Finanzmarktanalytik besteht zu einem nicht unwesentlichen Anteil daraus, Dinge einfach auszublenden. ;-) Stimmt natürlich so nicht ganz, vielmehr geht es darum verschiedene Szenarien im Auge zu behalten, diese dann auf Ihre möglichen Auswirkungen auf den Markt/das eigene Portfolio abzuklopfen, ihnen Eintrittswahrscheinlichkeiten zuzuordnen und zum Schluss sie dann am Zeitstrahl zu verorten. Je weiter also das identifizierte Szenario entweder zeitlich oder auswirkungstechnisch in der Ferne liegt, desto weniger Bedeutung werde ich ihm beimessen und mein Portfolio danach ausrichten.
Das erklärt zB ganz gut, warum der Nahe Osten – immer schon ein Pulverfass – wieder einmal zu explodieren droht, aber heute weniger Panik verursacht als in den 1990 Jahren. (ÖL und so…) Die singuläre Fixation auf die Höhe der Zinsen in den USA und warum ein Gutteil der (vornehmlich jungen ?) Marktteilnehmer sich offensichtlich schwer damit tut, dass ein gesundes Zinsniveau durchaus eine Indikation dafür ist, dass das Werkl brummt, ist dagegen schon etwas schwerer zu begreifen. Klar sind wir alle Opfer unserer Vergangenheit und ein Produkt unserer Erfahrungen, aber irgendwann muss mir als gut (aus)gebildeter Mensch doch die Abstraktion gelingen, oder?
Eigentlich sollten wir uns also alle freuen, wenn J Powell (und andere ;-)) die US-Wirtschaft stärker sieht, als befürchtet und deshalb die Zinsen länger hoch lassen wird. Das good news bisweilen als bad news aufgenommen werden ist nichts Neues, aber es neeervt schon manchmal ein bisserl. *lol* Im persönlichen Portfoliokontext tut das zwar weniger weh – ein bisserl short bin ich fast immer ;-) –, aber auf einer post-faktischen, intellektuellen Ebene führt die Tatsache, dass wir uns auf den Kursgewinn von offensichtlich auf Sand gebauter Unternehmungen versteifen, von denen wir annehmen, dass sie es nicht schaffen ihren Kreditgebern einen angemessenen Zinsdienst zu leisten, schon zu einem leichten Stechen im Frontallappen.
„Sei´s wie es sei, stirbt die Goas, bleibt das Heu!“ - wie mein lieber Freund Fred wohl sagen würde! Was tun also mit dem vielen offensichtlich nutzlosen Wissen, wenn jeder zukünftig, wenn er eine Finanzmarktanalyse oder eine Unternehmensbewertung eines Unternehmens braucht, einfach ChatGPT befragt? Demokratisierung der Finanzmärkte bis zum Erbrechen? Ist eh super, weil nur das Volk der Lemminge (wir erinnern uns an die Viecherl, denen nachgesagt wird, dass sie sich kollektiv über die Klippe stürzen, wenn ihnen danach ist), wird es schaffen die Party nachhaltig zu beenden. :-)
Bevor wir hier aber in eine Systemdiskussion abgleiten, blicken wir einen Sprung nach China. :-) Von den Amis gebasht, von Europa gefürchtet, von der Presse in den Himmel gelobt und zu Tode verteufelt, durchaus mit endogenen Problemen (Real Estate und so) beschäftigt, scheinen die Chinesen wieder einmal ein zyklisches Tief überwunden zu haben. Mögen wir Herrn Xi? Na wahrscheinlich nicht wirklich, hat er doch Züge anderer (möchtegern)Autokraten wie Trump oder Putin. Ist China aber eine Diktatur? Wohl auch nicht. Abgesehen davon, fragt uns eh keiner (zurecht? ;-))! Weggehen wird China nicht, weder geographisch noch als ökonomischer und wirtschaftlicher Faktor, also können wir´s – ethisch-moralisch agnostisch, wie der Markt im Grunde (trotz aller ESG Fanderln) ja eigentlich ist – gleich umarmen!
So viel zu den Erkenntnissen des Mittwochmorgen. Manche werden sagen: Na gut, dass die Woche noch nicht aus ist… *lol*
Verabschieden wir uns also mit den berühmten Worten von Martin N.: Are you short enough?
Glück auf!
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH
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Florian Gröschls obiger Kommentar stellt eine Markteinschätzung aufgrund von selbstentwickelten Systemen und persönlichen Erfahrung dar. Keinesfalls ist obiger Kommentar eine Empfehlung oder Meinung der ARC und/oder Florian Gröschl, Positionen welcher Art auch immer einzugehen.