Frage: Wir lesen täglich von neuen sauberen Technologien, Elektrifizierung und anderen Bemühungen, den Klimawandel abzuwenden, und dennoch ist die Welt weiterhin stark von fossilen Brennstoffen abhängig. Macht die Energiewende denn überhaupt Fortschritte?
Antwort: Auf den ersten Blick scheint sich der Wandel in den letzten zehn Jahren nur langsam vollzogen zu haben – 80 Prozent des weltweiten Energiebedarfs werden immer noch mit fossilen Brennstoffen gedeckt. Diese Zahl isoliert betrachtet täuscht aber über den tatsächlichen Fortschritt hinweg.
Erneuerbare Energien, also Windkraft, Sonnenenergie und Energiespeicher, sind gegenüber fossilen Brennstoffen wirtschaftlich wettbewerbsfähig geworden. Jetzt müssen wir den Stromanteil am Gesamtenergiebedarf erhöhen, was wir mit diesen spannenden Technologien erreichen können. Und wir müssen auch andere Vektoren wie grünen Wasserstoff für das nutzen, was wir nicht elektrifizieren können.
Gleichzeitig muss für jeden Euro, der in die Elektrifizierung investiert wird, ein weiterer Euro in die Stromnetze investiert werden. Wenn wir die Nachfrage elektrifizieren wollen, müssen wir die Netzinfrastruktur ausbauen. Darüber hinaus ist die Entwicklung von Energiespeichern das A und O, um die zunehmende Elektrifizierung zu meistern.
Frage: Warum hat man den Eindruck, dass alles nur langsam vorangeht?
Antwort: Das Rocky Mountain Institute erklärt, warum wir das Tempo der Energiewende unterschätzen. Erstens: Die Menschen sehen diese Entwicklungen als linear an. Aber technologische Veränderungen verlaufen kaum jemals linear. Sie folgen einem S-Muster: Anfänglich nimmt die Entwicklung oder Akzeptanz nur langsam Fahrt auf, aber ab einem bestimmten Punkt, etwa bei 10% des Gesamtmarktes, wird das Wachstum exponentiell, bis die Technologie dann dominierend wird.
Zweitens unterschätzen wir die Entwicklung, weil wir uns auf den Bestand und nicht auf die Ströme konzentrieren. Der Anteil der Elektrofahrzeuge auf den Straßen ist immer noch gering, aber der Anteil der Verkäufe an der Gesamtzahl der Neuwagen ist extrem hoch. Es wird erwartet, dass bis 2030 35 Prozent und bis 2040 70 Prozent der Fahrzeugverkäufe auf Elektrofahrzeuge entfallen werden.
Drittens: Es geht nicht mehr nur um den Klimawandel. Jetzt geht es um Technologie.
Und viertens neigen wir dazu, uns auf die Sektoren zu konzentrieren, in denen die Energiewende am schwierigsten zu bewerkstelligen ist – das Baugewerbe, die Verhüttung und dergleichen – und übersehen dabei all die Fortschritte, die anderswo gemacht werden.
Frage: Aber die Sonne scheint nicht in der Nacht, der Wind weht nicht immer und Batterien sind teuer, sodass wir immer noch einen erheblichen Bedarf an fossilen Brennstoffen haben werden, oder?
Antwort: Erstens werden diese Technologien gerade erst auf breiter Front eingesetzt. 2022 wurden nur 5 Prozent des weltweiten Stroms mit Photovoltaik erzeugt. Aufgrund der rasch sinkenden Kosten und der technologischen Verbesserungen entfallen auf sie jedoch rund 60% der weltweit neu hinzukommenden Kapazitäten. 2022 wurden 250 Gigawatt (GW) für Solar zugebaut. 2023 waren es etwa 415 GW. Bis 2030 werden es 1.000 GW sein. Die Windkraftkapazität wächst langsamer als die Solarkapazität, aber selbst in einem konservativen Szenario wird die Windenergie bis 2050 mit einem Anteil von etwa 36% an der Gesamterzeugung die größte Stromquelle sein. Dann werden Wind und Sonne zwei Drittel des weltweiten Strombedarfs decken.
Was den Menschen oft nicht bewusst ist, ist, dass die Erzeugung von Solar- und Windenergie komplementär ist. In der Tat scheint die Sonne nur tagsüber. Aber genau dann, nämlich wenn die Sonne nicht scheint, übernimmt die Windkraft – nachts und bei bewölktem Himmel. Zusammen sind sie in der Lage, die Grundlast, also den konstanten Strombedarf in einem Versorgungsgebiet, abzudecken. Der Rest kann aus anderen erneuerbaren Energien wie Wasserkraft und Kernenergie und einem immer kleiner werdenden Anteil aus fossilen Brennstoffen stammen.
Frage: Was ist mit dem Problem der Intermittenz?
Antwort: Die Energiespeicherung ist sehr wichtig, weil die Intermittenz immer ein Problem sein wird. Lithium-Ionen-Batterien können vielleicht den Tagesbedarf decken, aber sie sind keine praktikable Lösung für längere Speicherzeiten. Thermische Speicher eignen sich hervorragend für die Nutzung von Energie in Form von Wärme, sind aber ineffizient, wenn es darum geht, Strom ins Netz zurückzuspeisen. Es werden neue Technologien wie Wasserstoff entwickelt. Aber die wirtschaftlichste Lösung für eine langfristige Speicherung ist und bleibt die Pumpspeicherung.
Wird ein Überschuss an Strom erzeugt, wird Wasser von einem tiefer gelegenen Wasserbecken in ein höher gelegenes Reservoir gepumpt, und wenn Strom benötigt wird, fließt es über eine Turbine zurück, um Strom zu erzeugen. Derzeit gibt es weltweit eine Pumpwasserkapazität von etwa 175 GW, die bis 2035 auf 389 GW ansteigen dürfte. Allein in Spanien haben die bestehenden Staudämme ein Pumpspeicherpotenzial von mehr als 10 GW, und das zu wettbewerbsfähigen Kosten.
Überschüssige Windenergie kann in der Nacht, wenn der Bedarf gering ist, zum Pumpen genutzt werden. Solarenergie kann tagsüber zum Pumpen verwendet werden. Man kann während der Ferienzeiten pumpen, wenn die Nachfrage geringer ist. So kann man Wasser in das obere Reservoir pumpen und es dann in Zeiten hohen Bedarfs zur Stromerzeugung nutzen.
Einblicke für Investoren
- Uns ist bewusst, dass die Umstellung auf saubere Energie ein komplexer und langwieriger Prozess ist, der nicht nur Unternehmen in der Stromerzeugung, sondern auch in den Bereichen Verkehr, Fertigung, Bauwesen, IT und Energieinfrastruktur betrifft. Dadurch ergeben sich Investmentchancen in der gesamten Wertschöpfungskette. Die jährlichen Investitionen in saubere Energie dürften sich bis 2030 auf mehr als 4 Bio. US-Dollar verdreifachen.
- Erneuerbare Energien sind bereits in den meisten Teilen der Welt die günstigste Stromquelle. Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass der Anteil von Wind- und Solarenergie an der weltweiten Stromerzeugung bis zum Jahr 2050 auf 70% ansteigen wird (2021: 10%). Der breite Einsatz intermittierender erneuerbarer Energien ist jedoch eine große Herausforderung und erfordert ein Umdenken im Bereich des Lastmanagements und der Optimierung der Wechselwirkungen zwischen der Stromerzeugung und anderen Sektoren, insbesondere Elektrofahrzeuge und Beheizung privater Haushalte.
- Für Versorgungsunternehmen besteht die Herausforderung darin, die Infrastruktur auf Haushalts- und breiter Netzebene aufzurüsten sowie den Grad der Digitalisierung und Konnektivität zu erhöhen, um das Netzmanagement und die Flexibilität zu verbessern. Dadurch eröffnen sich Geschäftschancen sowohl im Hardware- als auch im Softwarebereich, also Softwareprogramme, Halbleiter, Energiemanagementkomponenten usw.
Von Jennifer Boscardin-Ching, Senior Client Portfolio Manager, Themenaktien, Pictet Asset Management