Werden grundlegende Bedürfnisse der Menschen erfüllt? Was tragen Staat, Wirtschaft und sonstigen Institutionen dazu bei? Welche planetarische Grenzen werden dabei in welchem Ausmaß überschritten? Diesen Fragen gehen wir in unserem rfu Nachhaltigkeitsranking für Staaten nach, welches wir im Going Green Artikel vom Juni 2021 ausführlich vorgestellt haben. Wir sind dabei sowohl auf das zugrunde liegende Modell eingegangen, mit dem versucht wird, der Komplexität der Frage nach Nachhaltigkeit gerecht zu werden, als auch auf auftretende Fragen und Widersprüche.
Im vergangenen Herbst haben wir die Fußball-WM in Katar auf Basis der Ergebnisse des Nachhaltigkeits-Länderratings simuliert. Weltmeister Uruguay! Mehrfach überraschend und: zum Glück haben wir darauf nicht gewettet.
Seit unserem letzten Länderrating hat sich die Welt verändert
Ende 2022 haben wir die Aktualisierung unseres Länderratings finalisiert: mit rund 160 Indikatoren für 163 Länder und Medienrecherche zu jedem einzelnen Staat. Das Update war begleitet von zwei Jahren Pandemie, den sozialen Auswirkungen von Teuerung parallel zu steigender Ungleichheit sowie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit verbundenen Auswirkungen auf Energie- und Getreidemärkte. Und weiterhin gibt es keine den aktuellen Krisen angemessene Klima- und Biodiversitätspolitik.
In dieser Kolumne werden wir in Zukunft regelmäßig über unsere Länder-Analysen berichten und in einzelne Themengebiete tiefer eintauchen. Dieses Mal wollen wir die Gesamtergebnisse und vor allem die Ergebnisse aus den verschiedenen Regionen der Welt näher beleuchten.
Das nachhaltigste Land der Erde?
Eines vorweg: kein Land dieser Erde kann auch nur annähernd als tatsächlich nachhaltig im umfassenden Sinne eingestuft werden. Sich zuspitzende multiple Krisen vermitteln sogar den Eindruck, dass wir uns tendenziell von einer global gerechten und ökologisch ausgeglichenen Welt weiter entfernen. Global gesehen gibt es allerdings große Unterschiede in Bezug darauf, ob Staaten es schaffen, einen gewissen Lebensstandard für alle BewohnerInnen zu gewährleisten und ob dies mit höheren oder niedrigeren ökologischen Auswirkungen einhergeht.
Der hellblaue Klecks auf der Weltkarte zeigt, dass europäische Staaten trotz der hohen ökologischen Schäden, die sie verursachen, noch die vorderen Plätze im Nachhaltigkeitsranking dominieren. Sonstige blaue Farbtupfen beschränken sich auf Costa Rica, Uruguay, die Kap Verden, Japan und Neuseeland.
Rot stechen jene Länder hervor, die durch massive Menschenrechtsverletzungen, autoritäre Regime, Bürgerkriege und ähnliches geprägt sind. Afghanistan, Libyen, der Sudan, Saudi Arabien und die Zentralafrikanische Republik finden sich so auf den hintersten Plätzen.
Schon in unserem ersten Going Green Artikel haben wir ausführlich erklärt, warum viele westliche Industrieländer so gut abschneiden. Abseits eines eurozentristischen blinden Flecks spiegeln diese Ergebnisse auch inhaltliche Gründe wider. Im Wissen, der Komplexität von Nachhaltigkeit kaum gerecht werden zu können, laden wir Sie ein, die Fülle an dahinter liegenden Themen gemeinsam zu erforschen. Viel interessanter als ein Vergleich zwischen Nord und Süd finden wir hier die Betrachtung regionaler Unterschiede bzw. vergleichbarer Länder.
Klein, aber oho
Auffallend ist, dass vor allem kleinere Staaten positiv hervorstechen und es in vielen Themenbereichen sehr überraschende Leader gibt. Beispielsweise hebt der Climate Action Tracker bei der Erreichung globaler Klimazielen folgende Länder als führend hervor: Costa Rica, Äthiopien, Marokko, Norwegen, Gambia, Großbritannien, Nepal, Nigeria und Kenia. Demgegenüber finden sich große, das Weltgeschehen dominierende Staaten im hinteren Drittel der rfu Länderanalyse: China, die Vereinigten Staaten, Brasilien oder Russland.
Regionale Aushängeschilder
Es gibt wenige Länder auf dieser Welt, die es schaffen, in mehreren Bereichen ausgeglichen positiv abzuschneiden. Uruguay und Costa Rica sind - trotz Sicherheitsdefiziten und teilweise großer sozialer Ungleichheit - seltene Beispiele hierfür. Auch wenn es sich in den Ergebnissen (noch) nicht widergespiegelt, ist es vorstellbar, dass beide Länder es leichter schaffen, soziale und ökologische Ziele gleichermaßen zu erfüllen als europäische Staaten, da diese Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt mit drastisch reduziertem Ressourcenverbrauch aufrechterhalten müssten. Dem gegenüber stehen die Schwergewichte von Lateinamerika: Brasilien und Mexico, geprägt von Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, extremer Ungleichheit und fragilen Demokratien.
Afrika und Asien als zukünftige Hot Spots
Asien und Afrika zeichnen sich durch eine hohe Anzahl an Ländern mit geringen politischen Rechten und Freiheiten aus. Zusammen repräsentieren sie rund drei Viertel der Weltbevölkerung. Gerade die erdölproduzierenden Staaten der arabischen Halbinsel weisen schlechte Ratings auf, da niedrigere soziale Bewertungen auf hohen Ressourcenverbrauch treffen. Dies bestätigt auch Freedom House, eine NGO, die jährlich demokratische Freiheit global untersucht. Unterversorgte Grundbedürfnisse, Konflikte, instabile Staatswesen und eine schier endlose Zahl an Verletzungen der Menschenwürde können von Afrika bis Asien beobachtet werden. Teilweise stehen diese im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten und damit mit jenen mächtigeren Staaten, die durch ihre Handelspolitik negative Auswirkungen von Produktion „exportieren“. Trotzdem können wir auch hier einige Staaten mit spannenden Ansätzen und Entwicklungen anführen (siehe Karte). So ist Bhutan beispielsweise durch den Fokus auf das „Bruttonationalglück“ statt auf das BIP bekannt gewordenen. Die Kap Verden zeichnen sich durch einen sehr niedrigen ökologischen Fußabdruck und stabile politische Verhältnisse aus. Sierra Leone ist trotz vieler Widrigkeiten 2022 durch ein strenges Bergbau-Gesetz positiv bekannt geworden
Europa und USA. Warum dieser große Unterschied?
Besonders auffallend sind auch die Unterschiede zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Der Großteil der europäischen Staaten hat ein im internationalen Vergleich sehr gutes Rating. Ausnahmen stellen die Türkei, Ukraine, Bosnien-Herzegowina, Weißrussland und Serbien dar. Europa gegenüber finden sich die Vereinigten Staaten auf Platz 127 wider, eingebettet zwischen Kasachstan, Mexiko und Malaysien. China und Russland liegen nicht weit dahinter. Was sind die Gründe dafür?
Trotz einer hohen Wirtschaftsleistung liegen die Vereinigten Staaten in vielen sozialen Belangen weit hinter europäischen Ländern. Sei es die Gesundheitserwartung, mangelnde Geschlechtergleichstellung oder eine hohe Vermögens- und Einkommensungerechtigkeit - die ärmere Hälfte des Landes verfügt nur über 1,5 Prozent des Vermögens. Auch Freedom House stuft die politischen und bürgerlichen Rechte und Freiheiten in den USA vergleichsweise niedrig ein, Tendenz fallend. Erschreckend schwach ausgestaltet sind auch die Arbeitsrechte. Und nicht zuletzt betreiben die USA eine ambivalente Sicherheitspolitik: sowohl nach Innen mit der zweithöchsten Quote an Gefängnisinsassen und einer überdurchschnittlichen Mordrate, als auch nach Außen mit seiner globalen Militärpolitik und massiven Waffenexporten.
USA mit schlechtestem Umweltrating
Über allem steht jedoch: die USA haben das schlechteste Umweltrating aller untersuchten Länder. “The American way of life is not up for negotiations". 30 Jahre nach dem Zitat von Bush Sr geht dieser Weg noch immer mit einem sehr hohen Verbrauch an Ressourcen einher. Trotz positiver Tendenz liegen die Treibhausgasemissionen bei rund 18 Tonnen pro Einwohner*in, unter Berücksichtigung von Importen und Exporten sogar bei rund 23 Tonnen. Das ist mehr als das Doppelte des westeuropäischen Durchschnittes und ein Vielfaches eines global fairen Anteiles. Die industrielle Agrarpolitik und -praxis der USA hat des Weiteren einen hohen Verbrauch von Phosphor, Stickstoff und Pestiziden zu folge.
Schnell könnte ein empörtes transatlantisches "Aber" kommen. Für den Vergleich von Umwelteffekten wird häufig der EPI (Environmental Performance Index) der Universität Yale herangezogen. Dessen Ergebnisse weichen von unseren ab. Warum das so ist, wollen wir im nächsten Going Green-Artikel beleuchten, in dem wir die ökologischen Ergebnisse genauer unter die Lupe nehmen.
Von Christian Loy, Head of Research, rfu
Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds. Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at Über die Artikelserie "GOING GREEN":
Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.