Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig | Wenn Börsengeschichte geschrieben wird
Die letzten Tage ist mein ohnehin nicht geringer Espresso-Konsum stark gestiegen. In turbulenten Börsenzeiten heißt es: hellwach bleiben, kühlen Kopf bewahren – und am besten doppelt koffeiniert durch den Tag gehen. Denn der April 2025 hatte es bisher in sich. Ein Blick auf die Statistik zeigt: Ein zweistelliger Kursrutsch innerhalb von nur zwei Handelstagen ist ein echtes Börsenbeben – und kommt extrem selten vor. Seit den 1920er-Jahren ist das am US-Aktienmarkt gerade einmal fünfmal passiert. Nun reiht sich mit dem „Trump Tarif“ der sechste große Crash in die Geschichtsbücher ein. Was ihn so besonders macht? Er fällt nicht vom Himmel, sondern folgt einem altbekannten Muster: Wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen treffen auf ein ohnehin fragiles Umfeld – das Resultat ist eine globale Kettenreaktion. Wer in die Vergangenheit blickt, erkennt: Solche Crashes sind nie nur Zahlen. Sie sind Spiegelbild ihrer Zeit.
Im Oktober 1929 etwa leiteten Schwarzer Montag und Dienstag die Große Depression ein. Überbewertung, exzessive Kreditvergabe und das Platzen einer Spekulationsblase führten zu Panikverkäufen – der Markt verlor 23 % in zwei Tagen. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen prägten ein ganzes Jahrzehnt. Nur acht Jahre später, 1937, kam es erneut zu einem massiven Rückschlag – ausgelöst durch zu früh angehobene Zinsen und sinkende Staatsausgaben. Der Markt stürzte um 15 % ab. Die wirtschaftliche Erholung wurde jäh abgewürgt. 1987 dann der „technische“ Crash: Der Schwarze Montag gilt mit einem Verlust von 22 % an nur einem Tag als der heftigste in der Börsengeschichte. Schuld war vor allem der Computerhandel. Der Schock war groß – doch die Erholung kam schnell. Im November 2008 taumelte die Welt nach der Lehman-Pleite in eine Finanzkrise. Binnen zweier Tage verlor der S&P 500 über 10 %. Doch massive staatliche Rettungspakete und Zinssenkungen verhinderten Schlimmeres – ein Jahr später notierte der Markt wieder deutlich höher. Im März 2020 schließlich führte die Corona-Pandemie zum beispiellosen globalen Crash. Innerhalb von zwei Tagen sackte der Markt um 12 % ab. Es folgte ein weltweiter Liquiditäts-Tsunami – und eine der schnellsten Börsenerholungen der Geschichte.
Und heute? April 2025 – der „Trump Tarif“. US-Aktien verlieren binnen 48 Stunden über 10 %. Die Ursache: Trumps neue Strafzölle auf chinesische Importe – und die ebenso deutliche Reaktion aus Peking, mit einer Erhöhung der Zölle auf US-Produkte von 34 % auf bis zu 84 %. Das trifft viele US-Konzerne direkt. Unternehmen wie Apple könnten nun unter Druck geraten, ihre Produktion zurück in die USA zu verlagern – was offenbar genau dem Ziel Trumps entspricht. Anders als in früheren Krisen gibt es diesmal jedoch kein Auffangnetz. Fed-Chef Jerome Powell sprach es offen aus: „Die aktuelle Situation ist nicht eindeutig genug, um entschlossen zu handeln. Wir müssen vorsichtig bleiben – es gibt keinen Fed-Put.“ Die Notenbank greift also nicht ein – und die Märkte sind auf sich allein gestellt. In einer Zeit, in der geopolitische Spannungen zunehmen, die Geldpolitik blockiert ist und das Vertrauen schwindet, ist das ein toxischer Cocktail. Auch Europa reagierte bereits: Die EU kündigte Gegenzölle an, die am 15. April in Kraft treten sollen. Die EZB warnt offen vor einem Einbruch des Welthandels. Und selbst in Australien hält die Zentralbank ihre Zinsen stabil – nicht aus Stärke, sondern aus Vorsicht.
Der globale Druck dürfte selbst dem lieben Donald zu viel geworden sein. Wer will schon seine zweite Amtszeit mit einem ausgewachsenen Bärenmarkt und dem steigenden Druck der Wallstreet-Granden starten? Und so sorgte Trump mit der Ankündigung, bestimmte Zölle für 90 Tage auszusetzen, für eine wahre Euphorie an den Märkten. Die Aktienindizes schossen nach oben – eines der besten Tagesergebnisse der Börsengeschichte. Doch: China, der wichtigste Handelspartner, ist von der temporären Regelung ausgenommen. Und auch der 10-prozentige Basiszollsatz bleibt bestehen. Ob es sich also um eine nachhaltige Entspannung oder nur ein kurzes Strohfeuer handelt, bleibt abzuwarten.
Fest steht: 2025 ist anders. Die Gemengelage ist komplexer, die Unsicherheit größer. Der „Trump Tarif“ könnte mehr sein als ein kurzfristiger Schock – er könnte zum Symbol einer neuen Börsenära werden: geprägt von politischen Alleingängen, schwacher internationaler Kooperation und einem schleichenden Vertrauensverlust. Und das ist genau das, was Märkte am wenigsten mögen. Kein Wunder also, dass auch meine Espressomaschine gerade Überstunden macht.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. In der Führungsebene der NIXDORF Kapital Unternehmensgruppe bringt er seine Expertise in den Bereichen Strategie, Finanzen und Nachhaltigkeit ein, um das Thema Impact-Investing weiter voranzutreiben. Darüber hinaus ist es ihm ein besonderes Anliegen, seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz nicht nur an Finanzexperten und Privatpersonen, sondern vor allem auch an junge Menschen auf unterhaltsame Weise weiterzugeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at
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