In seinem zentralen Szenario für die Märkte geht Ibrahima Kobar, CIO des französischen Investmenthauses „Ostrum Asset Management“, davon aus, dass sich der Krieg in der Ukraine nicht über den Sommer hinaus hinzieht. Doch auch in diesem Szenario bleibt er vorsichtig und erwartet im Euro Stoxx 50 im nächsten Monat einen weiteren Rückgang auf 3.750 Punkte.
Unabhängig von den unmittelbaren Auswirkungen der Krise wie steigenden Preisen, steigenden Defiziten und strafferer Geldpolitik sieht er für die „Welt danach“ bleibende Veränderungen. Es werde eine Art „Memoryeffekt“ geben, eine Unsicherheit, die nicht ganz verschwinden werde.
Kobar: „Die Sicherheit der Energieversorgung wird eine Diversifizierung der Lieferanten und damit die Nutzung teurerer Quellen erfordern. Außerdem werden ehrgeizige Investitionsprogramme aufgelegt werden müssen. Auch die höheren Ausgaben für die Verteidigung werden Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben, aber auch auf die Industrie und die Forschung. In beiden Bereichen wird eine stärkere gemeinsame Anstrengung auf europäischer Ebene erfolgen. Die Belastungen der Staatshaushalte werden weit über die kurzfristigen rezessiven Folgen des Konflikts hinausreichen.
Schließlich wird sich der Trend zur Deglobalisierung, der mit der Covid-Krise begann, verstärken, was sich insbesondere auf die Preisentwicklung auswirken wird. Die Dynamik der Verbraucherpreise hat sich in den USA in letzter Zeit mit dem Anstieg der Löhne sowohl bei neuen Verträgen als auch bei bestehenden Arbeitsverträgen verstärkt. In Europa hingegen hat vermutlich die ganz andere Methode der Tarifverhandlungen Lohnsteigerungen bislang verhindert.“
Was die langfristigen Anleiherenditen angeht, so erwartet der CIO der Natixis-Tochter nur einen marginalen Anstieg, weil das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte gefährdet sein dürfte und Zinserhöhungen weitgehend antizipiert worden seien.
Aktien würden zwar von den Bewertungen her jetzt attraktiver, aber Wachstumssorgen und Margendruck schürten die Besorgnis über ein möglicherweise enttäuschendes Gewinnwachstum.
Kobar: „Unternehmensgewinne könnten in diesem Jahr sogar stagnieren, im besten Fall um bis zu 6% steigen. Logistik, Preise und Personalknappheit beeinträchtigen die Rentabilität. Dabei sind die Auswirkungen auf die einzelnen Sektoren sehr uneinheitlich.“