Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig: Bullenmarkt, Immobilien und das liebe Gefühl
Wir sind mitten in einem Bullenmarkt. Aber irgendwie fühlt es sich nicht so an. Der wirtschaftliche Ausblick ist nebulös und vorsichtig formuliert verhalten. Die Inflation ist nach wie vor über den Zielwerten. Gerade in Europa fällte es trotz der intensiven Interventionen seitens der EZB schwer, die Inflationsraten spürbar nach unten zu drücken. Nichts desto trotz klettern die Aktienkurse nach oben. Die amerikanische Leitbörse S&P 500 hat beispielsweise seit dem Oktober-Tief um mehr als 20% zulegen können. Die Performance des Index wird aber nicht vom breiten Markt, sondern von den dominanten und hochgewichteten Playern gestützt. Apple wird aktuell an der Börse mit einem Marktwert von $2,9 Billionen bewertet und ist damit das wertvollste aller 61.869 an den Weltbörsen gelisteten Unternehmen. Das entspricht in etwa dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Frankreich, immerhin der weltweit siebendgrößten Volkswirtschaft. Lediglich zwei weitere Unternehmen, Microsoft mit $2,5 Billionen und Saudi Arabian Oil mit $2,1 Billionen, werden aktuell mit mehr als $2 Billionen bewertet. Die Luft an der Spitze ist aber sehr dünn. Gemeinsam mit Alphabet (Google, $1,6 Bio.) und Amazon ($1,3 Bio.) befindet sich seit kurzem auch Nvidia ($1,0 Bio.) im elitären Billionärsklub, der nun aus sechs Unternehmen besteht. In Summe werden „nur“ 10 Unternehmen mit mehr als $500 Milliarden, 141 Unternehmen mit $100 Milliarden und 1.660 Unternehmen mit mehr als $10 Milliarden bewertet. Über die 1-Milliarde-Dollar Schwelle schaffen es immerhin noch 8.887 und damit knapp 15% aller gelisteten Unternehmen.
Die größten Unternehmen in Deutschland sind SAP ($166 Mrd.), Siemens ($142 Mrd.) und die Deutsche Telekom ($102 Mrd.). In der Schweiz führen Nestle ($315 Mrd.), Roche ($254 Mrd.) und Novartis ($226 Mrd.) das Ranking an. Damit sind sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz „nur“ drei Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als $100 Milliarden bewertet. Der österreichische Markt ist im Vergleich dazu deutlich kleiner. Mit Erste Group Bank ($14,7 Mrd.), OMV ($13,8 Mrd.) und Verbund ($13,6 Mrd.) sind drei Unternehmen über der 10-Milliarden-Schwelle. Kommen wir noch einmal zum Börsenprimus Apple zurück. Das Unternehmen hat dieser Tage ein neues Allzeit-Hoch erklommen. Der bisherige Höchststand datiert vom Jänner 2022. Damit konnten die Verluste des für Technologieunternehmen schwierigen 2022er Jahr wieder wettgemacht werden.
Kommen wir nun zu den Notenbanken. Die US-Fed hat ihren Leitzins diese Woche nach zehn Zinserhöhungen in Serie nicht weiter erhöht und damit eine Pause eingelegt. Für 2023 erwarten die Fed-Mitglieder laut der veröffentlichten Zinsprojektion zwei weitere Zinsanhebungen um 0,25%. Die weiteren Schritte hängen von der Wirtschaftsdynamik und der Inflationsentwicklung ab. Im Gegensatz dazu geht die chinesische Zentralbank einen anderen Weg, in dem sie den Zinssatz für kurzfristige Kredite gesenkt hat, um die ins Stocken geratene Wirtschaftsdynamik anzuheizen. Die europäische Zentralbank hat wiederum die Leitzinsen um weitere 0,25% auf aktuell 4,0% angehoben. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat die Inflationsentwicklung klar im Fokus, zuletzt aber auch darauf hingewiesen, dass auch die konjunkturelle Entwicklung als Richtschnur für geldpolitische Entscheidungen herangezogen wird. Auch wenn die EZB noch meilenweit vom anvisierten Inflationsziel von 2% entfernt ist, ist man trotz der hohen Inflation im Vergleich mit anderen Ländern immer noch gut bedient. In Argentinien dürfte die monatliche Inflationsrate im Mai auf 8,8% gestiegen sein. Ja, lieber Leser, Sie haben richtig gelesen. Die monatliche Inflation! Auf Jahressicht beträgt die Rate aktuell 114%. Laut Prognosen dürfte die Dynamik zunehmen und die Inflationsrate Ende des Jahres auf 150% klettern.
Ein Immobilieninvestment ist der Realwert schlechthin. Gerade in Zeiten hoher Inflationsraten haben Realwerte, zu denen auch Aktien zählen, einen guten Schutz geboten. In Österreich ist trotzdem in den letzten Monaten die Nachfrage nach Wohnungseigentum um 80% gesunken. Die Bauwirtschaft repräsentiert alleine rund 7,5% des österreichischen BIPs. Der Nachfrageeinbruch ist u.a. auf das strengere Kreditvergabeverhalten der Banken und die steigenden Zinsen und damit teureren Kreditraten zurückzuführen. Ob die weitere Zinsanhebung der lieben Christine dafür sorgen wird, die Nachfrage im Immobilienbereich erneut zu entfachen, kann damit ausgeschlossen oder zumindest bezweifelt werden.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Financial Strategies GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. Mit seinem eigenen Unternehmen ist er mittlerweile im Consulting tätig und stellt darüber hinaus seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz für diverse Weiterbildungsangebote zur Verfügung.
Berater: www.diebildungsstelle.at
Privatanleger: www.ecobono.com