FERI-Chefvolkswirt Angermann warnt: „Europa droht Zuschauer in der neuen Weltordnung zu werden“

Welche Konsequenzen hat Trumps zweite Amtszeit für die Weltwirtschaft, und wie kann Europa wettbewerbsfähig bleiben? FERI-Chefvolkswirt Axel Angermann gibt im Gespräch mit e-fundresearch.com Antworten. Managers | 20.12.2024 10:52 Uhr
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e-fundresearch.com: Herr Angermann, lassen Sie uns mit dem großen Ereignis von Anfang November starten, der Wiederwahl von Donald Trump. Rund einen Monat später – was sind Ihre Erkenntnisse aus wirtschafts- und geopolitischer Sicht?

Axel Angermann: Die Wiederwahl Trumps war ein entscheidender Wendepunkt, sowohl für die USA als auch international. Interessanterweise kann man Trumps Politik im Grundsatz durchaus prognostizieren, auch wenn er in der Umsetzung häufig unorthodox und impulsiv zu agieren scheint. Er hat bereits im Wahlkampf klare Prioritäten gesetzt, wie etwa die Förderung der US-Wirtschaft durch Steuersenkungen, Deregulierung und protektionistische Maßnahmen. Anders als 2016, als die Administration aufgrund mangelnder Vorbereitung mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte, deutet diesmal vieles auf eine besser geplante und organisierte Vorgehensweise hin. Das sieht man an den Personalentscheidungen, die einem klaren Muster folgen.

e-fundresearch.com: Welche politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen könnten sich aus dieser neuen, besser vorbereiteten Herangehensweise konkret ergeben?

Axel Angermann: Politisch spricht vieles für eine fundamentale Umgestaltung des politischen Systems – eine Art „Revolution von oben“. Trump will den Staat und die Administration nach seinen Vorstellungen umgestalten, was unweigerlich zu institutionellen Spannungen führen wird. Wirtschaftlich betrachtet verbinden die Märkte Trumps Politik zunächst mit positiven Effekten: Steuersenkungen für Unternehmen, Deregulierung und weitere protektionistische Maßnahmen dürften die Gewinne vieler US-Firmen kurzfristig stärken. Allerdings sind diese Maßnahmen langfristig inflationstreibend, was sich bereits an den Anleihemärkten zeigt. Dort hat der Zinsanstieg als Reaktion auf Trumps Pläne deutlich gemacht, dass die Bond-Märkte sensibel auf solche Risiken reagieren.

e-fundresearch.com: Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit die Unabhängigkeit der US-Notenbank infrage stellen könnte, und welche Konsequenzen hätte das für die Märkte?

Axel Angermann: Wenn die Zinsen deutlich steigen, könnte Trump versuchen, die FED zu Zinssenkungen zu drängen. Das ist durchaus eine Gefahr, die wir nicht unterschätzen dürfen. Trump hat in seiner ersten Amtszeit mehrfach gezeigt, dass er bereit ist, Druck auf Institutionen auszuüben, die seiner Agenda nicht folgen. Dabei könnte er sogar versuchen, die Unabhängigkeit der FED zu hinterfragen oder zu beschneiden – etwa durch gezielte Personalentscheidungen. 

Das wäre aus Sicht der globalen Finanzmärkte eine geöffnete Büchse der Pandora. Sollte die Unabhängigkeit der FED infrage gestellt werden, könnten internationale Marktteilnehmer ihr Vertrauen in das US-Finanzsystem verlieren. Die Folgen wären gravierend: Verwerfungen an den Anleihe- und Währungsmärkten und möglicherweise Kapitalabflüsse aus den USA.

Ein Vergleich mit der Türkei drängt sich hier auf, wo politische Eingriffe in die Zentralbank erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht haben. Allerdings wäre das in den USA eine völlig andere Dimension. In den USA gibt es bislang noch Checks and Balances, und es bleibt abzuwarten, wie weit Trump wirklich gehen würde und ob es Widerstand im Senat geben könnte. Dennoch: Sollte er diesen Weg einschlagen, wäre das ein Risiko mit globalen Auswirkungen. 

e-fundresearch.com: Gleichzeitig scheint Europa in einer Phase großer Unsicherheit zu sein. Die Auflösung der Ampelkoalition in Deutschland ist ein Beispiel. Wie bewerten Sie diese Instabilität?

Axel Angermann: Der politische Stillstand in Deutschland, jüngst gekennzeichnet durch die Auflösung der Ampelkoalition, ist symptomatisch für die Herausforderungen, vor denen Europa steht. Eine klare wirtschaftspolitische Führung fehlt vielerorts, und ohne eine stabile Regierung, die auf die dringendsten strukturellen Probleme reagiert, wird die Verunsicherung der Unternehmen weiter zunehmen. Die Ampelkoalition hatte es schon in ihrer Regierungszeit nicht geschafft, ein konsistentes wirtschaftspolitisches Programm zu entwickeln. Diese Entwicklungen verstärken das Gefühl, dass Europa nicht ausreichend auf globale Herausforderungen vorbereitet ist.

e-fundresearch.com: Sie sprechen Strukturprobleme an. Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für Europa?

Axel Angermann: Die größten Herausforderungen Europas liegen in der fehlenden Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit. Während die USA und China massiv in Zukunftstechnologien wie Cloud Computing, KI und Quantencomputing investieren, bleibt Europa stark auf traditionelle Branchen wie Chemie, Automobil- und Maschinenbau fokussiert, deren Wachstumsdynamik begrenzt ist. Der Bericht von Mario Draghi verdeutlicht diesen Rückstand eindrucksvoll: Er teilt die europäischen Industrien in stagnierende Sektoren und Zukunftsfelder, in denen Europa deutlich hinterherhinkt. Diese Analyse unterstreicht den dringenden Bedarf einer strategischen Neuausrichtung, um den Anschluss an die globale Technologieführerschaft nicht endgültig zu verlieren.

e-fundresearch.com: Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die entscheidenden Hebel, um Europa wieder wettbewerbsfähiger zu machen?

Axel Angermann: Europa muss mehr Mut zu Reformen zeigen. Einerseits braucht es einen Abbau von Bürokratie und eine gezieltere Investition in Zukunftstechnologien. Andererseits dürfen wir nicht den Fehler machen, sterbenden Industrien nachzuhängen. Ein gutes historisches Beispiel dafür liefert die deutsche Textilindustrie in den 1970er-Jahren: Damals hat man den Niedergang der Branche akzeptiert, anstatt Subventionen zu vergeben, die langfristig nichts gebracht hätten. Stattdessen wurde das wirtschaftliche Potenzial in zukunftsfähigere Bereiche wie den Maschinenbau oder die Automobilindustrie umgelenkt. Diese Fähigkeit zur strukturellen Anpassung hat wesentlich zur wirtschaftlichen Stärke Deutschlands beigetragen. Heute müssen wir ähnlich agieren und Bereiche wie Digitalisierung, KI und grüne Technologien fördern.

e-fundresearch.com: Inwiefern spielt auch die Finanzierung eine Rolle, etwa durch einen funktionierenden europäischen Venture-Capital-Markt?

Axel Angermann: Das ist ein absolut zentraler Punkt. Europa hat viele Start-ups mit hervorragenden Ideen, aber sobald diese eine bestimmte Größe erreichen und größere Finanzierungsrunden notwendig werden, wandern sie oft in die USA ab. Dort finden sie ein besseres Venture-Capital-Umfeld und mehr Unterstützung für den weiteren Aufbau. Diese Abwanderung ist nicht nur ein wirtschaftlicher Verlust, sondern auch ein Innovationsverlust für Europa. Hier brauchen wir endlich Fortschritte bei der Kapitalmarktunion, die seit Jahren diskutiert, aber nicht umgesetzt wird.

e-fundresearch.com: Welche geopolitischen Konsequenzen hat Europas Rückstand, insbesondere in einer multipolaren Weltordnung?

Axel Angermann: Europa steht vor der Frage, ob es in der Neuordnung der Welt eine aktive Rolle spielen oder zum Zuschauer werden will. Wir sehen eine klare Machtaufteilung zwischen den USA, China und den BRICS-Staaten. Europa droht in diesem Wettbewerb abgehängt zu werden, wenn es nicht geeint auftritt. Gerade bei zentralen Themen wie Handelspolitik oder dem Umgang mit protektionistischen Drohungen der USA braucht Europa eine starke gemeinsame Position. Ansonsten riskieren wir, auf ein „Museumsdorf“ für asiatische und amerikanische Touristen reduziert zu werden – überspitzt formuliert, aber die Gefahr besteht.

e-fundresearch.com: Ein interessanter Punkt ist die Rolle von Akteuren wie Elon Musk, der für Deregulierung steht. Könnte Europa hier von der US-Politik lernen?

Axel Angermann: Elon Musk ist ein polarisierender Akteur. Einerseits symbolisiert er den Geist der Deregulierung und den Mut, bestehende Strukturen zu hinterfragen. Gerade in Bezug auf Bürokratieabbau könnten wir in Europa sicherlich einiges lernen. Andererseits müssen wir vorsichtig sein: Musk und ähnliche Akteure verfolgen häufig die Vision eines Minimalstaates, in dem die Macht bei großen Technologieunternehmen liegt. Diese Entwicklung könnte langfristig die Demokratie gefährden, da in hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaften eine Balance zwischen Staat und Wirtschaft notwendig bleibt. Es ist wichtig, von erfolgreichen Ansätzen zu lernen, ohne dabei die Grundwerte unserer Gesellschaft zu gefährden.

e-fundresearch.com: Abschließend: Wie schätzen Sie die Inflationstrends in den USA und Europa ein?

Axel Angermann: In den USA könnte die Inflation mittelfristig über dem Zielwert der FED bleiben, vor allem durch die protektionistische und expansive Fiskalpolitik der Trump-Administration. Sollte die Inflation nicht wie erhofft zurückgehen, könnten die Erwartungen auf weitere Zinssenkungen der FED enttäuscht werden, was die US-Wirtschaft belasten könnte. In Europa ist der Disinflationstrend aus heutiger Sicht dagegen intakt: Die Kerninflation liegt zwar noch bei 3%, aber die Headline-Inflation dürfte bald unter 2% sinken. Das gibt der EZB Spielraum, ihren Zinssenkungszyklus fortzusetzen, was im Vergleich zu den USA ein Vorteil für den Euroraum sein könnte.

e-fundresearch.com: Vielen Dank, Herr Angermann, für Ihre spannenden und tiefgehenden Einblicke!

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