Börsenbarometer | Wenn Märkte flüstern und Finger zittern

Pünktlich zum Start in das Wochenende kommentiert e-fundresearch.com Gastkolumnist & Kapitalmarktexperte Dr. Josef Obergantschnig wöchentlich das Börsengeschehen aus erfrischend neuen Blickwinkeln. Markets | 01.08.2025 13:30 Uhr
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH / © e-fundresearch.com / Obergantschnig Management GmbH (Foto: Vicky Posch)
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH / © e-fundresearch.com / Obergantschnig Management GmbH (Foto: Vicky Posch)

Wenn Märkte flüstern und Finger zittern

Diese Woche war für mich emotional. Ich saß in meinem Lieblingssessel. Zittrige Finger. Ein letzter Espresso. Und dann: Enter. Eine Million Zeichen, drei Jahre Arbeit – und plötzlich ist das Buch nicht mehr meins. Ich habe es an meine Lektorin übermittelt. Es war ein Moment des Loslassens. Zwischen Stolz, Müdigkeit – und einem Hauch von Leere. Ein kleiner Abschied von etwas, das mich begleitet hat wie ein innerer Kompass. Aber auch ein Schritt nach vorne: für Klarheit, neue Ideen – und den Blick auf das, was da draußen passiert.

Denn die Welt dreht sich weiter. Und an den Finanzmärkten war diese Woche einiges los. Mit frischem Blick und einem doppelten Espresso in der Hand blätterte ich durch die neuesten Entwicklungen: Mitte der Woche trat die amerikanische Notenbank zusammen, und Fed-Präsident Jerome Powell stand erneut im Fokus. Während sich die Wirtschaft zunehmend abkühlt, bleiben die Zinssätze unverändert. Gleichzeitig feiern die Tech-Giganten Quartalsrekorde, während viele Investoren nervös auf geopolitische und wirtschaftliche Unwägbarkeiten blicken. Es war eine Woche zwischen Stillstand und Aufbruch, zwischen alten Fragen und neuen Rekorden – aber der Reihe nach …

Wenn das Wachstum leiser wird – und die Fed trotzdem schweigt

Die US-Wirtschaft hat sich im ersten Halbjahr 2025 spürbar abgekühlt. Das Wachstum lag im Schnitt nur noch bei 1,25%, trotz eines überraschend starken zweiten Quartals. Persönliche Konsumausgaben flauen ab, Unternehmensinvestitionen schwächeln, Importe brechen ein – zuletzt regelrecht ein Kollaps. Und dennoch: Die Federal Reserve hält zum fünften Mal in Folge die Füße still. Kein Zinsschritt – weder rauf noch runter. Zwei Notenbankmitglieder stimmten sogar offen gegen den Konsens – erstmals seit 30 Jahren. Ein deutliches Zeichen: Die Zinswende könnte bevorstehen. Doch Jerome Powell bleibt gelassen. Keine Versprechen, keine Zusagen. Stattdessen: beobachten. bewerten. warten. Vielleicht ist das die wahre Kunst in unruhigen Zeiten – nicht zu überreagieren. Auch wenn’s schwerfällt. Und selbst wenn der liebe Donald Trump immer wieder lautstark an seiner Tür klopft.

Wenn Tech zum Titan wird – und Geschichte sich leise räuspert

Wenige Zeilen später springt mir ein Chart ins Auge: 19 Billionen US-Dollar Börsenwert – verteilt auf nur sieben Unternehmen. Die „Magnificent 7“ machen heute über 15% der globalen Marktkapitalisierung aus. Nvidia kratzt am deutschen BIP. Microsoft? Mehr wert als das gesamte italienische Bruttoinlandsprodukt. Natürlich jubeln viele. Microsoft überzeugt mit starken Cloud-Zahlen, Apple meldet ein China-Comeback. Doch Euphorie war selten ein guter Lehrer. Ein Blick zurück schadet nicht – im Gegenteil.

Im 17. Jahrhundert etwa dominierte ein einziges Unternehmen die damalige Wirtschaftswelt: die Dutch East India Company (VOC). Sie war die erste Aktiengesellschaft der Welt – mit Handelsmonopolen, eigenen Kriegsschiffen und einem inflationsbereinigten Börsenwert von über 10 Billionen Dollar. Die VOC kontrollierte den Gewürzhandel, errichtete Stützpunkte in Asien, finanzierte Expeditionen – und scheiterte dennoch. Überdehnung, Missmanagement und Spekulation führten zum schleichenden Niedergang. Nicht anders verlief das Kapitel der Mississippi Company Anfang des 18. Jahrhunderts. Getragen von politischem Überschwang und kollektiver Gier, schoss der Kurs in absurde Höhen – bis zum Absturz von 1720, einem der ersten großen Finanzcrashs der Geschichte.

Was lernen wir daraus? Größe schützt nicht vor Fallhöhe. Auch heute sind Tech-Giganten wirtschaftlich allgegenwärtig, dominant in Indizes, in vielen Portfolios übergewichtet. Aber: Wer klug investiert, setzt nicht nur auf Reichweite und Hype, sondern auf Substanz, Diversifikation und gesundes Risikomanagement. Denn selbst Imperien mit Kriegsschiffen sind nicht unsterblich. Warum sollten es dann Aktienkurse sein?

Viele Investor:innen fragen sich dieser Tage: Füße stillhalten – oder raus, solange’s noch hoch steht?

Vielleicht ist genau jetzt der Moment, das eigene Portfolio leise unter die Lupe zu nehmen. Nicht panisch, nicht hektisch. Sondern mit dem Blick für das, was trägt. Wie bin ich strukturiert? Gibt es Klumpenrisiken – Positionen, die mir nachts den Schlaf rauben könnten? Welche Fonds oder ETFs dominieren mein Depot – und warum? Oft genügt schon ein ehrliches Nachfragen, um die eigene Strategie zu justieren. Denn wer versteht, was er hält, muss nicht zittern, wenn’s wackelt.

Urlaubskassa prall gefüllt?

Und während die „Magnificent 7“ neue Höhen erklimmen, schielen viele schon auf die nächste große Etappe: den Urlaub. Der Ferragosto steht vor der Tür. Ursprünglich ein Feiertag zu Ehren von Kaiser Augustus – heute ein heiliger Sommertag für Millionen. Der 15. August gehört dem Müßiggang. Und dem Miteinander. Für meine Familie und mich geht’s dieses Jahr nach Griechenland. Nicht weil der Euro dort besonders stark ist – sondern weil es sich dort so anfühlt, als hätte der Sommer mehr Zeit. Türkisblaues Meer, weißgekalkte Häuser, Tavernen am Wasser, das Zirpen der Zikaden – und Gespräche, die endlich wieder atmen dürfen. Es geht um das, was im Alltag oft zu kurz kommt: Einfach da sein. Gemeinsam. Morgens durch kleine Gassen schlendern, mittags im Schatten dösen, abends unterm Sternenhimmel über das Leben philosophieren und einfach nach Spaß haben. Ein angenehm rationaler Nebeneffekt: Kaufkraftbereinigt bekommt man dort für 100 österreichische Euro rund 124 Euro Gegenwert. Der eine oder andere Espresso mehr wird also drin sein – diesmal mit Meerblick statt Kurstafel.

Was bleibt? Vielleicht ist das Beste, was man nach einer hektischen Börsenwoche tun kann: dem Meer zuhören – statt dem Markt. Denn manchmal sagen stille Wellen mehr als laute Charts.

Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist

Dr. Josef Obergantschnig ist anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset Managers. In der Führungsebene der NIXDORF Kapital Unternehmensgruppe hat er seine Expertise in den Bereichen Strategie, Finanzen und Nachhaltigkeit eingebracht, um das Thema Impact-Investing weiter voranzutreiben.

Ein besonderes Anliegen war es ihm, seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz nicht nur an Finanzexperten und Privatpersonen, sondern vor allem auch an junge Menschen auf unterhaltsame Weise weiterzugeben.

Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at

Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at

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