- Kapitalmarktunion schießt am Ziel vorbei
- Leidenschaftslosigkeit aufgrund von Fragmentierung und nationaler regulatorischer Bedenken
- Asset-Management-Branche verhält sich paradox
Nicht zuletzt die Lehman-Pleite 2008 verdeutlichte, dass die von Banken ausgehenden Risiken ganze Volkswirtschaften bedrohen können. Schließlich waren Banken insbesondere in Kontinentaleuropa die Hauptfinanziers von Unternehmen. Die als Ergebnis 2015 geforderte Kapitalmarktunion zielt auf die Defragmentierung und Vertiefung der Kapitalmärkte in der EU und letztlich auch auf Diversifizierung durch stärkere Beteiligung von Nicht-Bank-Marktakteuren an der Unternehmensfinanzierung ab. Auf der kapitalnehmenden Seite sollen insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen profitieren, unter anderem durch Bürokratieabbau beim Börsengang. Auf der kapitalgebenden Seite sollen Privatanleger stärker von Kapitalmarktrenditen profitieren können, die die Zinseinnahmen auf Bankkonten und Sparbüchern langfristig übertreffen und damit zu einer verbesserten Vermögensbildung und Altersversorgung für größere Bevölkerungsteile beitragen.
Auswirkung auf die Asset-Management-Branche
Die EU-Kommission ist generell nicht abgeneigt, die Asset-Management-Branche zu unterstützen: Sie schuf die Fondsvehikel EuVECA (2013) und ELTIF (2015) und erlaubte gegenüber vergleichbaren AIF-Fondsvehikeln eine maximal vereinfachte Vertriebszulassung in lokalen EU-Märkten. „Aber die Erwartung, dass durch eine alleinige Erleichterung der Distribution und der internationalen Geschäftsexpansion die Asset-Management-Branche in Ekstase geriete, erwies sich als realitätsfern“, sagt Michael Klimek, Geschäftsführer der Dolphinvest Consulting. Auch die folgenden Verordnungsnovellen änderten dies nicht, selbst wenn beispielsweise geringere Kapitalanforderungen für Privatanleger nach Ansicht des Experten eine wichtige und richtige Korrektur darstellten. „Statt heißer Liebe für die neuen Fondsvehikel herrscht nach wie vor überwiegend Leidenschaftslosigkeit“, so Klimek.
Drei Gründe für die mangelnde Euphorie
Erstens können die neuen Fonds nicht im Rahmen einer bloßen Anlagevermittlung an Privatanleger vertrieben werden. Vielmehr ist eine Anlageberatung, mindestens jedoch die Geeignetheitsprüfung des Privatanlegers zwingend erforderlich. Der Vertrieb über freie Finanzvermittler sei dadurch eingeschränkt, weiß Klimek.
Zweitens ist der Markt der Asset-Management-Branche selbst hochgradig fragmentiert. Allein in Deutschland waren Ende 2023 683 Kapitalverwaltungsgesellschaften bei der BaFin registriert sowie weitere 546 Unternehmen mit einer Erlaubnis zur Finanzportfolioverwaltung. Der Branchenexperte ist überzeugt: „Für die meisten Marktteilnehmer ist die Möglichkeit EU-weiter Fondsdistribution eine allenfalls theoretische Option, für die Praxis aber völlig irrelevant. Sie sind reine Lokalmatadoren“. Selbst viele der großen Player, die EU-weit operieren, haben keine Direktkundenabteilungen vor Ort.
Drittens gebe es regulatorische Bedenken auf nationaler Ebene. Klimek stellt fest: „Einige nationale Regulatoren haben vor den Risiken gewarnt, die sich aus einem größeren Engagement der Privatanleger in weniger liquiden Anlagen ergeben. Marketing geht anders!“ Und weiter: „Solange es überdies keine nennenswerten EU-einheitlichen Steuerprivilegien gibt, werden sich die neuen Vehikel zur Unterstützung der Altersvorsorge nicht in der Breite der EU durchsetzen können.“
Druck wächst
Die anhaltende Serie politischer und wirtschaftlicher Krisen führt fünfzehn Jahre nach Lehman wieder zu Handlungsdruck, zu schnellem und effektivem Handeln. Paschal Donohoe, Präsident der Euro-Group, betonte im März 2023, dass es jetzt an der Zeit sei, mit der Vertiefung und Stärkung der Kapitalmärkte weiterzumachen, um „in eine bessere Zukunft unserer Bürger“ zu investieren.
Und auch die Finanzminister Deutschlands und Frankreichs konstatierten in einem gemeinsamen Gastartikel in der Financial Times im September 2023: „In den letzten zehn Jahren hat das Kapitalmarktwachstum anderer großer Industriemächte durchweg das der EU übertroffen. Die Zahl der Börsengänge war früher ähnlich hoch wie in den USA, heute ist sie weniger als halb so hoch. Im Kern ging es bei dem Projekt der Kapitalmarktunion immer darum, die Fragmentierung der Märkte zu verringern.“ Sie forderten: „Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Anstrengungen verstärken.“
Paradoxes Verhalten
Laut Klimek beziehen Asset Manager ihre Daseinsberechtigung aus der Existenz der Kapitalmärkte und aus der Selektion börsennotierter Finanzinstrumente. Sie selbst scheuen aber vor dem Börsengang ihrer eigenen Unternehmen zurück, obwohl ihnen das größere Sichtbarkeit, bessere Kapitalausstattung für die geschäftliche Expansion und Vorteile bei der Personalbindung und der Nachfolgeregelung brächte. „Die Gründe für die Zurückhaltung liegen auf der Hand: Asset Manager benötigen im Gegensatz zu Banken und Versicherern nur minimales regulatorisches Eigenkapital, und ihre optimalen Cashflows schützen sie vor Illiquidität. Fremdkapital ist für Asset-Management-Unternehmen – mit Ausnahme von Privatmarktspezialisten – ein Fremdwort, das aus der Realwirtschaft kommt“, weiß Klimek. Um sich an der Börse mit zusätzlichem Eigenkapital versorgen zu wollen, benötigen Asset Manager in den Augen des Branchenexperten wachstumsfördernde Rahmenbedingungen und hinreichende Anreize.
„Sollte die EU mit der Kapitalmarktunion auch den Börsengang von Unternehmen fördern wollen, muss es auch mehr IPOs von Asset-Management-Unternehmen geben“, fordert Klimek und weist auf ein Missverhältnis hin: „Die Tatsache, dass der ARC ALPHA Global Asset Managers der bislang einzige Publikumsfonds ist, der ausschließlich in börsennotierte Asset Manager investiert, zeigt es deutlich. Einerseits ist die Asset-Management-Branche von enormer volkswirtschaftlicher Bedeutung als Hauptdienstleister auf der Buy-Side der globalen Kapitalmärkte und andererseits ein völlig unterrepräsentierter Sektor auf deren Sell-Side.“ In der Auflösung dieses Missverhältnisses sieht der Experte erhebliches Potenzial für langfristig denkende Investoren.
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