Achterbahnfahrt: Dieser Ausdruck beschreibt die jüngste Entwicklung des Ölpreises sehr gut. Das „schwarze Gold“, das die Spannungen im Nahen Osten auf die Finanzmärkte überträgt, stieg innerhalb weniger Tage von 60 $/b (Brent-Referenzpreis) auf 80 $/b und fiel dann wieder auf heute 69 $/b. Eine Erleichterung für die Anleger, nachdem mehrere Brokerberichte von einem Preisanstieg auf über 100 Dollar im Falle einer Blockade der Straße von Hormus gesprochen hatten. Immerhin werden durch diese Meerenge 20 Prozent des weltweiten Öls und Flüssigerdgases transportiert. Doch das Risiko einer Störung scheint sich zu verringern: Auf der Online-Wettseite Polymarket (die auch den Sieg von Donald Trump „vorhergesagt” hatte) ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses von 60 Prozent am Tag nach den US-Angriffen auf 16 Prozent gesunken.
Mit dem teilweisen Abklingen der geopolitischen Prämie kehren die Anleger vor dem Hintergrund der makroökonomischen Abkühlung und den von der OPEC+-für August angekündigten Erhöhung der Fördermenge zu den Fundamentaldaten des Ölmarktes zurück. Dieses fragile Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage scheint von den Insidern (d. h. den Akteuren der Branche) bereits berücksichtigt zu sein. Tatsächlich ist die Zahl der aktiven Bohranlagen in den Vereinigten Staaten auf den niedrigsten Stand seit der COVID-Pandemie gesunken. Diese Situation veranlasst die Energy Information Administration (EIA) zu einer Prognose für einen Produktionsrückgang im Jahr 2026, der weit von den Wachstumszielen des US-Finanzministers entfernt ist. Auf der anderen Seite des Atlantiks hat Shell gerade alle Pläne zur Übernahme seines Konkurrenten BP dementiert, was rechtlich gesehen einen Status quo für die nächsten sechs Monate bedeutet. Diese Zeit wird sicherlich nicht zu lang sein, um den physischen Markt zu bereinigen.
Als Nettoimporteur von Energieprodukten hätte sich ein Anstieg der Öl- und Gaspreise natürlich negativ auf das BIP-Wachstum der Eurozone ausgewirkt. Zu der Vermeidung eines Energielieferungsschocks kommen gute Nachrichten aus Deutschland hinzu: Die Regierung hat gerade einen Haushaltsentwurf für 2025 sowie die Referenzwerte für den Zeitraum 2026-2029 vorgelegt. Unter diesen Umständen gibt es keinen offensichtlichen Grund für die EZB, ihre Geldpolitik deutlich zu lockern, zumal sie eine Inflation unter ihrem Zielwert von 2 Prozent (1,6 Prozent im ersten Quartal 2026) erwartet.
Umgekehrt hat die Fed gerade ihre Inflationsprognosen nach oben korrigiert, um den Zollinitiativen der US-Regierung Rechnung zu tragen. Der Rückgang des Ölpreises ist auch hier eine gute Nachricht, da er die US-Notenbank davor bewahrt, einen weiteren Faktor in eine ohnehin schon komplexe wirtschaftliche Gleichung einzubeziehen. Die Märkte haben diese Erleichterung aus der Richtung der Energiepreise übrigens schon eingepreist: Die Inflationserwartung auf Sicht der nächsten zwei Jahre ist in den USA innerhalb eines Monats von 2,7 Prozent auf 2,45 Prozent gesunken.
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Investments
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