Während der Globalisierung war die Welt wirtschaftlich geprägt. Mit der Pandemie ist sie politisch geworden.
Heute bestimmen politische Präferenzen die wirtschaftlichen Entscheidungen – früher, während der Hochphase der Globalisierung bis zur Pandemie, war es umgekehrt. Europa muss sich an diesen neuen Rahmen anpassen und darf nicht länger glauben, dass wirtschaftliche Macht allein ausreicht. Das ist seine zentrale Herausforderung.
Das Handelsabkommen zwischen der EU und den USA wurde auf europäischer Seite ausschließlich aus wirtschaftlicher Sicht abgeschlossen – mit der Begründung, dass ein besseres Ergebnis unmöglich sei. Für Trump hingegen hatte die Verhandlung ein klares politisches Ziel: die EU einzuschränken. Die Käufe von Flüssigerdgas (750 Milliarden USD über drei Jahre) sowie Investitionen von 600 Milliarden USD sind politische Vorgaben, um Europas Fähigkeit zur Eigenständigkeit zu begrenzen. In den Gesprächen über die Ukraine wird Europa von Trump und Putin ignoriert.
Europa muss politisch handlungsfähig sein – sonst werden seine primär wirtschaftlichen Entscheidungen in dieser neuen Weltordnung nicht zählen.
Vier strategische Hebel für Souveränität und Einfluss
Vier zentrale Handlungsfelder sind entscheidend, um Europas Zukunft zu gestalten: Innovationsfähigkeit (nach den Worten Mario Draghis), die Integration des europäischen Binnenmarkts (Letta-Bericht), die Integration der Finanzmärkte (Spar- und Investitionsunion) sowie der Klimaschutz. Ihre Umsetzung wird über die Fähigkeit entscheiden, Einnahmen zu generieren und den sozialen Zusammenhalt zu sichern. Dieses Maßnahmenpaket ist notwendig, aber nicht ausreichend, um Europas Souveränität und die Achtung seiner Entscheidungen in Brüssel und den Hauptstädten der Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
Europa entstand aus wirtschaftlichen Gründen, weil eine politische Einigung in den frühen 1950er-Jahren – nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – unmöglich war. Der Vertrag von Rom und der daraus hervorgegangene gemeinsame Markt sollten letztlich eine gemeinsame politische Dynamik erzeugen. Europa hat zwar alle wirtschaftlichen Dimensionen vertieft, wenn auch nicht vollständig, wie der Letta-Bericht feststellt. Eine echte politische Dimension, die man von einer so großen und wohlhabenden Region erwarten könnte, hat es jedoch nie erlangt.
Die Welt hat sich verändert – sie wird nun von autokratischen Regimen dominiert. China, Russland, Indien, die Türkei und inzwischen auch die Vereinigten Staaten setzen auf harte und autoritäre politische Systeme. Für den Rest der Welt scheinen die Handlungsmöglichkeiten begrenzt. Hier könnte Europa seine Chance nutzen. Es kann sich nicht in die Logik großer autokratischer Staaten einfügen – das widerspricht seiner Kultur und Philosophie.
Europa muss jedoch politische Entscheidungen treffen, um weltweit gehört zu werden und eine starke Rolle einzunehmen. Diese Entscheidungen sind auch intern notwendig, um die Einheit der EU zu wahren und politische Zersplitterung zu verhindern. Andernfalls droht Europa, lediglich ein offener Markt für die Welt zu sein, ohne die Fähigkeit, Entscheidungen zu beeinflussen.
Von Philippe Waechter, Chefökonom bei Ostrum AM (eine Tochtergesellschaft von Natixis IM)
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