Stell Dir vor, Du erhöhst zum ersten Mal seit 2007 die Zinsen und keinen interessiert‘s. So geschehen dieser Tage in Japan. Ja, ja alles klar, es war ein dovish hike, Ueda-San wird die Welt kurzfristig nicht auf den Kopf stellen, niemand weiß, ob die lohnerhöhungsbedingte Inflation wirklich nachhaltig ist und überhaupt, der Markt hat sowieso immer recht, aber noch ein noch schwächerer Yen? Come on! :-) Ich könnte das jetzt volkswirtschaftstheoretisch ausbreiten, die Kaufkraftparität, den Big Mac Index, wo Japan irgendwo zwischen Rumänien und Vietnam zu finden ist, und diverse andere Dinge ins Treffen führen, aber wie ein (und wahrscheinlich nicht nur einer ;-)) FX-Händler einmal gesagt hat: Don´t trade on fundamentals!
Ob bzw. wann sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass hier schon eine tektonische Verschiebung stattfindet, bleibt abzuwarten. Die All-Time Lows gegen den Euro aus dem 2008 Jahr sind jedenfalls unmittelbar in Reichweite, gegen den USD sind die 1990 Niveaus bereits im Fokus. Was wir hier aber besser als in allen anderen Zentralbankräumen (nochmal ;-)) festmachen können, ist, dass Geldpolitik allein bei der Schaffung von Inflation völlig einflusslos ist. Dass nach siebzehn Jahren negativer Zinsen dann vielleicht doch Inflation entsteht, hat sicher viele Gründe und vielleicht hat die Zentralbank dabei auch nicht gestört, aber den direkten Kausalzusammenhang herzustellen, dürfte tatsächlich nicht ganz einfach werden. Heißt natürlich nicht, dass die andere Seite nicht trotzdem funktioniert und mit restriktiven geldpolitischen Maßnahmen (too high for too long :-)) die ganze Geschichte nicht abzustechen ist.
Scheint also gar nicht so einfach zu sein der Job als Zentralbänker ;-) bzw. hat man relativ viele Möglichkeiten Dinge nicht ganz optimal zu machen, aber recht wenige Chancen wirklich was Positives beizutragen. Die dritte Variante, die eventuell auch einmal andiskutiert werden müsste, ist, dass die Geldpolitik weniger Einfluss auf die Ökonomie und mithin auf die Märkte hat als wir das gerne hätten. Wenn ein artifiziell herbeigeführter Zustand über siebzehn Jahre scheinbar keinerlei Auswirkung auf irgendwas hat, dann ist die Angelegenheit möglicherweise tatsächlich nur halb entscheidend. Natürlich muss die Frage gestellt werden: Was wäre gewesen, wenn der japanische Leitzinssatz zB siebzehn Jahre bei zwei Prozent eingefroren gewesen wäre? Wäre Japan völlig im Tal der Tränen versunken, die Industrie in der Bedeutungslosigkeit verschwunden und die rapide alternde Bevölkerung hätte nicht entspart? – Vielleicht kann da mal wer eine Dissertation oder so drüber schreiben. :-)
Ad too high for too long: Bitte da sind wir meiner Ansicht nach noch lange nicht. Higher for longer – ja bitte! Sind doch Zinsen was ungemein Gutes, bilden sie die Grundlage, unsere ökonomischen Entscheidungen zu quantifizieren und vergleichbar zu machen und mithin eine effiziente Kapitalallokation zu gewährleisten. Das hilft nicht nur Frau Ottilie Normalverbraucher und Herrn Max Mustermann zu entscheiden, ob sie sich das neue Haus und das neue Auto tatsächlich leisten können, es hält sie auch davon ab ihr mühsam Erspartes in Sinnlosigkeiten wie GameStop usw. zu stecken. Das wiederum ist in den meisten Fällen gut für´s viel zitierte Financial Wellbeing, weil nachhaltig gewinnen tut Retail in der Breite eher selten und es hilft dabei Blasenbildungen zu vermeiden und wir müsserten uns alle nicht so viel ärgern. *lol*
Ob diese und andere Erkenntnisse es jemals über den Rand dieses zugegebenermaßen nicht wahnsinnig großen Suppentellers schaffen, wird die Zukunft weisen. Die Hoffnung wäre, dass die KI, wenn sie jetzt schon der bessere Fußballtrainer ist, auch in der Wirtschaftswissenschaft Zusammenhänge erkennt, die uns bisher verborgen geblieben sind. Wär doch schade, wenn wir soviel Geld und Hoffnung in eine Technologie stecken, die sich dann als mittelnutzbar für viele herausstellt. Bubble und so… :-)
Glauben wir aber als mit Nachwuchs Gesegneter, der ChatGPT und Co Pilot aufgabenbedingt recht intensiv im Einsatz hat, erstmal nicht. :-)
Alles Liebe!
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH
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