Interview: "Protektionismus ist zurück – nicht als Schlagzeile, sondern als System"

Bernhard Schmitt, Head of Equity & Multi Manager Management bei der Liechtensteinischen Landesbank, warnt im Interview vor einer durch Emotionen getriebenen Aktienrally ohne Fundament. Er spricht über systemischen Protektionismus, überbewertete Märkte, ein gefährlich geringes Gewinnwachstum – und erklärt, warum europäische Aktien aus seiner Sicht in der zweiten Jahreshälfte 2025 zu den Gewinnern zählen könnten. Markets | 03.06.2025 12:36 Uhr
Bernhard Schmitt, Head of Equity & Multi Manager Management bei Liechtensteinische Landesbank AG / © e-fundresearch.com / Liechtensteinische Landesbank AG
Bernhard Schmitt, Head of Equity & Multi Manager Management bei Liechtensteinische Landesbank AG / © e-fundresearch.com / Liechtensteinische Landesbank AG

e-fundresearch.com: Herr Schmitt, die Kapitalmärkte stehen derzeit unter dem Eindruck geopolitischer Spannungen, hoher Staatsverschuldung, uneinheitlicher Wachstumsdynamik und geldpolitischer Unsicherheit. Wie schätzen Sie das aktuelle Marktumfeld ein – und mit welcher Grundhaltung begegnen Sie den kommenden Monaten?

Bernhard Schmitt: Wir glauben, dass das „America First“-Mantra von US-Präsident Donald Trump kein vorübergehender Ausrutscher ist, sondern Teil eines grundsätzlichen strategischen Wandels. Der Protektionismus ist zurück – nicht als Schlagzeile, sondern als System. Die gegenwärtige Rally lebt vom Gefühl, nicht von der Faktenlage. Und genau das macht es gefährlich. Sollte Trump erneut gegen China oder Europa vorgehen, drohen ernsthafte Konsequenzen: Lieferketten geraten in Schwierigkeiten, Investitionen stocken und Gewinne schrumpfen. Unser Rat: Aktienquoten gegenwärtig neutral halten, also maximal 50% in einer ausgewogenen und passend diversifizierten Anlagestrategie in den Referenzwährungen Schweizer Franken, Euro oder US-Dollar.

e-fundresearch.com: Angesichts der Vielzahl an offensichtlichen Risiken: Wo sehen Sie derzeit das größte unterschätzte Gefahrenpotenzial – also ein Risiko, das aus Ihrer Sicht von vielen Marktteilnehmern aktuell noch zu wenig beachtet wird?

Bernhard Schmitt: Wenn trotz sinkender Gewinne die Kurse weiter steigen, ist das keine gesunde Entwicklung, sondern ein Warnsignal. Wer das ignoriert, läuft blind in die nächste Enttäuschung. Die Bewertungen vieler Unternehmen sind ambitioniert. Trotz des guten ersten Quartals 2025 erwarten die Analysten für den Gesamtmarkt im weiteren Jahresverlauf ein geringeres Gewinnwachstum als noch zu Jahresbeginn. Eine Vielzahl an Unternehmen mussten ihre Prognosen nach unten anpassen. In der Realwirtschaft werden in einem derart unsicheren Umfeld kaum langfristige Investitionsentscheidungen getroffen. Sollte sich das in den – naturgemäß nachlaufenden – Konjunkturdaten niederschlagen, drohen Rückschläge.

e-fundresearch.com: Und umgekehrt: In welchen Bereichen könnte es Ihrer Meinung nach zu positiven Überraschungen kommen, die die Märkte in der zweiten Jahreshälfte 2025 stützen oder sogar beflügeln könnten?

Bernhard Schmitt: Innerhalb des Aktienkorbes empfehlen wir, Europa gezielt höher zu gewichten. Noch vor wenigen Quartalen galt der Kontinent als Sorgenkind, doch inzwischen finden wir dort ein überdurchschnittliches Chancen-Risiko-Verhältnis vor. Während bislang vor allem defensive Werte gut liefen, sehen wir bei zyklischen Unternehmen Aufwärtspotenzial. Sie werden von einer wirtschaftlichen Erholung in Deutschland und Europa profitieren. Dies kann zudem noch weitere Unterstützung erfahren, wenn die Europäische Union einen eigenen und neue Märkte erschließenden Weg findet und gleichzeitig eine unternehmensfreundliche Weiterentwicklung der nachhaltigen Omnibus-Thematik erzielen kann.

e-fundresearch.com: Europäische Aktien haben sich seit Jahresbeginn deutlich erholt. Getragen wurde die Entwicklung unter anderem von attraktiven Bewertungen, einer stabileren Konjunkturlage und geopolitischer Entspannung. Handelt es sich aus Ihrer Sicht um ein nachhaltiges Comeback Europas?

Bernhard Schmitt: Natürlich sind auch Europas Börsen nicht immun gegen globale Risiken. Die "Husten-und-Schnupfen"-Thematik zwischen den USA und Europa ist sicher nicht völlig ausschaltbar. Aber anstatt der nächsten rhetorischen Volte aus Washington hinterherzujagen, lohnt sich ein ruhiger Blick auf den Kontinent, der zuletzt zu oft übersehen wurde. Investorengelder haben sich auf den Weg nach Europa gemacht. Das gewaltige Investitionsprogramm in Richtung Verteidigung und Infrastruktur sollte zu einem großen Teil den europäischen Unternehmen zugutekommen.

Über Bernhard Schmitt

Bernhard Schmitt leitet bei der Liechtensteinischen Landesbank (llb) das Equity & Multi Manager Management. Seine Karriere bei der llb begann er 2004 als Senior Fondsmanager, nach Stationen bei der IFOS Int. Fund-Service AG und der VP Bank, beide ebenfalls in Vaduz ansässig. Schmitt ist Diplom-Volkswirt (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) und besitzt einen Abschluss als Certified ESG Analyst (CESGA) von der European Federation of Financial Analysts Societies (EFFAS).

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