5 Monate nach dem Start der Lockdowns: Vielerorts lässt die V-förmige Erholung auf sich warten...
Seit dem Start der ersten Coronavirus-Lockdowns in Europa sind bereits gute fünf Monate durchs Land gezogen: Während sich der Großteil der Assetklassen nicht zuletzt aufgrund der massiven Eingriffe der Notenbanken rasch und in vielen Fällen geradezu "V-förmig" erholen konnten, ist das Ausmaß des realwirtschaftlichen Schadens erst anhand der kürzlich veröffentlichten Q2-Wirtschaftsdaten richtig greifbar geworden.
Auch wenn der allgemeine Trend seit der zunehmenden Wiedereröffnung der Volkwirtschaften wieder in die richtige Richtung zeigt, ist durchaus davon auszugehen, dass die Post-COVID-19 Erholung und die damit verbundenen Rettungspakete längst nicht in allen Ländern und Branchen innerhalb der Eurozone gleichermaßen verlaufen wird. Gerade aus Investorensicht gilt es deshalb mehr denn je zu hinterfragen, welche Geschäftsmodelle, Sektoren und Länder von der Coronakrise lediglich kurz- bis mittelfristig beeinträchtigt sind und wer hingegen zu den langfristigen Verlieren zählen wird.
Um Investoren einen effizienten Überblick verschiedener Sichtweisen und Einschätzungen zu den langfristigen Verlierern der COVID-19 Krise zu ermöglichen, hat e-fundresearch.com Ökonomen & Strategen aus der Asset Management Industrie im Rahmen der neuesten "Economics Forum"-Ausgabe mit folgender Fragestellung kontaktiert:
Economics Forum - Fragestellung des Monats
Mit Blick auf den Euroraum: Welche Branchen und Volkswirtschaften werden Ihrer Meinung nach trotz des zuletzt präsentierten EU-Hilfspakets zu den langfristigen Verlierern der COVID-19 Krise zählen? Wo müssten die Institutionen und Einrichtungen der EU ansetzen, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken?
Alle erhaltenen Experten-Statements haben wir Ihnen in der nachfolgenden Zitatgalerie aufbereitet:
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Jörg Angelé, Senior Economist, BANTLEON AG
Unter den Folgen der Coronavirus-Krise leiden derzeit insbesondere der Tourismus, Airlines, Teile des stationären Einzelhandels sowie die Freizeit- und Veranstaltungsbranche. Während sich Letztere ebenso wie der Tourismus mit Verfügbarkeit eines wirksamen Impfstoffs wieder erholen dürften, sehen wir als langfristige Verlierer zum einen den stationären Einzelhandel, der dauerhaft Marktanteile an den Onlinehandel verlieren wird, zum anderen auch Airlines und die Gewerbeimmobilienbranche. Letztere dürfte ähnlich wie Fluglinien unter der veränderten Arbeitswelt (Videokonferenzen, Homeoffice) leiden, die zu einer sinkenden Nachfrage nach Büroflächen und Geschäftsreisen führt.
Angesichts des auch mit dem EU-Hilfspaket in die Wege geleiteten Umbaus der Wirtschaft (Klimaschutz, Digitalisierung) werden langfristig diejenigen EU-Länder am besten aus der Krise hervorgehen, die schon jetzt besonders wettbewerbsfähig und innovativ sind – somit eher der Norden, während der Süden weiter abgehängt wird.
Um ein weiteres wirtschaftliches Auseinanderdriften zu verhindern, muss die EU dafür sorgen, dass die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds in den innovationsschwachen Mitgliedsländern gezielt in Zukunftsbranchen investiert werden. Den Strukturwandel in einzelnen Branchen sollte die EU dabei nicht behindern, sondern nur zu einer möglichst reibungslosen Transformation beitragen. Zudem wäre es generell sinnvoll, wenn die EU den Bürokratieabbau forciert.
Sebastien Galy, Senior Macro Strategist, Nordea Asset Management
Wie schädlich die Auswirkungen von Covid-19 sind, hängt stark von den betroffenen Industrien ab. Die Freizeitindustrie wird wohl weiterhin darunter leiden, dass periodische Beschränkungen aufgrund von Covid-19 oder anderen durch die Luft übertragenen Krankheiten durchgesetzt werden. Dies wird vor allem Hotels in touristischen Gebieten und Vergnügungsparks treffen, aber auch Fluggesellschaften mit Urlaubs- und Geschäftsreisenden. Es bedeutet voraussichtlich auch, dass Vermieter kleinen Restaurants kündigen werden, die nicht in der Lage sind, mit den Herausforderungen von Covid-19 fertig zu werden. Weil Unternehmen den Bestand ihrer Immobilien stark dezentralisieren und verkleinern, verlagert sich ein ganzes Ökosystem in Vorstädte und steuerlich effiziente Staaten sowie in Gebiete mit niedrigeren Lebenshaltungskosten. Das wirkt sich auf Gewerbeimmobilien und damit verbundene Unternehmen wie Restaurants und Takeaways aus. Da es ausser bei Finanzunternehmen keine Regulierung für den Hebel durch Fremdverschuldung gibt, werden einige Unternehmen wie Casinos betrieben: Dies wird wahrscheinlich aufhören. Obwohl der Leverage für die Wirtschaft sehr nützlich ist, wurde und wird er teilweise sehr exzessiv betrieben. Diese Änderung wird sich auf das unterste Segment von Anleihen ohne Investment-Grade-Rating auswirken und Anleihen im Grossen und Ganzen attraktiver machen, auch wenn dies einige Jahre dauern kann.
Agnès Belaisch, Chief European Strategist, Barings
Drei Faktoren entscheiden, wer zu den Verlierern der Pandemie gehören wird. Der erste ist, wie schnell sich die Nachfrage erholen kann. Wenn Unternehmen Arbeitsplätze abbauen, um Gewinne zu erzielen, werden die Haushalte eher sparen als ausgeben. Das Gleiche gilt, wenn die Unternehmen langfristig in automatisierte, billigere Produktionsprozesse investieren. Dieses Sparverhalten bedeutet Einbussen im Bereich der langlebigen Gebrauchsgüter wie beispielsweise Haushaltsgeräte oder Autos. Zweitens wird ein Fortbestehen von Social Distancing dem Gastgewerbe, der Unterhaltungsindustrie und dem Reisesektor dauerhaften Schaden zufügen. Länder, die auf den Tourismus angewiesen sind, werden eine Zunahme der Arbeitslosigkeit und auch verschlechterte Wachstumsprognosen erfahren. Drittens wird die Höhe der Bilanzen zeigen, wer sich trotz monatelang weggefallenen Einnahmen über Wasser halten kann und wer nicht. Das Massnahmenpaket der europäischen Regierungen macht insgesamt etwa erstaunliche 30% des BIP aus. Auf nationaler Ebene werden das Stützen der Nachfrage, Kreditbürgschaften für Unternehmen sowie spezifische Zuschüsse und Steuersenkungen für Tourismus und Gastgewerbe helfen. Auf EU-Ebene unterstreicht das Konjunkturprogramm den Solidaritätsgedanken. Ein Teil der Mittel wird für innenpolitische Zwecke aufgewendet, der Rest soll die EU mit Investitionen in die grüne und digitale Entwicklung ins nächste Jahrhundert führen. Die Regierungen wissen, dass viel auf dem Spiel steht.
Francis Ellison, Client Portfolio Manager für europäische Aktien, Columbia Threadneedle Investments
Die beiden klaren Verlierer der Corona-Krise innerhalb der Eurozone heißen Italien und Spanien. Beide verfügen über weniger robuste Volkswirtschaften als zum Beispiel Deutschland, und beide beklagen mehr Virusopfer. Aus Branchensicht sind die Luftfahrt- und Reisebranche sowie das Gastbewerbe – das oftmals nicht börsennotiert ist – besonders betroffen. Im Gegensatz dazu entwickeln sich Gesundheitsaktien – insbesondere diejenigen mit Bezug zu möglichen Behandlungen oder Impfstoffen – und Technologiewerte – vor allem solche, die von Heimarbeit (Home Office) und Online-Einkäufen profitieren könnten – positiv.
Robuste, nachhaltige Geschäftsmodelle sind nun noch stärker gefragt und deutlicher sichtbar geworden. Das kommt unseren Kunden zugute, da wir uns bei unseren Investments auf qualitativ hochwertige Wachstumsunternehmen konzentrieren. Gleichzeitig hat es Bereiche, die bereits vorher mit Herausforderungen zu kämpfen hatten, nun so richtig erwischt. Eine nachhaltige Rally in sogenannten Value-Aktien, bei denen es nur auf günstige Kurs-Gewinn-Verhältnisse ankommt, ist damit wohl vom Tisch.
Zudem dürften Bereiche mit einem Überangebot an austauschbaren Produkten und geringer Preissetzungsmacht leiden. Banken sind ein gutes Beispiel dafür: Sie dürfen keine Dividenden zahlen, sind in guten Zeiten hochgradig reguliert und verkommen zu politischen Instrumenten, um die Effekte der Corona-Krise zu lindern. Zudem sind niedrige Zinsen und zunehmende problematische Kredite nicht gerade hilfreich für sie.
Dr. Manfred Wiltschnigg, Managing Partner, GalCap Europe
Die europaweite Banken- und Finanzkrise liefert Ansatzpunkte: Wie in den Jahren 2007/08 werden wohl auch jetzt wieder jene Volkswirtschaften am stärksten und dauerhaftesten von den Auswirkungen der Krise betroffen sein, die bereits vor Auftreten von COVID-19 strukturschwach, wenig diversifiziert, überadministriert und wettbewerbsunfreundlich waren. Dies betrifft sowohl einige südliche EU-Länder, wie Frankreich und Italien, aber auch jene Länder Mittel- und Osteuropas, die durch ein seit Jahren höheres Wirtschaftswachstum den Anschluss an Europa wiedergefunden zu haben glaubten. Dabei ist zu befürchten, dass die geplanten finanziellen Hilfsmaßnahmen der EU an jene Länder nicht in vollem Umfang dort ankommen werden, wo diese idealerweise die erwarteten positiven Konjunktureffekte zeitigen sollten. Für den innovativen institutionellen Immobilieninvestor bedeutet dies im Umkehrschluss, dass sich die Preisschraube in diesen Ländern deutlich langsamer dreht und dass die Gelegenheiten zum Erwerb qualitätsvoller, renditeträchtiger Anlageobjekte häufiger werden könnten. Umso mehr wird es auf die Auswahl der „richtigen“ Objekte in nachhaltigen Lagen zum richtigen Zeitpunkt ankommen. Im Sinne der langfristigen Angleichung der Wirtschaftsleistungen innerhalb der EU sollte das vorrangige Interesse darauf gerichtet sein, weitere durch ein zunehmendes Wohlstandsgefälle im Gefolge der COVID-19- Krise bedingte Binnenwanderungen von Süd- und Südost nach Norden frühzeitig entgegenzuwirken.
Paul Diggle, Senior Economist, Aberdeen Standard Investments
Die langfristigen Verlierer der Coronavirus-Krise werden die Branchen sein, die ein hohes Mass an persönlicher Interaktion erfordern – in erster Linie ist das der Dienstleistungssektor einschliesslich der Tourismus-, Hotel-, Unterhaltungs- und Reisebranche. Selbst wenn bald ein Impfstoff verfügbar ist, werden diese Sektoren langfristige Narben tragen. Die Länder, deren Wirtschaft stark von diesen Branchen abhängen, werden am härtesten betroffen sein. In der Eurozone sind das die südlichen Volkswirtschaften wie Spanien, Portugal, Italien und Griechenland. Ein grosser Teil ihrer Produkte lässt sich nur schwer aus der Ferne produzieren. Zudem ist Arbeiten von zu Hause seltener als in anderen Regionen. Es sind vor allem drei Massnahmen erforderlich, um diesen Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Erstens wird, trotz steigender Inflation, eine kräftige und anhaltende geldpolitische Unterstützung benötigt. Die EZB sollte die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Zweitens ist eine de facto Aussetzung der EU-Finanzvorschriften wichtig, solange das politisch machbar ist. Länder, die fiskalpolitische Unterstützung benötigen, sollten nicht zu vorzeitigen Sparmassnahmen gezwungen werden. Zur dritten Massnahmen zählen sektorspezifische Unterstützungsregelungen, die den Branchen bei der Anpassung an neue Arbeitsweisen helfen sollten. Zum Beispiel wurde die Solvenzhilfe aus dem letzten EU-Konjunkturfonds gestrichen, sollte aber in zukünftigen Unterstützungspaketen wiederaufgenommen werden.
Andrew Mulliner, Portfoliomanager für globale Anleihen, Janus Henderson Investors
Die Auswirkungen von Covid-19 waren hinsichtlich der Kosten für die verschiedenen Volkswirtschaften der Eurozone ganz klar asymmetrisch. Gerade die „südeuropäischen“ Länder – wie Italien, Spanien und bis zu einem gewissen Grad auch Frankreich – haben nicht nur unter den innerstaatlichen Belastungen eines strengen Lockdowns zur Eindämmung der schweren Ausbrüche in diesen Ländern gelitten. Sondern sie leiden zusätzlich unter einer im Vergleich zu anderen Ländern schwächeren Erholung aufgrund der Bedeutung von Dienstleistungen und Tourismus für ihre Wirtschaft. Daher bleiben sie besonders stark betroffen. Verstärkt werden diese Unterschiede noch durch die sehr unterschiedlichen Ausgangspunkte, die die am stärksten und die am wenigsten betroffenen Länder in Bezug auf ihre Staatsschulden und wirtschaftliche Produktivität aufweisen.
Der EU-Wiederaufbaufonds ist zwar ein Fortschritt für die Eurozone, aber er ist qua Konstruktion auch endlich. Das ist das Ergebnis des Kompromisses, den die nordeuropäischen Länder gefordert haben, um ihn zu verabschieden. Realiter werden die am schlimmsten betroffenen Länder auch in den kommenden Jahren mit einer hohen, wenn nicht gar untragbaren Schuldenlast, höherer Arbeitslosigkeit und geringerer Produktivität zu kämpfen haben. Um diese Trends zu beheben, bedarf es noch größerer Solidarität und grenzüberschreitender Investitionen, um die schwächeren Teile der Eurozone auf das gleiche Produktivitätsniveau zu bringen wie die stärkeren Länder.
Dr. Ulrich Kaffarnik, Dr. Ulrich Kaffarnik, Vorstand des Bereichs Fondsmanagement & -handel sowie verantwortlich für zahlreiche Spezialfondsmandate für institutionelle Kunden, DJE Kapital AG
Corona hat Stärken und Schwächen offenbart und verstärkt, die vielfach schon vorher vorhanden waren. Für die Digitalisierung wirkte die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger. Viele Technologie-Unternehmen übernehmen dabei eine neue Rolle als „Versorger“ mit Dienstleistungen, ohne die viele Unternehmen und Verbraucher nicht mehr arbeiten bzw. leben wollen: Cloud, Streaming, Dating, Breitband, Cybersicherheit etc. Eine robuste digitale Infrastruktur ist dafür unverzichtbar. Corona hat auch den Konsum massiv verändert. E-Commerce und digitales Bezahlen erleben einen außerordentlichen Boom. All dies dürfte sich langfristig manifestieren. Positiv sehen wir auch Infrastruktur, da die Regierungen viel Geld ausgeben, um die Konjunktur zu beleben, in Europa vor allem „grüne“ Projekte. Zudem dürften die Corona-Erfahrungen dazu beitragen, ganze Produktionsketten wieder nach Europa zurückzuholen – Stichwort „Reshoring“. Der Gesundheitssektor sieht auch wie ein natürlicher Gewinner aus, doch hier ist die Situation differenzierter, z.B. gaben Medizintechnik-Unternehmen Gewinnwarnungen heraus, während Diagnostikfirmen im Plus waren. Insgesamt hat die Pandemie aber gezeigt, wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitswesen ist. Private und öffentliche Gesundheitsausgaben dürften daher im Trend weiter steigen. Auf der anderen Seite stehen Sektoren, die es angesichts der disruptiven Faktoren, Corona und ESG langfristig schwer haben dürften, darunter Banken, Reisen & Freizeit und der Ölsektor.
Annalisa Piazza, Fixed Income Research Analyst, MFS Investment Management
Die Einigung der EU über den Wiederaufbaufonds stellt einen wichtigen Schritt in Richtung einer weiteren Integration in das alles andere als fehlerfreie europäische Projekt dar. Die gemeinsame Kreditaufnahme (über die EU) für Länder, die stärker von der Covid-19-Krise betroffen sind, ist ein mächtiges Instrument, um die stark miteinander verflochtenen EWU-Länder auf ihrem Erholungspfad zu unterstützen. Die Erholung wird jedoch nicht homogen verlaufen.
Die Zuschüsse und Darlehen können nicht alle Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden verringern. Das neue Instrument wird dem Süden aber helfen, einige seiner "ruhenden" Sektoren durch langfristige Investitionsprojekte wiederzubeleben. Die negativen Auswirkungen von Covid-19 werden dennoch mittelfristig Narben hinterlassen. Der Einkommensverlust aufgrund der reduzierten Tourismusaktivitäten in Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und Frankreich wird trotz der europäischen Anstrengungen über einen längeren Zeitraum zu spüren sein.
Sicherlich werden die EU-Institutionen weiterhin das Vertrauen unterstützen müssen, was dazu beitragen wird, die derzeit rekordverdächtig große Produktionslücke langsam zu schließen. In der Zwischenzeit werden die Regierungen weiter an der "Feinabstimmung" ihrer Finanzpolitik arbeiten, die gezielter auf die Unterstützung der schwächsten Glieder in ihren Volkswirtschaften ausgerichtet ist. Die Kombination von zwei Kräften könnte Europa mittelfristig potenziell stärker machen.
François Rimeu, Senior Strategist, La Française AM
Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung ist nach wie vor groß. Unsere Prognose aus heutiger Sicht:
Verlierer:
- Fluggesellschaften: Es ist ein Alptraum für den Sektor; die Nachfrage ist mit den Reiseverboten zusammengebrochen. Fluggesellschaften sind von Natur aus kapitalintensiv, was kurzfristig Anlass zur Sorge um Cashflow und Liquidität gibt. Langfristig werden auch die Flugzeughersteller weiterhin mit Cashflow-Engpässen zu kämpfen haben (nur langsamer Anstieg der Nachfrage).
- Automobil: Die Pandemie hat Millionen von Menschen zu Hause festgehalten, den Verkehr insgesamt beeinträchtigt und den Sektor mit voller Wucht getroffen. Die große langfristige Herausforderung: Mobilität muss neu erfunden werden, d.h. neue Mobilitätstechnologien, die mit den Zielen der globalen Erwärmung vereinbar sind.
Weitere Verlierer: Gastgewerbe, Einzelhandel, Sport und – auf kurze Sicht – Banken
Gewinner:
- Technologie: Die Krise hat zu einer Forcierung von Homeoffice, einem Anstieg des Onlinekonsums und einer erhöhten Nachfrage nach In-House-Entertainment (Gaming, VoD) geführt. Diese Bereiche gewinnen sowohl kurz- als auch langfristig.
- Gesundheitswesen: Investitionen in diesem Sektor sind derzeit sehr wichtig und stehen in direktem Zusammenhang mit der Pandemie. In Zukunft werden die Regierungen ihre Kapazitäten zur Bewältigung dieser Art von Krisen vor Ort ausbauen wollen.
Weitere Gewinner: Erneuerbare Energien (durch massive Zuschüsse), Goldminen (Währungsabwertung)
Andreas Markwalder, Chief Executive Officer, Schroder Investment Management Switzerland
Der Ausbruch der Coronavirus-Krise hat an den Börsen weltweit zu einem Ausverkauf geführt. Obwohl sich die Finanzmärkte seit Mitte März erholt haben, sind die Aussichten nach wie vor unsicher. Es ist nicht erstaunlich, dass die Sektoren, die am sensibelsten auf die Konjunktur reagieren – wie Finanzen, Energie und Industrie – am stärksten unter dem Einbruch gelitten haben. Auch mit Blick auf die Unternehmensgewinne werden einige Branchen stärker gefordert sein als andere. Energiekonzerne etwa müssen sich mit einem deutlich tieferen Rohölpreis arrangieren. Der Preis sank als Folge des Nachfragerückgangs respektive dem Überangebot und den damit zusammenhängenden Lagerkapazitätsproblemen. Das dürfte lange nachwirken. Es half, dass die europäischen Behörden sehr schnell Unterstützungsmassnahmen sowohl für Unternehmen als auch für Haushalte getroffen haben. Dies steht im Gegensatz zur globalen Finanzkrise 2008/09. Das hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich die Volatilität am Markt gegenüber den extremen Niveaus im Frühling zurückbildete. Die aktuellen geldpolitischen Massnahmen umfassen grosszügige Kreditvergaben, was für viele Unternehmen überlebensnotwendig ist. Was die Fiskalpolitik betrifft, so haben die Regierungen in ganz Europa unterschiedliche Wege eingeschlagen, die von Lohnhilfen bis hin zu Mietzahlungen reichen. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Massnahmen hauptsächlich dazu dienen, Einkommensverluste zu kompensieren, und nicht dazu, das Wachstum anzukurbeln.
Marko Behring, Leiter Asset Management der Fürst Fugger Privatbank
Wer sind die Verliererbranchen? Unternehmen, deren Ertrags- und Bilanzqualität bereits vor Covid-19 nicht besonders gut war, werden sich danach in einer noch schwierigeren Position wiederfinden. Dazu zählen Teile der deutschen Autobauer. Eine Studie von Janus Henderson sagt, dass Volkswagen mit 192 Milliarden US-Dollar Schulden zu den am höchsten verschuldeten Unternehmen der Welt gehört. Der Konzern hat nur unwesentlich weniger Schulden als z.B. Ungarn. Auch interessant: Fünf der Unternehmen mit der weltweit höchsten Verschuldung sind Autobauer (3. Platz: Daimler, 4. Platz: Toyota, 7. Platz: Ford, 8. Platz: BMW). Die bereits vor Covid-19 stark angestiegene Schuldenlast verengt die zukünftigen Handlungsspielräume für die Konzerne und erschwert das Agieren in einem kompetitiven und stark konjunktursensiblen Umfeld wie der Autobranche zunehmend. Eine weitere Branche, die wir negativ sehen, ist die Finanzbranche. Der niedrige Zins der letzten Jahre wird uns erhalten bleiben. Unter Berücksichtigung der durch Covid-19 ausgelösten konjunkturellen Rahmenbedingungen sehen wir b.a.w. keine Abkehr vom Niedrigzinspfad – und damit auch keine Entlastung für viele Großbanken. Dass Kunden zunehmend die Vorzüge der Digitalisierung entdecken und insbesondere die großen Player mit engmaschigem Filialnetz vor kostenintensiven Umstrukturierungen stehen, ist – wenn auch nicht ausgelöst durch Covid-19, so doch beschleunigt – ein weiterer wirkmächtiger Faktor, der uns die Branche kritisch sehen lässt.
Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa, DWS
Zwei Bereiche werden stark und vermutlich auch nachhaltig von der Pandemie betroffen sein: zum einen die Globalisierung, zum anderen die gesamte Tourismusbranche.
Die Tourismusbranche befand sich eigentlich in einem langfristigen Aufwärtstrend, der jetzt allerdings jäh von der Pandemie gestoppt wurde. Der internationale Flugverkehr wird einige Zeit leiden und damit auch Urlaubsregionen, die typischerweise mit dem Flugzeug bereist wurden. Da es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein vorübergehendes Phänomen in einer sehr personalintensiven Branche handelt, sollte hier nach Möglichkeiten gesucht werden, die regionale Mobilität von Arbeitnehmern zu stärken
Die Globalisierung hingegen befindet sich schon seit Langem auf einem Rückzugsgefecht – dieser an sich lang anhaltende aber träge Trend hat jetzt eine kurze Beschleunigung erfahren. Globale Lieferketten werden gekürzt, die Lagerhaltung wird zunehmen und die just-in-time-Production zurückgehen. Davon sind naturgemäß Länder mit einem hohen industriellen Wertschöpfungsanteil besonders betroffen. Da dieser Trend schon seit längerem existiert, wird es auch nichts helfen, sich kurzfristig dagegenzustemmen. Viel wichtiger wird sein, flexibel darauf zu reagieren. Insofern sollte die EU die Gelder, die sie im Rahmen der EU Wiederaufbaufonds vergibt, wie vorgesehen, strikt an Konditionen knüpfen, die die Wachstumskräfte stärken und einen Wandel hin zu einer digitalen Wirtschaft beschleunigen.
Gabriel Panzenböck, Fondsmanager im Team Anleihen, Rates & FX, Raiffeisen Kapitalanlage-Gesellschaft m.b.H.
Spannend im Zusammenhang mit Verlierern und Gewinnern der Covid-19-Pandemie ist die Frage, wie sehr Staaten in der Lage sind, die gesundheitliche Situation im Griff zu halten. Da eine Pandemie von hohen Externalitäten geprägt ist, versagen, wie zu erwarten, alle Marktlösungen. Entsprechend „prüft“ die Pandemie die Kompetenz staatlichen Handelns in einer derartigen Situation. Hier finden sich Gewinner und Verlierer recht unerwartet verteilt: Als Verlierer in dieser Hinsicht sind bislang zweifelsohne die USA, Brasilien und Großbritannien zu bezeichnen. In der EU gelang das staatliche Handeln beispielsweise in Griechenland recht gut, während Belgien vergleichsweise schlecht abschneidet. Italien war früh betroffen mit entsprechend schweren Folgen in der ersten Welle. In den Herbst scheint das Land aber besser gerüstet als etwa Spanien. In Deutschland oder Österreich scheint man das Covid-19 ganz gut zu meistern, doch zu den Gewinnern gehört man nur aus relativer Sicht. Andere Länder haben Corona besser im Griff. Am autokratischen China möchte man sich zurecht nicht messen, aber warum bekommt Taiwan das so viel besser hin? Neuseeland profitiert wohl von Timing und Lage, aber was muss man hierorts tun, um die Erfolge Vietnams zu replizieren?
Katharine Neiss, Chief European Economist, PGIM Fixed Income
Während einige Länder der Eurozone voraussichtlich bis Ende 2022 das BIP-Niveau wieder erreichen werden, sind andere Länder wie Italien und Spanien besonders hart betroffen. Es gibt vier Faktoren, die diese Einschätzung untermauern. Erstens litten Italien und Spanien in einem relativ frühen Stadium der Pandemie unter einer größeren Krise der öffentlichen Gesundheit. Als Reaktion darauf wurden strenge Sperrmaßnahmen durchgeführt. Zweitens sind beide Volkswirtschaften stärker dienstleistungsorientiert und besonders vom Tourismus abhängig, der etwa 15% des BIP ausmacht. Tourismus und Gastgewerbe sind besonders betroffen. Drittens gingen beide Länder mit relativ begrenztem fiskalischen Spielraum in die Krise, nachdem sie in den „guten Jahren“ nur unzureichend gespart hatten. Viertens sind die Volkswirtschaften beider Länder durch erhebliche strukturelle Verkrustungen gekennzeichnet, die - sofern diese nicht reformiert werden - die notwendige Umverteilung von Arbeit in einer Welt nach dem Coronavirus stark behindern. Die Einigkeit auf europäischer Ebene hat zu einem Maßnahmenpaket zur Unterstützung von Ländern wie Italien und Spanien geführt, einschließlich der Bereitstellung von finanzieller Notfallhilfe für Beschäftigungsausgleichsregelungen für kleine und mittlere Unternehmen, einer Kreditlinie zu günstigen Bedingungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Deckung von Gesundheitskosten sowie von Zuschüssen und Darlehen über die EU der nächsten Generation.
Dr. Andreas Billmeier, Sovereign Research Analyst, Western Asset Management
Wir gehen von einer längerfristigen Änderung des Konsumentenverhaltens aus, da eventuell ein Impfstoff nur temporären Schutz bietet und die Impfbereitschaft nicht hinreichend ist. Diese strukturellen Veränderungen können mit bisherigen Hilfspaketen nicht oder nur schlecht aufgefangen werden – es bedarf oft eines neuen Geschäftsmodells. Das wird sich hauptsächlich auf Branchen auswirken, wo der Konsum in (Groß)gruppen erfolgt und standortgebunden ist. Beispielsweise in der Gastronomie, Unterhaltung, bei Sport- und Konzertveranstaltungen oder im Massentransport. Kleine Länder oder Inseln, die stark vom internationalen Tourismus abhängen und nicht per Auto zu erreichen sind, dürften herbe Einbußen erleben. Die Luftfahrt steht unter Druck, da das profitabelste Produkt „Geschäftsreisen“ partiell durch Videokonferenzen ersetzt wird. Einzelhandel erfolgt zunehmend online, der Druck auf Innenstädte und Immobilien erhöht sich. Mittelfristig werden robustere Zulieferketten sowie stringentere Hygienevorschriften zu einer Verteuerung eines Teils des Warenkorbes führen, die sogenannte gefühlte Inflation. Das sollte, bei wachsender Arbeitslosigkeit, zu einer höheren Sparquote und reduzierten Anschaffung von hochpreisigen Gebrauchsgütern führen. Die Politik muss auf strukturellen Wandel hinwirken, um den Trend zur Individualisierung zu erleichtern. Dies ist jedoch nicht immer eine supranationale Aufgabe. Die EU muss sich überlegen, ob die Suche nach nachhaltigen Geschäftsmodellen nicht ein Umdenken bei Subventionen erzwingt.
Hetal Mehta, Senior European Economist, Legal & General Investment Management
Ein deutliches Nord-Süd-Gefälle in der EU ist wahrscheinlich: Länder wie Frankreich, Italien und Spanien werden eine tiefere und länger anhaltende Rezession erleben als etwa Deutschland und andere Nachbarländer. Abgesehen von den direkten Auswirkungen des Virus sind die Mittelmeerländer im Allgemeinen stärker auf KMU und den Dienstleistungssektor angewiesen. Und auch der Tourismus – in diesen Ländern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – wird wahrscheinlich erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden, weil der internationale Reiseverkehr weiterhin eingeschränkt bleibt.
Ein weiterer Grund für eine schwächere Wirtschaftsleistung ist die Ausgangslage in der Fiskalpolitik. Nachdem Deutschland über Jahre hinweg trotz Protests die fiskalischen Zügel angezogen hat, fiel seine Antwort auf das Virus prozentual zum Bruttoinlandsprodukt massiver aus als anderswo – Deutschland hat sich einen großzügigen fiskalischen Spielraum für die größte Rezession seit Generationen geschaffen.
Um eine tiefere Krise abzuwenden, müssen die Regierungen der EU aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen und die Arbeitnehmer in den betroffenen Branchen, etwa im Gastgewerbe und im Tourismus, beim Erwerb neuer Fähigkeiten unterstützen, damit sie in anderen Teilen der Wirtschaft Beschäftigung finden können.
Marco Willner, Head of Investment Strategy, NN Investment Partners
Auf kurzer Sicht kann die Pandemie zu Kreditausfällen bei Haushalten und Unternehmen führen. Für Finanzdienstleister in dem Segment gilt, ausreichend Rückstellungen aufzubauen, um Ausfälle abzufedern. Es wird sich zeigen, ob sich das Konsumentenverhalten langfristig verändern wird und Haushalte mehr sparen. In solch einem Szenario könnte die Nachfrage nach Konsumentenkrediten nachlassen. Ein ähnlicher Umschwung könnte langfristig auch auf die Tourismus- und Luftfahrtbranche zukommen. Bislang waren Geschäftsreisen ein wesentlicher Bestandteil der Nachfrage. In Zeiten nach Corona könnte die neue Working-from-Home Mentalität dazu führen, dass beide Branchen sich auf eine veränderte Nachfragestruktur ausrichten müssen. Auch die wachsende Divergenz zwischen Online- und Offline im Einzelhandel wurde durch die Krise verstärkt. Diese Entwicklungen sind strukturelle Herausforderungen für bestimmte Immobilienbereiche wie Einzelhandel und Büros. Natürlich schafft dies auch Chancen. Investitionen in digitale Technologien werden Telearbeit erleichtern. Der Online-Handel braucht eine leistungsfähige Logistik, die durch Infrastrukturinvestitionen erreicht werden kann. Tourismuslastige Volkswirtschaften könnten bei der Diversifizierung in Richtung grüner, nachhaltiger Zukunftstechnologien wie z. B. erneuerbare Energien, Elektrofahrzeuge, Onshoring von Aktivitäten, die aufgrund der Globalisierung ins Ausland verlagert wurden, unterstützt werden.
Mark Peden, Co-Manager des Kames Global Equity Income Fund
Ob es uns passt oder nicht, unsere Welt und die Art und Weise, wie wir arbeiten, hat sich durch COVID-19 für immer verändert. Nur sehr wenige Industrien und Volkswirtschaften werden den langfristigen Auswirkungen dieser Krise entgehen. Am schlimmsten betroffen ist die Reiseindustrie. Es bleibt abzuwarten, wie die Freizeitreiseindustrie dauerhaft reagieren wird, doch die Zukunft der Geschäftsreisen wird materiell anders aussehen. Die Notwendigkeit teure und zeitraubende Geschäftsreisen zu unternehmen, ist stark in Frage zu stellen, wenn Mitarbeiter auch von zu Hause arbeiten können. Die Auswirkungen auf das gesamte Reise-Ökosystem, von Fluggesellschaften, die sich verstärkt auf das sehr profitable Geschäftssegment konzentrieren, bis hin zu Flughäfen, Autos, Nahverkehrssystemen, Hotels, Geschäften, Restaurants und Gewerbeimmobilien werden enorm sein. Standortbedingt werden eindeutig diejenigen Volkswirtschaften und Regionen am stärksten betroffen sein, die in übergroßem Maße vom Tourismus abhängig sind, z.B. die sonnigeren Gegenden im Süden Europas. Auch große Gewerbegebiete und beliebte Finanzzentren werden es sehr schwer haben, auch nur annähernd an das frühere Niveau reger Aktivitäten zurückzukommen. Es ist praktisch unmöglich, Verhaltensänderungen, wie dieser, entgegenzuwirken. Behörden können nicht unbegrenzt Geld für Veranstaltungen ausgeben, die sich jetzt ganz natürlich abspielen werden. Die Unterstützung der am stärksten von der Krise betroffenen Menschen durch die Umschulungen in Branchen, die von diesen Trends profitieren - und davon gibt es viele - scheint jedoch eine vernünftige Politik zu sein.
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