Die Hoffnung stirbt zuletzt – so könnte man die jüngsten, überraschend optimistischen „risk on“-Tendenzen am Kapitalmarkt bezeichnen – nach den Schockwellen Anfang April infolge der Zollankündigungen und dem nachfolgenden, temporären Aufschub durch US-Präsident Trump. Abgesehen von den üblichen Gewöhnungseffekten unter den Marktteilnehmern gibt es offenbar auch weiterhin ausreichendes Vertrauen dahingehend, dass die zahlreichen und mitunter erratischen Ankündigungen zur Handelspolitik ein essenzieller Bestandteil der Verhandlungstaktik seitens der US-Administration sind, und sich alle schon erkennbaren wirtschaftlichen Implikationen letztlich in Wohlgefallen auflösen. Anders ist die unverändert überdurchschnittlich hohe Bewertung nicht zu erklären, obwohl sich das aktuelle Umfeld und auch die Aussichten nachhaltig verändert haben. Denn mit den höheren Importzöllen als vor dem „Liberation Day“ (selbst wenn diese dann effektiv weit unter den unrealistischen Erstankündigungen zu liegen kommen), dem nun eingeschränkten Welthandel und den damit beeinträchtigten Lieferketten, dem sinkenden Verbrauchervertrauen in der Erwartung spürbar höherer Preise und der Furcht vor einer Eintrübung am Arbeitsmarkt sowie der mangelnden Planungssicherheit und dem erhöhten Margendruck bei den Unternehmen, erscheint die amerikanische Wirtschaft schon jetzt angeschlagen. Dementsprechend weisen zahlreiche Frühindikatoren auf eine Abschwächung der Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten in den kommenden Wochen und Monaten hin. Darüber hinaus wird die ohnehin schon sehr hohe Verschuldung der USA infolge der kürzlich beschlossenen Steuerreform einen neuen Höchststand erreichen und das Vertrauen in das US-Finanzsystem zusätzlich belasten. Angesichts dieser Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, ob es in den USA nur zu einer Wachstumsdelle oder zu einer – eher seltenen – Stagflation, also der Kombination aus wirtschaftlicher Stagnation und erhöhter Inflation oder letztlich doch zu einer „ganz normalen“ Rezession kommt, in der die Notenbank entsprechend gegensteuern kann. Je nach Ausmaß des Abschwungs in den Vereinigten Staaten, wird es wohl auch global zu einer Wirtschaftsabschwächung kommen. Unsere Marktindikatoren bestätigen weiterhin eine risikoaverse Positionierung, daher bleiben wir bei Aktien weithin vorsichtig.
Staatsanleihen: US-Staatsanleihen mit steileren Zinskurven am langen Ende
Aufgrund fehlender Einschätzbarkeit der US-Administration bleiben wir bei US-Staatsanleihen vorerst Duration-neutral positioniert, rechnen jedoch (wie auch bei deutschen Staatsanleihen) mit einer noch steileren Zinskurve am langen Ende (10/30 Jahre Zinskurve). Für Euro-Staatsanleihen, insbesondere für französische und deutsche Papiere, sind wir positiv gestimmt.
Unternehmensanleihen: Mittelfristig könnten Risikoprämien steigen
Am Markt für Unternehmensanleihen sind wir trotz der zuletzt guten Ertragsentwicklung weiterhin bei US-High-Yield-Unternehmensanleihen vorsichtig. Die von US-Präsident Trump präferierte Wirtschaftspolitik dürfte den dort verhafteten Unternehmenssektor vermutlich weiter schwächen. Wir rechnen mittelfristig mit steigenden Risikoprämien und agieren entsprechend zurückhaltend. Am Markt für Euro-Unternehmensanleihen bleiben wir unverändert neutral positioniert.
Emerging-Markets-Anleihen: Risikoprämien kräftig gesunken
Wir bleiben bei Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen defensiv positioniert. Ausschlaggebend ist für uns eine erwartete höhere Risikoaversion bei USD-Anleihen-Investoren. Die Risikoprämien von Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen sind trotz der wirtschaftspolitischen Irrungen und Wirrungen der US-Administration inkl. sehr hoher Zölle gegenüber den Emerging-Markets-Ländern kräftig gesunken und diskontieren weiterhin ein Schönwetter-Szenario, das wir so aktuell nicht erwarten.
Entwickelte Aktienmärkte: Erratische Maßnahmen in den USA sorgen für Unsicherheit
Die globalen Aktienmärkte haben sich vom "Zollschock" überraschend schnell erholt. Die Hoffnung auf geringere Zölle und rasche Handelsabkommen scheint aktuell zu dominieren. Wir erwarten aber weiterhin, dass die erratischen Maßnahmen aus den USA für anhaltende Unsicherheit sorgen werden. Geringeres Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig höheren Inflationsraten wird auch den Unternehmenssektor belasten. Wir bleiben daher weiterhin vorsichtig.
Emerging Markets: fundamentale Bewertung weiterhin günstig
Nach der durchwachsenen Entwicklung von US-Aktien in den letzten Monaten ist eine globale Erholung eingetroffen, die insbesondere an den entwickelten Märkten stattgefunden hat. Dennoch konnten Emerging-Markets-Aktien den Performance-Vorteil, den sie in diesem Jahr herausgeholt haben, halten. Weiter fraglich bleibt, wie sich die Maßnahmen der US-Regierung konjunkturell auswirken werden. Die fundamentale Bewertung für die Emerging-Markets-Region ist weiter recht günstig. Seit Jahresbeginn konnten insbesondere Telekom und Finanzwerte profitieren.
Rohstoffmärkte: Bereich Edelmetalle gut unterstützt
Die internationalen Rohstoffmärkte präsentierten sich zuletzt sehr uneinheitlich. Edelmetalle konnten erneut zulegen. Der Sektor profitiert von der globalen Unsicherheit und Zentralbankkäufe sorgen für anhaltende Unterstützung. Während Industriemetalle ebenfalls leicht zulegen konnten, belasteten im Energiebereich die Förderausweitungen. Wir sehen den Bereich Edelmetalle auch in den nächsten Monaten gut unterstützt.
Von Karin Kunrath, Chief Investment Officer von Raiffeisen Capital Management
Weitere beliebte Meldungen: