Karl Weber schaut zurück für den Blick nach vorn

Die Finanzmärkte werden von Hektik und kurzatmigen Trends beeinflusst. Da mutet es beinahe merkwürdig an, wenn jemand 100 bis 200 Jahre zurück schaut, um Zinsprognosen zu erstellen. "Das klingt zwar verrückt, hilft aber weiter", sagt Karl Weber, Chefökonom der Vontobel-Gruppe. e-fundresearch fragte Weber nach seiner Sicht der Weltwirtschaft und den Aussichten für die Kapitalmärkte. Managers |

e-fundresearch: Herr Weber, Sie sind Chefökonom der Vontobel-Gruppe, wie schätzen Sie die Zinssenkungspolitik der amerikanischen Notenbank ein?

Weber: Ich war überrascht über die starke Senkung von 50 Basispunkten. Ich habe gedacht, dass Alan Greenspan seinen Manövrierungsspielraum  nicht weiter einengen wird, solange die langfristigen Zinsen tief, bei vier Prozent sind, und der Aktienmarkt nicht weiter einbricht. Er hat es aber trotzdem getan. Damit sind die Realzinsen in den USA im negativen Bereich. Greenspan will unbedingt dafür sorgen, dass die Wirtschaft Fuß fasst.

"Eine Zinssenkung in Euroland ist überfällig"

e-fundresearch: Was heißt das für die EZB?

Weber: Die EZB ist nun in einer schwierigen Situation. Sie will jetzt politisch nicht so dastehen, als ob sie nur dem Trend folgen würde. Vielmehr will sie eine unabhängige Politik verfolgen. Sie kann sagen, die Inflation liegt noch über zwei Prozent und weiter abwarten. Ich meine aber eine Zinssenkung in Euroland ist überfällig. Vor allem mit Blick auf die schwache Wirtschaft.

Bei günstigem Szenario ist 2003 eine Rally am Aktienmarkt möglich

e-fundresearch: Glauben Sie, dass es in den USA noch weitere Zinssenkungen aufgrund der politischen Unsicherheiten geben wird?

Weber: Wie gehen von zwei Hauptszenarien aus: Im Irak wird es wahrscheinlich zur Eskalation kommen; ein langwieriger Krieg scheint jedoch nicht wahrscheinlich. Der Konflikt dürfte sich auf die erste Jahreshälfte 2003 beschränken. In diesem Szenario dürfte der Ölpreis sinken und der Aktienmarkt könnte sogar ein Rally hinlegen. Zudem würde auch ab der zweiten Jahreshälfte 2003 die Investitionstätigkeit weltweit wieder anziehen. Dann würden die Zinsen am langen Ende tendenziell eher wieder steigen. Auch der Dollar dürfte dann wieder steigen, da die USA die strategische  Kontrolle über die riesigen Erdölvorkommen des Irak hätte.
Bei ungünstigem Szenario droht Konzum-Rezession

Bei ungünstigem Szenario droht Konsum-Rezession

e-fundresearch: Und im negativen Fall?

Weber: Im negativen Falle, also wenn der eine Lösung des Konflikts länger dauert, würden die Konsumenten die Sparquote erhöhen. Dies wiederum würde in einer ausgewachsenen Konsum-Rezession enden. Dann sieht es schlecht für die Weltwirtschaft aus und die Zinsen könnten noch einmal deutlich fallen. Sollte es so kommen, müsste vor allem die EZB noch einmal deutlich die Zinsen bis etwa in den Bereich von 1,50 bis 1,75 Prozent senken.

Weber blickt 100 bis 200 Jahre zurück

e-fundresearch: Wie erstellen Sie diese Zinsprognosen?

Weber: Ich betrachte vor allem die langfristigen Zinszyklen. Das sind beispielsweise der Kontradieff-Zyklus, die Kuznets-Zyklen, die Hansen-Keynes-Analyse und der Schumpeter-Prozess. Ich schaue darauf, wo wir im großen Zyklus stehen. Das heißt, ich blicke 100 bis 200 Jahre zurück. Das klingt zwar verrückt, hilft aber weiter. Man stellt fest, dass die langfristigen Zinsen in den letzten 200 Jahren über weite Zeiträume oft tiefer waren als sie heute sind. Voraussetzung dafür ist, dass wir schwaches Wirtschaftswachstum oder rezessive Phasen bei niedriger Inflation haben, dann können die Zinsen noch weiter fallen.

Bei Bonds ist eine Seitwärtsbewegung wahrscheinlich

e-fundresearch: Und worauf basiert Ihre kurzfristige Prognose?

Weber: Für die kurzfristige Ein- bis Zwei-Jahres-Prognose benutzen wir einen ganz pragmatischen Ansatz: Wir betrachten den Realzins und schauen uns ganz genau die Inflationsrate an. Ein Beispiel: Wenn wir davon ausgehen, dass die Inflation in Deutschland im nächsten Jahr bei einem Prozent liegen wird und der Realzins bei drei Prozent, dann ergibt unser Modell einen Zinssatz von vier Prozent. Aktuell sind wir bei 4,5 Prozent. Unser Modell ermöglicht also noch Zinssenkungen. Die Rentenpapiere könnten demnach noch weiter steigen. Aufgrund der Irak-Krise erwarten wir aber bei den Bonds für die nächsten ein bis zwei Jahre eher eine Seitwärtsbewegung.

Mit Rentenquote von 30 bis 50 Prozent fährt Anleger nicht schlecht

e-fundresearch: Was heißt das jetzt für den Anleger: Sind Renten noch
interessant, sollte man noch einsteigen?

Weber: Ich glaube, aus Asset-Allokation-Überlegungen kommt man nicht darum herum, einen bedeutenden Anteil am Portfolio im Rentenmarkt anzulegen. Wie gesagt, das Risiko, das bei den festverzinslichen Papieren viel passiert, obwohl die Renditen niedrig sind, halte ich für gering. Die Inflation ist kein Problem und die Wirtschaft schwächelt eher. Zudem dürfte auch der Aktienmarkt in naher Zukunft keine großen Bewegungen machen, daher muß man verstärkt auf Anleihen setzen. Wenn man schon 30, 40 oder 50 Prozent Rentenpapiere im Portfolio hat, müßte man im Einzelfall entscheiden, ob man noch dazukaufen soll. Zumindest wenn man an dieser Quote festhält, dürfte man nicht schlecht fahren.

"Europäische Renten bieten gutes Risiko-Chance-Profil"

e-fundresearch: Könnten Sie genau sagen wie hoch der Anteil an Renten bei einem "normal"  risikobewußten Anleger der Rentenanteil sein sollte?

Weber: Das Referenzportfolio der Bank Vontobel empfiehlt 36 Prozent Aktien, neun Prozent Cash sowie 55 Prozent Renten zu halten. Das ist also ein großer Anteil an Rentenpapieren.

e-fundresearch: Sollte man den Rentenanteil weltweit diversifizieren und wo sollte man die Schwerpunkte setzen?

Weber: Weltweit anzulegen ist immer gut. Ich denke aber, dass Europa derzeit aus der Sicht des Euro-Anlegers ein gutes Risiko-Chance-Profil bietet. Das Risiko ist, dass wir noch längere Zeit eine schwache Wirtschaft haben werden und die Inflation kein Problem ist. Daher ist der Anleger mit einem Realzins von drei Prozent gut bedient

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