eingetrübt und manche Frühindikatoren merklich abgeschwächt haben, die Fed infolge gestiegener Inflationsrisiken im Wait-and-see-Modus geblieben ist, das Gewinnwachstum für 2025 nun deutlich niedriger erwartet wird und das geopolitische Umfeld mit den Eskalationen in Nahost noch mehr angespannt ist. Erklärt wird die im Ausmaß unerwartet positive Tendenz am Aktienmarkt insbesondere mit der Hoffnung auf entsprechende Einigungen im Handelsstreit – wenngleich die Zölle voraussichtlich höher sein werden als vor dem Liberation Day. Das Ausbleiben eines Ölpreisschocks trotz der weiteren Eskalation im Nahen Osten hat nachvollziehbar für Erleichterung gesorgt. Auch defensive Positionierungen von Marktteilnehmer:innen und das psychologische Phänomen FOMO (Fear of missing out) dürften Teil der Erklärung sein. Beim Blick nach vorn wird wohl die Deadline, bis zu der die zunächst unrealistisch hoch angekündigten US-Handelszölle ausgesetzt sind, um Abkommen mit den wichtigsten Ländern abzuschließen, in den Fokus der Anleger:innen rücken. Ebenso bleiben die geopolitischen Konflikte auf dem Radar, die jederzeit das Potenzial haben, die Weltwirtschaft empfindlich zu treffen. Bei der kommenden Berichtssaison werden die jüngst wieder etwas verbesserten Gewinnrevisionen auf die Probe gestellt. Des Weiteren werden die hohe Staatsverschuldung, die Fiskal- und Notenbankpolitik sowie die Bewertungsrelationen am Kapitalmarkt im Fokus verbleiben.
Staatsanleihen: insbesondere französische und deutsche Staatsanleihen interessant
Wir rechnen mit niedrigeren Renditen bei deutschen Staatsanleihen mit mittlerer Laufzeit (5 Jahre) und bleiben hier positiv gestimmt. Aufgrund fehlender Einschätzbarkeit der US-Administration bleiben wir bei US-Staatsanleihen bei der Duration vorerst neutral positioniert, rechnen jedoch (wie auch bei deutschen Staatsanleihen) mit einer noch steileren Zinskurve am langen Ende (10/30 Jahre Zinskurve). Euro-Staatsanleihen, insbesondere französische und deutsche Papiere, werden somit stärker berücksichtigt.
Unternehmensanleihen: In den Sommermonaten weniger Neuemissionen zu erwarten
Am Markt für Unternehmensanleihen bleiben wir – trotz der zuletzt guten Ertragsentwicklung – bei US-High-Yield-Unternehmensanleihen vorsichtig positioniert. Wir rechnen mittelfristig mit steigenden Risikoprämien und sind bei dieser Anleiheklasse im Vergleich zu US-Staatsanleihen zurückhaltender. Zumal in den Sommermonaten weniger Neuemissionen zu erwarten sind, dürfte auch die Liquidität am Sekundärmarkt kurzfristig eher dünn bleiben. Am Markt für Euro-Unternehmensanleihen bleiben wir unverändert neutral positioniert.
Emerging-Markets-Anleihen: Enthusiasmus des Marktes nicht schlüssig
Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen profitierten im Juni von einer hohen Risikobereitschaft der Investor:innen, die diese Anleiheklasse stark nachfragten. Wir bleiben bei Schwellenländer-Hartwährungsanleihen weiterhin vorsichtig und schließen uns dem Enthusiasmus des Marktes nicht an. Wir denken, dass hier ein Schönwetter-Szenario diskontiert wird, das mit den realen Gegebenheiten (Wirtschaftsdynamiken, geopolitische Event-Risiken etc.) nicht zusammenpasst und fokussieren uns aktuell auf andere Ertragsbringer als diese Anleiheklasse.
Entwickelte Aktienmärkte: Unsicherheit an den Märkten bleibt aufrecht
Die globalen Aktienmärkte haben sich vom Zollschock überraschend schnell erholt. Die Hoffnung auf geringere Zölle und rasche Handelsabkommen scheint aktuell zu dominieren. Wir erwarten aber weiterhin, dass die erratischen Maßnahmen aus den USA für anhaltende Unsicherheit sorgen werden. Geringeres Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig höheren Inflationsraten wird auch den Unternehmenssektor belasten. Wir sind daher bei Aktien weiterhin etwas vorsichtiger positioniert.
Emerging-Markets-Aktien konnten Performancevorteil halten
Nach der durchwachsenen Entwicklung von US-Aktien in den letzten Monaten ist eine globale Erholung eingetreten, die insbesondere an den entwickelten Märkten stattgefunden hat. Dennoch konnten Emerging-Markets-Aktien den Performancevorteil halten, den sie bisher in diesem Jahr herausgeholt hatten. Weiter fraglich bleibt, wie sich die Maßnahmen der US-Regierung konjunkturell auswirken werden. Die fundamentale Bewertung für die EM-Region ist weiter recht günstig. Seit Jahresbeginn konnten insbesondere Telekom- und Finanzwerte profitieren.
Rohstoffmärkte: Zentralbankkäufe sorgen strukturell für Unterstützung
Die internationalen Rohstoffmärkte präsentierten sich zuletzt uneinheitlich. Edelmetalle entwickelten sich zuletzt aufgrund der Entspannung im Nahen Osten eher seitwärts. Strukturell sorgen Zentralbankkäufe weiter für anhaltende Unterstützung. Im Energiebereich belasten nach einem kurzen Kurssprung im Zuge des Iran-Konflikts aktuell wieder Angebotsthemen. Wir sehen den Bereich Edelmetalle auch in den nächsten Monaten gut unterstützt und bleiben für diesen Bereich positiv.
Von Karin Kunrath, Chief Investment Officer von Raiffeisen Capital Management
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