Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig: Radelnde Investoren und ein Kursverfall mit Ansage
Diese Woche hat mich mein alter Freund Bernhard im Büro besucht, um mit mir einen Espresso zu trinken. Standesgemäß kam er trotz dunkler und bedrohlich aussehender Gewitterwolken mit dem Fahrrad. Als treuer Leser dieser Kolumne hat er mir erzählt, dass er sich als Investor manchmal wie ein Radfahrer in Graz fühlt. Diese Metapher möchte ich Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, natürlich nicht vorenthalten. Auf dem Weg zu mir musste er zuerst durch die verwinkelte Innenstadt, voller von manch ungehobelten Autofahrern verursachter Unsicherheiten und Gefahren. Diese Wegstrecke ist mit einer turbulenten Börsenphase oder sogar einem Börsencrash vergleichbar. In diesem Umfeld macht weder das Radfahren noch das Investieren Spaß. Danach, am Rad-Highway der Mur entlang, ging es locker und sehr entspannt dahin. Wie ein „ruhiger“ und für Investoren entspannter Bullenmarkt, in dem wir von einem High zum nächsten High klettern und uns als Investoren über beträchtliche Gewinne freuen können. Das sind jene Phasen, in denen beide Aktivitäten so richtig Freude machen. Um den Weg zu mir ins Büro zu schaffen, musste er durch beide Phasen durch. Ähnlich einem Aktieninvestor, der mit seinen Investments im Laufe der Zeit vermutlich ungeahnte Höhen, aber auch sehr tiefe Schluchten erleben wird. Am Ende sind Ausdauer und Durchhaltevermögen wesentliche Erfolgskomponenten.
An den Aktienmärkten sind wir in den letzten Monaten locker dahingeradelt und haben schöne Gewinne eingefahren. Wahljahre – und für die Finanzmärkte ist vor allem die US-Präsidentschaftswahl im November von besonderem Interesse – sind bekanntlich ganz gute Börsenjahre. Wie Sie wissen, halte ich nicht viel von Prognosen. Diese Woche lehne ich mich aber einmal weit aus dem Fenster. Der Chiphersteller Nvidia ist ja einer der Börsenlieblinge schlechthin. Seit Jahresbeginn konnte sich der Börsenkurs mehr als verdoppeln. Aktuell müssen Investoren bereits mehr als 1.000 US-Dollar für eine Aktie bezahlen. Wenn Sie Ende nächster Woche auf den Kurszettel schauen, wird der Kurs nur noch knapp über 100 US-Dollar liegen. Keine Sorge, das ist kein Grund zur Panik und ich bin nicht unter die Crash-Propheten gegangen. Nächste Woche wird ein Aktiensplit durchgeführt. Das bedeutet, dass jeder Investor für eine Aktie neun weitere Aktien auf seinem Depot eingebucht bekommt. Aus 1 mach 10! Geschenkt bekommt man an der Börse aber definitiv nichts. Im gleichen Atemzug wird der Aktienkurs gezehntelt. Für den Investor ist es also ein Nullsummenspiel. Diese Kapitalmaßnahme wird Aktiensplit genannt. Einer der Gründe für diese Maßnahme ist mit Sicherheit, dass das Unternehmen wieder „billiger“ wird und für viele Investoren damit auch wieder kaufbar. Laut einer Analyse der Bank of America konnten Unternehmen, die seit den 1980ern einen Aktiensplit durchgeführt haben, in den folgenden 12 Monaten den Gesamtmarkt deutlich übertreffen. Während der S&P 500 eine durchschnittliche Performance von 9,1 % erwirtschaftete, konnten „Split-Aktien“ um 25,4 % zulegen. Wenn etwas schon einmal über 1.000 Dollar gekostet hat, sind 100 Dollar gefühlt ein wahres Schnäppchen. Dass es anders geht, hat wieder einmal der gute Warren Buffet bewiesen. Der Börsenkurs seiner Berkshire Hathaway A liegt aktuell bei rund 610.000 US-Dollar. Dem alten Börsenfuchs war es wichtig, die Wertsteigerung für seine Investoren auch im Aktienkurs auszudrücken. Aufgrund dessen hat er auf Aktiensplits verzichtet. Zum Zeitpunkt meiner Geburt im April 1977 kostete eine Aktie lediglich 94 US-Dollar. All meine Altersgenossen, die damals eine Berkshire Hathaway Aktie als Geschenk bekommen haben, können sich wahrlich freuen.
Kommende Woche steht noch die Sitzung der EZB auf der Agenda. Alles andere als eine von Christine Lagarde verkündete Zinssenkung würde vermutlich nicht nur mich sehr überraschen. Bernhard musste etwas länger bei mir ausharren, da ein Gewitter aufzog. Er wartete Blitz und Donner ab, bevor er im Regen tollkühn wieder nach Hause radelte. Dieses Bild werde ich mir in Erinnerung rufen, wenn es an den Börsen wieder einmal so richtig ruppig wird.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. Mit seinem eigenen Unternehmen berät er Kapitalanlagen, Versicherungen und andere institutionelle Investoren und will darüber hinaus auch seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz an Finanzexperten, Privatpersonen und vor allem auch an junge Menschen unterhaltsam weitergeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at