"Inzwischen kehren die Unternehmen allmählich zur Normalität zurück, auch wenn es weiterhin Reisebeschränkungen gibt. Die meisten haben Mitte März ihren Betrieb wieder aufgenommen und arbeiten mit 80% oder mehr ihrer sonst üblichen Produktionskapazität. Aber der Konsum läuft immer noch schleppend, da die Menschen öffentliche Verkehrsmittel meiden und die Wirtschaftslage auf kurze Sicht pessimistisch einschätzen. Obwohl z.B. über 90% der Autohändler die Arbeit wieder aufgenommen haben, haben sich die Kundenfrequenz in den Verkaufsräumen und die Absatzzahlen im März nur auf 60% des normalen Niveaus erholt. Das bedeutet ein Minus von 40% gegenüber dem Vorjahr. Eine noch deutlichere Sprache spricht der Flugverkehr: Obwohl die Zahl der verfügbaren Plätze wieder steigt, werden nur wenige tatsächlich in Anspruch genommen.
Trotz der kurzfristigen Unsicherheit sind wir zuversichtlich, dass China als erstes Land zur Normalität zurückkehren und weitere geld- sowie fiskalpolitische Stimulus-Maßnahmen ergreifen wird. Anders als viele Zentralbanken in den Industrieländern hat die People’s Bank of China Spielraum und kann ihren Einlagenzins von derzeit 2,85% sowie den Mindestreservesatz von 11% weiter senken. Durch zusätzliche Investitionen in Technologieprojekte wie 5G und Smarte Städte kann Peking die Konjunktur weiter ankurbeln. Auch die langfristigen Wirtschaftstreiber sind unverändert, konkret der laufende Umbau einer von Export und Infrastrukturinvestitionen getriebenen hin zu einer auf Konsum und Dienstleistungen basierenden Wirtschaft.
Pandemie beschleunigt Digitalisierung im Reich der Mitte
Covid-19 könnte die Art und Weise, wie die Menschen leben, grundlegend verändern. Chinas Digitalwirtschaft gewinnt schon länger an Bedeutung. Aber wegen der Corona-Krise nutzen immer mehr Chinesen das Internet. Zum Beispiel um sich Filme anzusehen oder für tägliche Einkäufe, virtuelle Treffen, eine medizinische Online-Beratung und vieles mehr. Das Reich der Mitte öffnet sich digitalen Geschäften, und die Pandemie beschleunigt diese Entwicklung.
Wie andere Anlageklassen verzeichnen auch chinesische Aktien seit Februar erhebliche Kursausschläge. Mit dem Unterschied jedoch, dass in China alles früher begann als im Rest der Welt. Das Reich der Mitte durchlief die schlimmste Phase der Epidemie daher, noch bevor die Stimmung weltweit kippte. Als die Panik an den Märkten rund um den Globus um sich griff, hatte Peking die Ausbreitung des Virus bereits unter Kontrolle gebracht. Deshalb verbuchten der CSI 300 Index, der den chinesischen A-Aktienmarkt repräsentiert, und der MSCI China Index im Vergleich nur ein moderates Minus von 12,0% bzw. 10,7% (per 31. März seit Jahresbeginn). In diesem gesamtwirtschaftlichen Umfeld werden die Gewinne unserer Portfoliounternehmen dieses Jahr wohl niedriger ausfallen, als anfangs von uns prognostiziert. Aber bezogen auf die nächsten fünf Jahre wird sich an der geschätzten Gewinnwachstumsrate von 16,1% p.a. vermutlich wenig ändern, da wir viel Zeit und Energie investieren, um resiliente Firmen mit starken Marken und F&E-Kapazitäten sowie hervorragendem Vertrieb zu finden. Wichtige Kriterien sind für uns zudem starke Bilanzen und die Fähigkeit, einen hohen Cashflow zu generieren. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass die von uns ausgewählten Unternehmen gut durch die Krise kommen und sogar gestärkt daraus hervorgehen werden.
Die Chancen in der Krise erkennen
An unserem Anlagestil halten wir auch in diesem volatilen Marktumfeld fest, das uns die Gelegenheit bietet, uns bei einigen interessanten oder qualitativ besseren Namen zu engagieren. Verkleinert wurden jedoch Positionen, deren Risiken unserer Meinung nach auf dem aktuellen Kursniveau nicht vollständig eingepreist waren. Das interessanteste Thema, das wir näher beleuchten wollen, ist der Konsum. HengAn hat sich gut entwickelt, da die Nachfrage nach Hygieneprodukten wie Papiertaschentüchern, Handdesinfektionsmitteln und Gesichtsmasken steigt. Das Unternehmen gefällt uns nach wie vor, auch wenn sein Risiko-Renditeprofil jetzt nicht mehr ganz so attraktiv ist. Die Positionen Suofeiya, ManWah und Midea fuhren wir zurück, nachdem ihre Aktienkurse Ende Februar erstaunlich stabil geblieben waren. Sorgen hatte uns ihre Abhängigkeit vom Wohnungsmarkt bereitet. Wie bereits erwähnt, dürfte Alibaba auch nach dem Ende der Corona-Krise von der zunehmenden Verlagerung von Aktivitäten ins Internet profitieren. Die jüngste Kurskorrektur nutzten wir daher, um unsere Position zu verstärken. Im Finanzsektor kauften wir Aktien von PingAn, China Life und Noah zu. Sie alle verfügen unseres Erachtens über vielversprechendes langfristiges Wachstumspotenzial, das sich aus der nach wie vor geringen Verbreitung von Versicherungs- und Vermögensverwaltungsprodukten im Reich der Mitte ergibt. Bei Wettbewerbern aus Industrieländern gab es eine lange Phase mit starkem Wachstum, als die Zahl der Mittelschichtfamilien das Niveau erreichte, das wir gegenwärtig in China sehen.
Langfristiges Gewinnwachstum gefragt
Daneben nutzten wir die Marktschwankungen, um die Qualität des Portfolios weiter zu verbessern. Von Hangzhou Hikvision trennten wir uns Anfang des Jahres. Dem waren Gespräche über sein heikles Videoüberwachungsgeschäft, über Menschenrechte und insbesondere die Projekte in XinJiang vorausgegangen. Wir beschlossen, uns erst einmal zurückzuziehen und abzuwarten, wie sich seine ESG-Maßnahmen entwickeln. Nach wie vor sind wir überzeugt, dass Hangzhou sein geistiges Eigentum im Bereich der Überwachung ausbauen und sein Potenzial nutzen kann, um seine Projekte in der Robotik, bei Lösungen für Privathaushalte und beim autonomen Fahren zum Erfolg zu führen.
Als langfristig orientierte Anleger mit relativ geringer Umschlagshäufigkeit gehen wir bei der Anpassung unserer Bestände diszipliniert vor und verfolgen dabei das Ziel, die Qualität des Portfolios weiter zu verbessern. Wir sind überzeugt, dass das langfristige Gewinnwachstum in unserem Portfolio auch künftig der wichtigste Performancetreiber sein wird."
Jasmine Kang, Portfoliomanagerin des Comgest Growth China