China: Haben wir den Boden schon erreicht?

Chinas A-Aktien haben diese Woche neue Tiefstände in ihrem seit Mitte 2009 bestehenden Baisse-Zyklus markiert. Gleichsam als Vorwarnung war der MSCI China relativ zum MSCI World schon im Februar auf ein neues Tief gefallen. Ist die hartnäckige Schwäche der Leitindizes Chinas übertrieben? Ist es nicht langsam Zeit, bei chinesischen Aktien nicht nur selektiv, sondern auf breiter Basis zuzugreifen? "Die Antwort auf beide Fragen lautet vorerst noch «Nein»", so Mikio Kumada, Global Strategist, LGT Capital. Economics | 13.03.2014 09:00 Uhr
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Die aktuelle globale Hausse begann vor fast genau fünf Jahren, am 6. März 2009, bei einem Tiefstand im S&P 500 von 666.79 Punkten. Seitdem hat der US-Index 173% zugelegt, gefolgt von Japans Nikkei 225 mit 112% und Europas Stoxx 600 mit 108%, wobei Grossbritannien, die Schweiz und Deutschland Kursgewinne zwischen 89% und 113% ausweisen. Auch die Schwellenländer haben grösstenteils durchaus sehr gut abgeschnitten – mit Gewinnen auf USD-Basis zwischen 23% (Brasilien) und 163% (Indien).


Anhaltende Schwäche der chinesischen Leitindizes

Es fällt allerdings auf, dass die Börsen Festland-Chinas (sogenannte A-Aktien) die Ausnahme darstellen, mit einem Verlust von rund 8% im CSI 300-Index. Die in Hong Kong gehandelten H-Aktien notieren zwar 40% höher, gehören aber auch damit immer noch zu den weltweiten Schlusslichtern. Der CSI 300, der schon seit Sommer 2009 südwärts tendiert, hat zudem gerade neue Tiefstände markiert - nachdem im relativen Bild der MSCI China gegenüber dem MSCI World bereits Ende Februar ein neues Tief erreicht hatte. Die Bewertungen sind auf ein chinesisches Rekordtief gefallen und notieren im globalen Vergleich sehr tief. Dennoch: Auch wenn es Segmente des chinesischen Aktienmarkts gibt, die bereits den Boden gefunden haben oder in einigen Fällen sogar schon seit langer Zeit sehr gut laufen, die Baisse der chinesischen Leitindizes ist wahrscheinlich noch immer nicht vorbei.

Berechtigte Sorgen über die zukünftige Profitabilität

Diese Baisse reflektiert zurecht eine Vorsicht bezüglich der zukünftigen Profitabilität insbesondere der grossen staatsnahen Unternehmen Chinas. Nicht von der Hand zu weisen sind auch Zweifel an der «Governance» vieler Konzerne. Mit dem absoluten vergangenen Wachstum der Unternehmensgewinne kann diese Entwicklung nicht erklärt werden, denn der Gewinn je Aktie der MSCI China-Mitglieder stehen heute knapp 90% über dem Niveau von Ende 2007, während die EPS des MSCI USA «nur» 35% höher notieren. Eine Rolle dürften hingegen relative Entwicklungen spielen, wie etwa Verschiebungen in der Dynamik des Ertrags-wachstums zwischen den Märkten und Regionen und vermutlich auch die Fähigkeit, in möglichst hohem Masse vom allgemeinen Wirtschaftswachstum zu profitieren. Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit 2007 in USD gerechnet schliesslich um nominal 156% gestiegen, im Vergleich rund 15% für die USA und Japan und einer Stagnation für Europa. Es stellt sich also Frage: Wenn Chinas «Blue Chips» selbst unter solchen Bedingungen ihre EPS nicht deutlicher steigen können, was würde passieren, wenn sich das BIP-Wachstum des Landes in den nächsten Jahren tatsächlich weiter abflacht?


Eine baldige Hausse erscheint in China unrealistisch

Dass sich das BIP-Wachstum tendenziell weiter verlangsamen wird, bleibt natürlich in hohem Masse wahrscheinlich. Angesichts der Dimensionen scheint eine rasche und gutmütige «Verdauung» der Exzesse der letzten Jahre derzeit kaum vorstellbar. So wurden in China seit Ende 2007 insgesamt umgerechnet 7.8 Bio. USD an Krediten vergeben. Auf die USA umgemünzt entspräche dies der Lancierung eines direkt und vollständig kreditfinanzierten sechsjährigen Konjunkturprogramms im Umfang von 26.4 Bio. USD im Januar 2008. Trotzt dieser enormen Summe ist Chinas BIP bisher um «nur» knapp 5 Bio. USD gewachsen, während das BIP- Wachstum tendenziell weiter sinkt und die Unternehmensgewinne wie erwähnt vergleichsweise enttäuschend ausfallen – das sind Hinweise, dass der Kreditboom wirtschaftlich nicht effizient ist. Erwartungen, dass China das wirtschaftliche Expansionstempo erneut mittels noch stärkerer Kreditstimulierung zu erhöhen versuchen könnte, wirken daher unrealistisch. Erfolgversprechend ist hingegen sicherlich die Erwartung struktureller Reformen und Konsolidierungen in vielen chinesischen Industrien. Das bedeutet aber nicht, dass die inzwischen sehr grosse und vielfältige chinesische Volkswirtschaft die im Laufe der jüngsten Jahre angestauten Probleme rasch und ohne weitere Turbulenzen zwischendurch überwinden wird können.
 

Sehr hohes Kreditwachstum auf Dauer problematisch

Die Gesamtverschuldung Chinas ist im weltweiten Vergleich noch relativ tief und daher nicht akut problematisch. Ein wachsendes Risiko stellt hingegen die seit der Finanzkrise von 2008 im Vergleich zum BIP-Wachstum sehr starke Expansion der Kredite an Haushalte und Firmen. Diese Entwicklung stützt zwar das BIP, dürfte aber sehr ineffizient sein. Es ist zu befürchten, dass auch an wenig solvente Schuldner Kredite vergeben werden, welche bei anhaltender Konjunkturschwäche oder anderer widriger Umstände nicht mehr ordentlich bedient werden können. Und solche faulen Kredite stellen letztlich nichts anderes als potenzielle Staatsschulden dar. Dazu kommen die Kredite der «Schattenbanken» Chinas, die ebenfalls seit 2008 stark gewachsen sind, statistisch aber weitegehend nicht genau erfasst werden. Der mittelfristige Trend der Gesamtkreditmenge sinkt seit April 2013 wieder moderat aber kontinuierlich, was tendenziell wachstumshemmend wirkt.
 

Im Falle Chinas ignoriert der Markt die hohen Gewinne der Vergangenheit

Die teilweise hohen Kursgewinne in einigen Aktienmärkten seit März 2009 verstellen manchmal den Blick auf die wesentlich nüchternere Gesamtsituation, wenn man Kursentwicklungen und Firmengewinne seit Ende 2007 betrachtet. Die hoch wirkenden Kursgewinne der US-Börse sind beispielsweise immer noch tiefer als die Steigerung der Unternehmensgewinne. Auch in den anderen Märkten stehen Aktienkurse und Firmengewinne in etwa im Einklang. China stellt hier eine grosse Ausnahme dar. Der Aktienmarkt notiert gegenüber dem Niveau mitten während der letzten Finanzkrise immer noch tiefer. Eine solche Diskrepanz suggeriert, dass im Falle chinesischer Aktien andere Entwicklungen wahrscheinlich eine wichtigere Rolle spielen – dazu zählen relative Ertragstrends, Zukunftserwartungen und wohl auch Fragen betreffend der «Governance» und Aktionärsfreundlichkeit.

Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Management 


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