In zahlreichen Marktkommentaren war in den letzten Wochen wieder häufiger von “complacency” zu lesen, was ein hohes Maß an Selbstzufriedenheit unter den zunehmend optimistischen Investor:innen beschreibt und in Zusammenhang mit dem Aktienmarkt auf Rekordniveau auch eine gewisse Abkoppelung von den wirtschaftspolitischen Realitäten. Somit ist zu hinterfragen, ob das Kursniveau an den (US-)Börsen gerechtfertigt ist, wenn aktuelle Belastungsfaktoren offenbar weitgehend ausgeblendet werden und der Anlegerfokus bereits auf den kommenden Quartalen bzw. auf dem nächsten Jahr liegt. Es ist tatsächlich so, dass die Unternehmen auf herausfordernde Rahmenbedingungen in der Vergangenheit immer wieder rascher und effektiver reagieren konnten, als man ursprünglich hätte annehmen können. Dadurch erscheint ein gesundes Maß an Optimismus und ein Hinwegsehen über unmittelbar dämpfende Effekte gerechtfertigt. Obwohl es noch eine Reihe an Unsicherheiten rund um die erratische Zollpolitik gibt, die insbesondere für die USA ein Abwärtsrisiko beim Wachstum und ein Aufwärtsrisiko für die Inflation darstellt, so hat der Einfluss auf den Kapitalmarkt in den letzten Wochen auch infolge resilienter Makrodaten stetig abgenommen. Der Druck auf die Fed, wieder Zinsen zu senken, ist hingegen am Steigen, zumal sich einerseits trotz der schon eingeführten Importzölle bis dato kein markanter Inflationsanstieg eingestellt hat und andererseits die jüngsten Arbeitsmarktdaten unter Erwartung ausgefallen sind. Was die im Vorfeld deutlich nach unten revidierten Gewinnerwartungen für das zweite Quartal betrifft, so konnten diese im Laufe der Berichtssaison klar übertroffen werden und auch der Ausblick auf das künftige Gewinnwachstum stellt sich aus heutiger Sicht durchaus konstruktiv dar. Das ambitionierte Bewertungsniveau und die zuletzt technisch überkaufte Konstellation am Aktienmarkt verdeutlichen, dass in kurzer Zeit viel Optimismus in den Kursen eingepreist wurde, was eine Phase mit erhöhter Volatilität wahrscheinlicher macht. Solange jedoch die regelmäßigen Reality Checks im Rahmen der Quartalsberichte insbesondere bei den führenden US-Wachstumsunternehmen weiterhin so positiv ausfallen, und damit auch aufgezeigt wird, dass die Auswirkungen der Zölle für die Wirtschaft verträglich sind, sollte der Markt entsprechend gut unterstützt bleiben. Wir sind bei Aktien aktuell neutral positioniert.
Staatsanleihen: französische und deutsche Staatsanleihen weiterhin interessant
Wir rechnen mit sinkenden Renditen bei deutschen Staatsanleihen mit mittlerer Laufzeit (5 Jahre) und sind hier entsprechend positiv eingestellt. Aufgrund fehlender Einschätzbarkeit der US-Administration bleiben wir bei US-Staatsanleihen Duration neutral positioniert, rechnen
jedoch (wie auch bei deutschen Staatsanleihen) mit einer noch steileren Zinskurve am langen Ende. Euro-Staatsanleihen (insbesondere französiche und deutsche) erachten wir als chancenreich.
Unternehmensanleihen: in den Sommermonaten weniger Neuemissionen
Am Markt für Unternehmensanleihen bleiben wir (trotz der zuletzt guten Ertragsentwicklung) bei US-High-Yield Unternehmensanleihen vorsichtig. Wir rechnen mittelfristig mit steigenden Risikoprämien und halten uns bei dieser Anleiheklasse gegenüber US-Staatsanleihen zurück. Da in den Sommermonaten weniger Neuemissionen zu erwarten sind, dürfte auch die Liquidität am Sekundärmarkt kurzfristig eher dünn bleiben. Am Markt für Euro-Unternehmensanleihen bleiben wir unverändert neutral positioniert.
Emerging-Markets-Anleihen: Enthusiasmus des Marktes nicht schlüssig
Wir bleiben bei Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen weiterhin vorsichtig und schließen uns dem Optimismus des Marktes hinsichtlich Schwellenländer-Papieren nicht an. Speziell die durch die USA verhängten Zölle gegenüber den Emerging-Markets-Handelspartnern dürften mittelfristig negativ wirken. Wir denken, dass hier ein Schönwetter-Szenario diskontiert wird, das mit den realen Gegebenheiten (Wirtschaftsdynamiken, geopolitische Eventrisiken etc.) nicht zusammenpasst und fokussieren uns auf andere Ertragsbringer.
Entwickelte Aktienmärkte zeigen sich sehr resilient
Die globalen Aktienmärkte haben sich zuletzt sehr resilient bezüglich negativer Nachrichten gezeigt. Trotz der Ankündigung von neuen Zöllen scheint aktuell weiter die Hoffnung zu überwiegen, dass sich der Schaden für die Unternehmen in Grenzen hält. Die Stimmung scheint kurzfristig zwar schon etwas optimistisch (Kontraindikator), unsere Indikatoren haben sich zuletzt aber leicht verbessert und wir verstärkten daher unsere Aktienausrichtung auf eine neutrale Positionierung.
Emerging-Markets-Aktien: zuletzt konnten Telekom und Finanzwerte profitieren
Nach der durchwachsenen Entwicklung von US-Aktien in den letzten Monaten ist eine globale Erholung eingetreten, die insbesondere an den entwickelten Märkten stattgefunden hat. Dennoch konnten EM-Aktien den Performancevorteil halten, den sie bisher in diesem Jahr herausgeholt hatten. Weiter fraglich bleibt, wie die Maßnahmen der US-Regierung sich konjunkturell auswirken werden. Die fundamentale Bewertung für die EM-Region ist weiter recht günstig. Seit Jahresbeginn konnten insbesondere Telekom und Finanzwerte profitieren.
Rohstoffmärkte: Zoll-Diskussionen belasten Industriemetalle
Die internationalen Rohstoffmärkte präsentierten sich zuletzt uneinheitlich. Edelmetalle entwickelten sich jüngst wieder etwas stärker. Strukturell sorgen Zentralbankkäufe weiter für anhaltende Unterstützung. Bei Industriemetallen belasteten Zoll-Diskussionen rund um Kupfer die Preisentwicklung. Wir sehen den Bereich Edelmetalle auch in den nächsten Monaten gut unterstützt.
Von Karin Kunrath, Chief Investment Officer von Raiffeisen Capital Management
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